Moritz Bleibtreu

"Ich will diesen Dreck nicht sehen!"

Schauspieler spielt im Thriller "Abgeschnitten" einen Rechtsmediziner

10.10.2018 UPDATE: 14.10.2018 06:00 Uhr 3 Minuten, 12 Sekunden
Foto: Monika Skolimowska/dpa

Von Markus Tschiedert

Helgoland. Bei der Autopsie einer Leiche findet der Berliner Rechtsmediziner Paul Herzfeld (Moritz Bleibtreu) einen Zettel mit einer Telefonnummer, die er nur allzu gut kennt: Es ist die Handynummer seiner Tochter Hannah (Barbara Prakopenka). Doch dieser erschreckende Fund ist nur der Beginn eines Spiels auf Leben und Tod, das Paul alles abverlangt. Um seine von dem sadistischen Jan Erik Sadler (Lars Eidinger) entführte Tochter wiederzufinden, folgt er einer Spur von Leichen - eine davon liegt auf der Insel Helgoland, die durch einen Sturm von der Außenwelt abgeschnitten wurde.

Der Film "Abgeschnitten" basiert auf dem gleichnamigen Roman von Sebastian Fitzek, derzeit einer der erfolgreichsten deutschen Thriller-Autoren. Bleibtreu (47) über die Grenzen von Gewaltdarstellungen im Film und im Internet.

Herr Bleibtreu, Ihnen liegt viel daran, dem in Deutschland oft missachteten Genre des Thrillers Auftrieb zu geben. War das der Grund, die Hauptrolle in "Abgeschnitten" anzunehmen?

Diesmal stand an erster Stelle die Zusammenarbeit mit Regisseur Christian Alvart [Anm. d. Red.: Til Schweiger-Tatorte]. Wir kennen uns schon ewig und wollten immer schon mal einen gemeinsamen Film drehen. Klar kam es mir entgegen, mit "Abgeschnitten" auch das deutsche Genrekino in seinen limitierten Grenzen möglichst weit auszuloten.

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Wie lässt sich das deutsche Publikum überzeugen?

"Abgeschnitten" hat alles, was man im Kino sehen will. Spannendes Buch, eine nachvollziehbare und direkte Geschichte, gespickt mit dem einen oder anderen etwas unangenehmen Moment, was Fans dieses Genres aber gern sehen.

Hintergrund

BIOGRAFIE

Name: Moritz Johann Bleibtreu

Geboren am 13. August 1971 in München; aufgewachsen in Hamburg.

Familie: Bleibtreu entstammt einer Schauspielfamilie, Eltern, Großeltern,

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BIOGRAFIE

Name: Moritz Johann Bleibtreu

Geboren am 13. August 1971 in München; aufgewachsen in Hamburg.

Familie: Bleibtreu entstammt einer Schauspielfamilie, Eltern, Großeltern, Urgroßeltern und Ururgroßeltern standen auf der Bühne.

Erste Rolle: Als Kinderdarsteller in "Neues aus Uhlenbusch" (1982).

Bildung: Bleibtreu verließ die Schule nach der elften Klasse mit dem Realschulabschluss - wegen Nichterscheinens erhielt er keine Bewertung mehr. Lebt anschließend eineinhalb Jahre in Paris, ein Jahr in Italien, dann in New York, wo er Schauspielunterricht nimmt.

Karriere: Knockin’ On Heaven’s Door (1997), Lola rennt (1998), Im Juli (2000), Das Experiment (2001), Der Baader Meinhof Komplex (2008).

Preise: Deutscher Filmpreis 1997 (Heaven’s Door), Goldene Romy 2005 (beliebtester dt. Schauspieler), Silberner Bär 2006 (Elementarteilchen).

Privat: Bleibtreu lebt in Reinbek bei Hamburg und hat einen Sohn, David (* 2008). lex

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Es gibt Splatter-Szenen im Film?

Kein echter Splatter, aber Elemente davon. Etwa die Großaufnahme einer Wunde. Das hat es im deutschen Film seit "Anatomie" nicht mehr gegeben - und damit spielt unser Film natürlich auch.

Gedreht wurde mit Kunstblut und Attrappen. War Ihnen trotzdem mulmig?

Mulmig nicht, obwohl ich nicht das beste Nervenkostüm habe. Am ersten Drehtag musste ich mir immer wieder sagen: "Nein! Sie sind nicht echt!" Und ich muss auch gestehen, dass ich im Ensemble der Einzige war, der sich vor dem Zusehen bei einer echten Obduktion gedrückt hat.

Warum?

Ich habe zwar schon mal Tote gesehen, aber Geräusche und Gerüche, die eine Leiche von sich gibt, sind Dinge, die dich trotzdem noch mitnehmen können.

Wann waren Sie mit einem toten Menschen konfrontiert?

In New York habe ich meinen ersten toten Menschen gesehen. Er lag einfach so auf der Straße. In Asien war ich bei einem Unfall vor Ort, der einem Menschen das Leben gekostet hat. Ich habe dabei dieses Phänomen beobachten können: Du hast nicht mehr das Gefühl, einen Menschen, sondern eher, eine leblose Puppe vor dir zu haben. Man spürt, dass das, was einen Menschen ausmacht, die Seele, nicht mehr da ist. Damit wird auch der Anblick auf eine merkwürdige Art erträglich.

Dann hätten Sie bei einer Obduktion eigentlich doch mal zusehen können ...

Ich weiß, dass es Sachen gibt, für die ich einfach nicht gemacht bin. Ich habe eine sehr lebendige Fantasie und habe es daher immer vermieden, mich Eindrücken auszusetzen, die meinen "Verpackungsmechanismus" vielleicht übersteigen könnten. Aus ähnlichen Gründen würde ich auch keinen Fallschirmsprung machen. Vielleicht passiert da was in meinem Kopf und ich kann nie wieder in ein Flugzeug steigen (lacht). Manche extremen Eindrücke möchte ich nicht haben.

Mussten Sie solche Extremerfahrungen schon über sich ergehen lassen?

Also momentan rege ich mich unheimlich darüber auf, dass die sozialen Medien vollgeballert werden mit Gewaltvideos, die in irgendwelchen Verteilern landen. Allein durch die Algorithmen von Facebook stößt man relativ schnell auf Inhalte mit Gewalt, die ich gar nicht sehen will.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Wenn du auf Facebook oder YouTube an einem Video hängen bleibst, auf dem jemand der Kopf abgeschnitten wird, kannst du das nicht mehr ungeschehen machen. Ich als 45-Jähriger kann sagen, das will ich nicht sehen. Aber ein 16-Jähriger ist so von Neugier getrieben, dass er gar nicht weiß, was das für einen Schaden bei ihm anrichten kann, sich so einen Dreck anzusehen.

Haben Filme nicht eine Mitschuld an dieser Entwicklung?

Das glaube ich eben nicht, weil Film immer dramatisiert. Ein Psychothriller entführt zwar in eine Welt der Gewalt, zeigt aber auch, wo sie herkommt, wo sie hingeht und was sie mit den Opfern macht.

Was befürchten Sie?

Wenn das Konsumieren von echter Gewalt, die echte Tote fordert, die Grenzen der Fiktion, in der Schauspieler mit Kunstblut beworfen werden, sprengen, haben wir wieder das alte Rom. Brot und Spiele, Menschen, die sich gegenseitig mit Lanzen durchbohren, weil es egal geworden ist. Dafür haben wir ja Theater, Bücher und Filme - um uns mit Themen auseinanderzusetzen, die uns Angst machen, mit denen wir aber trotzdem umgehen wollen.

Solche Gedanken machen Sie sich sicherlich auch als Familienvater ...

Auf jeden Fall! Es ist grauenhaft zu wissen, dass dein neunjähriger Sohn, wenn er will oder dazu verleitet wird, an alle diese Inhalte innerhalb von zehn Sekunden rankommen kann.

Ist die Gefahr des Internets bei Ihnen zuhause schon Thema?

Noch nicht. Ich kann ihm vertrauen, dass er, wenn er auf etwas stößt, was ihm komisch vorkommt, zu mir kommen würde, um zu fragen, was da los ist. Irgendwann wird sich das aber vollkommen meiner Macht entziehen - und das ist ein blödes Gefühl.