Sahra Wagenknecht ist die führende Vertreterin des linken Flügels in der Linkspartei. Ihr Philosophiestudium schloss sie mit einer Dissertation über Hegel und Marx ab. Foto: dpa
Von Tobias Schmidt, RNZ Berlin
Berlin. Sahra Wagenknecht (48) ist Spitzenkandidatin der Linkspartei für den Bundestagswahlkampf - gemeinsam mit Dietmar Bartsch, mit dem die in Ost-Berlin aufgewachsene in der zu Ende gehenden Wahlperiode auch die Linksfraktion anführte.
Die SPD scheint nicht mehr an die Union heranzukommen. Was hat SPD-Martin Schulz falsch gemacht?
Martin Schulz hatte eine echte Chance, Frau Merkel als Bundeskanzlerin abzulösen. Als er nominiert wurde, schossen die Umfragen nach oben. Viele hatten die Hoffnung, Martin Schulz würde die SPD wieder zu einer sozialdemokratischen Politik zurückführen. Diese Hoffnung hat er leider enttäuscht. Das Wahlprogramm ist so mutlos wie kaum ein SPD-Wahlprogramm zuvor. Die Rente mit 67 wird nicht mehr in Frage gestellt, die Vermögensteuer ist kein Thema, mit Leiharbeit, Hartz IV und Niedriglöhnen hat sich die SPD abgefunden. Auf dem letzten SPD-Parteitag wurde unter dem schönen Slogan "Zeit für mehr Gerechtigkeit" ausgerechnet Gerhard Schröder gefeiert, der für den größten Sozialabbau der bundesdeutschen Geschichte steht. Damit ist der ganze Gerechtigkeitswahlkampf völlig unglaubwürdig geworden.
Der Versuch, Wähler in der Mitte zu erreichen, war zum Scheitern verurteilt?
Wähler der Mitte erreicht man nicht, indem man der Union immer ähnlicher wird. Das sogenannte Kanzlerduell war eine großkoalitionäre Kuschelrunde. Man war ja schon froh, dass sie sich am Ende nicht umarmt haben. Aber wer CDU will, wird CDU wählen.
Spannend wird jetzt der Kampf um Platz drei. Die AfD versucht mit Provokationen und Wut-Wahlkampf zuzulegen. Was halten Sie dagegen?
Wer gegen eine unsoziale Politik protestieren will, wer sich durch die Regierungen der letzten Jahre im Stich gelassen fühlt und Druck machen will für höhere Renten und sichere Jobs, der kann nur die Linke wählen. Das Wirtschaftsprogramm der AfD ist weitgehend identisch mit dem der FDP. Sie setzt auf Marktradikalismus und Privatisierungen, lehnt öffentlichen Wohnungsbau und eine Mietpreisbremse ab. Die AfD würde die Lage der Menschen, denen es in diesem Land nicht gut geht, garantiert nicht verbessern.
Welche Gründe sehen Sie dann für die Stärke der AfD?
Die AfD ist ein Produkt der Politik der vergangenen Jahre, die für viele Menschen zu großer Verunsicherung geführt hat, vor allem sozial. Es gibt immer mehr befristete Jobs, Leiharbeit boomt. Familien finden in größeren Städten kaum noch bezahlbaren Wohnraum. Hinzu kam die Flüchtlingskrise, in der die Kanzlerin über Monate einen Kontrollverlust zuließ und bis heute keinen Plan hat, wie die Probleme gelöst werden können. In diesem Klima konnte die AfD mit billigen Parolen und Scheinlösungen punkten. Mit jedem öffentlichen Auftritt von Herrn Höcke wird hoffentlich mehr Menschen deutlich, was für Typen sie mitwählen, wenn sie der AfD ihre Stimme geben. Immerhin könnte der Höcke-Flügel in der AfD-Bundestagsfraktion sogar in der Mehrheit sein.
Warum kann die Linkspartei die Unzufriedenen gerade im Osten nicht an sich binden? Ist sie zu zahm geworden?
Wir müssen darüber nachdenken, wo wir Fehler gemacht und Entscheidungen mitgetragen haben, die unsere Glaubwürdigkeit beschädigt haben.
Grüne und FDP wollen unbedingt regieren, aber auf keinen Fall gemeinsam. Kann es passieren, dass Merkel keine Mehrheit zusammenbekommt?
Die SPD bereitet doch längst die nächste Große Koalition vor. Und die gegenseitigen Absagen von FDP und Grünen sind auch nicht besonders glaubwürdig. Die Grünen zeichnet manches aus, aber Prinzipienfestigkeit gehört seit Jahren nicht mehr dazu. Sie wollen endlich mal wieder regieren und auch die Liberalen werden sich wohl nicht querstellen, auf Landesebene funktioniert es ja auch. Aber ich schätze, dass Frau Merkel eine Große Koalition bevorzugt, weil sie für sie bequemer ist.
Würden Sie sich auf die SPD als Oppositions-Partner freuen? Käme dann die Chance auf ein starkes Links-Bündnis?
Ich würde mich freuen, wenn die SPD wieder eine sozialdemokratische Partei wird und begreift, dass man nicht dauerhaft Politik gegen die eigenen Wähler machen kann, ohne politisch bedeutungslos zu werden. Wenn ihr die Oppositionsrolle hilft, wäre ich froh. Aber in ihrer Zeit auf der Oppositionsbank während der Schwarz-Gelben Regierung hat sich die SPD leider auch nicht gefangen.
Merkel hat im Duell versprochen, am Renten-Eintrittsalter von 67 Jahren werde nicht gerüttelt. Nun fordert Finanzminister Wolfgang Schäuble eine Debatte über längere Lebensarbeitszeit. Wer hat in der Union das Sagen?
Wer jetzt noch an Frau Merkels Absage an die Rente mit 70 glaubt, der muss wirklich ein unerschütterliches Vertrauen haben. Ich denke, viele Menschen haben sowieso große Zweifel, was sie den Regierungspolitikern noch glauben können. Der beste Schutz gegen weitere Rentenkürzungen ist auf jeden Fall eine starke Linke.