Ukraine

Korruptionsskandal: Durchsuchung bei Selenskyjs Bürochef

"Schwarzer Freitag" in der Ukraine. Korruptionsermittler durchsuchen die Wohnung von Präsident Selenskyjs Bürochef Jermak. Sind die Friedensverhandlungen und die Gespräche mit den USA gefährdet?

28.11.2025 UPDATE: 28.11.2025 08:35 Uhr 3 Minuten, 2 Sekunden
Andrij Jermak
Der Leiter des Präsidentenbüros, Andrij Jermak, galt bisher als der eigentliche starke Mann in der Ukraine. (Archivbild)

Kiew (dpa) - In der Ukraine ist im Zuge eines riesigen Schmiergeldskandals auch der Bürochef von Präsident Wolodymyr Selenskyj ins Visier der Ermittler geraten. Das Nationale Antikorruptionsbüro (NABU) und die Spezialisierte Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAP) informierten am frühen Morgen über eine Razzia in der Wohnung von Andrij Jermak. Der 54-Jährige gilt als rechte Hand Selenskyjs und einflussreicher Strippenzieher. Er selbst bestätigte die Ermittlungen gegen ihn in seinem Telegramkanal. 

Die Ukraine, die sich seit bald vier Jahren gegen den russischen Angriffskrieg wehrt, steckt seit Wochen in einem millionenschweren Schmiergeldskandal, der bis in die Staatsführung reicht. Von Selenskyj, der auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) Aufklärung versprochen hatte, gab es zunächst keine Reaktion.

Jermak erklärte, er habe "völligen Zugang" zu seiner Wohnung gewährt. Seine Anwälte seien an Ort und Stelle und kooperierten wie er selbst mit den Ermittlern. NABU und SAP machten zunächst keine Angaben zum Anlass der Ermittlungen. "Details folgen später", hieß es in einer Mitteilung. Fotos auf dem Internetportal "Ukraijinska Prawda" zeigten, wie zehn Mitarbeiter von NABU und SAP ins kriegsbedingt schwer zugängliche Regierungsviertel gelangten. 

Präsident Selenskyjs wichtigster Mann in Kiew

Jermak ist die zentrale Figur bei den laufenden Verhandlungen mit den US-Amerikanern um ein Ende des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Er führt das ukrainische Verhandlungsteam bei den Friedensgesprächen an. Seine Ernennung als Delegationsleiter hatte in der vergangenen Woche Erstaunen bei politischen Beobachtern in Kiew ausgelöst, weil er in dem Korruptionsskandal wie Selenskyj in Erklärungsnot geraten war.

Zuletzt war auch Ex-Verteidigungsminister Rustem Umjerow von Korruptionsfahndern vorgeladen worden. Der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates bestreitet alle Vorwürfe. Auch der 43-Jährige gehört zu Kiews Hauptunterhändlern bei den Gesprächen über Trumps Friedensinitiative.

Spärliche Informationen über den Grund der Razzia

NABU und SAP hatten vor etwas mehr als zwei Wochen mitgeschnittene Gespräche zu Schmiergeldzahlungen im Energiesektor veröffentlicht. Es gab mehrere Festnahmen. Energieministerin Switlana Hryntschuk und Justizminister Herman Haluschtschenko wurden entlassen. Der Hauptverdächtige und Vertraute von Präsident Wolodymyr Selenskyj, Tymur Minditsch, konnte aus dem Land fliehen. Er ist zur Fahndung ausgeschrieben. Bereits damals wiesen die Korruptionsfahnder auf Bestechung auch im Rüstungsbereich hin. 

Mehrere Parlamentsabgeordnete schrieben in sozialen Netzwerken, dass NABU nun eine Verdachtsmitteilung gegen Jermak vorbereite. Die Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine meldete unter Verweis auf eine Quelle, dass bisher niemand offiziell verdächtigt worden sei. 

Möglicher Konflikt mit den Anti-Korruptionsbehörden

Im Juli hatte Präsident Selenskyj noch versucht, NABU und SAP unter seine Kontrolle zu bringen. Damals wurden bereits Vorwürfe gegen Jermak laut, dass die eilig verabschiedete Gesetzesänderung auf seine Initiative hin im Parlament eingebracht worden sei. Ziel sei gewesen, die sich anbahnenden Verfahren gegen Minditsch und den Selenskyj nahestehenden Ex-Vizeregierungschef Olexij Tschernyschow zu verhindern. Nach Straßenprotesten und einer Intervention der Europäischen Union musste Selenskyj das Gesetz wieder ändern und den vorherigen Zustand wiederherstellen.

Der oppositionelle Abgeordnete Olexij Hontscharenko meinte, dass die Ermittlungen auch eine Antwort darauf sein könnten, dass Jermak angeordnet haben soll, die Ermittler von NABU und SAP zu überwachen. Er vermute auch Amtsmissbrauch, Einflussnahme und politische Verfolgung. "Da helfen auch alle Anwälte des Landes nichts", schrieb Hontscharenko bei Telegram.

Beeinflussen die Ermittlungen die Friedensgespräche?

Die Ermittlungen rund um den Korruptionsskandal könnten auch Auswirkungen auf die Gespräche der Ukraine mit den USA haben. Medienberichten zufolge hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj Jermak extra zum Verhandlungsführer bei einem Treffen in Genf am Sonntag ernannt. Einige Kommentatoren hatten dagegen mit einer Absetzung Jermaks gerechnet.

Jermak lehnte in einem Interview die von Russland geforderten Gebietsabtretungen im Donbass für einen Waffenstillstand ab. "Solange Selenskyj Präsident ist, sollte niemand damit rechnen, dass wir Gebiete aufgeben. Er wird keine Gebiete abtreten", sagte er "The Atlantic".

USA wollen Ukraine zum Kriegsende bewegen

Tags zuvor hatte Jermak neue Gespräche mit der US-amerikanischen Seite für das Ende der Woche angekündigt. Erwartet wird die Ankunft einer US-Delegation unter Leitung des Staatssekretärs Daniel Driscoll. Sollte Jermak offiziell eine Verdachtsmitteilung ausgehändigt oder er gar festgenommen werden, könnte er kaum weiter seine Funktion als Verhandlungsführer wahrnehmen.

Russland besteht darauf, dass die ukrainischen Truppen sich für einen Waffenstillstand aus den Gebieten Luhansk und Donezk komplett zurückziehen. Kremlsprecher Peskow sagte mit Blick auf die Razzia bei Jermak, dass sich der Korruptionsskandal in der Ukraine ausweite mit negativen Folgen für das politische System in Kiew.

Die USA versuchen seit dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump, ein Ende des seit Februar 2022 währenden russischen Krieges gegen die Ukraine zu erreichen. Vergangene Woche hatte Washington einen aus 28 Punkten bestehenden Friedensplan vorgelegt und Kiew zur Annahme gedrängt. Die von Jermak geleitete ukrainische Verhandlungsdelegation hatte am Sonntag mit Unterstützung europäischer Verbündeter Änderungen am Plan vorgenommen und diese den USA vorgelegt.

Trotz einer Reihe seit dem westlichen Umsturz von 2014 neu geschaffener Behörden zur Schmiergeldbekämpfung gilt die Ukraine weiter als einer der korruptesten Staaten Europas. Als EU-Beitrittskandidat hat sich das Land zu Reformen verpflichtet.

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