Von Klaus Welzel
Heidelberg. Der nächste Lockdown muss nicht sein, sagt Hans-Georg Kräusslich in der 43. Folge des RNZ-Corona-Podcasts. Vorausgesetzt die Infektionen laufen nicht aus dem Ruder.
Prof. Kräusslich, die dritte Coronawelle ist laut Robert-Koch-Institut bereits da. Was bedeutet das für unseren Alltag?
Zunächst muss man leider bestätigen, dass die dritte Coronawelle wirklich da ist. Das ist keine Ankündigung mehr, sondern wir sehen einen deutlichen Anstieg der Neuinfektionen; in den letzten Tagen über 2000 pro Tag mehr als letzte Woche. Für den Alltag bedeutet es aber das gleiche wie bisher: Wir müssen uns selbst schützen und andere schützen, so gut wir können.
Sollten die Geschäfte wieder schließen? Und die Schulen?
Wenn wir alle zwei Wochen die Richtung wechseln, wird es auch nicht besser funktionieren. Wir sollten mit der vorhandenen Testkapazität genau verfolgen, wie sich die Situation nach Öffnung bestimmter Bereiche und insbesondere in den Schulen entwickelt und versuchen, möglichst viele Infektionen frühzeitig zu erkennen und zu isolieren. Es kann aber durchaus sein, dass wir in zwei Wochen wieder eine 7-Tage Inzidenz von über 100 haben werden.
RNZ-Corona-Podcast - Folge 43: Die dritte Welle ist da. Was bedeutet das jetzt für uns, den Alltag und die Öffnungen?
Interview: Klaus Welzel / Schnitt und Produktion: Götz Münstermann
Zumal die Inzidenz durch die vermehrten Tests, die jetzt durchgeführt werden, ohnehin nach oben gehen wird.
Deshalb halte ich es für sinnvoll, die Zahl positiver Tests auf die Gesamtzahl an Tests, die durchgeführt wurden, zu beziehen; also: Wie viele positive Ergebnisse haben wir pro 100 durchgeführte Tests. Das beantwortet die Frage: wie viel macht die Testmenge aus, wie viel die zunehmende Ausbreitung.
Womit wir wieder einen neuen Messwert hätten. Wir werden noch alle zu Mathematikern in dieser Pandemie ...
Das ist übrigens im Sommer schon einmal so beschlossen worden, wurde dann aber nicht umgesetzt. Es wäre aber eine ganz einfache Zahl: Wir haben soundso viele Tests und z.B. fünf Prozent davon sind positiv.
Gut zu wissen. Nochmal kurz zur Region: Wird es in den Kliniken bereits wieder voller?
In der Region wohl noch nicht, anderswo dagegen schon. Es dauert allerdings immer einige Wochen von der Infektion bis zum möglichen schweren Krankheitsverlauf. Die Hoffnung bleibt aber, dass wir durch die Impfungen in den Heimen generell weniger schwere Verläufe haben werden. Wobei wir festhalten müssen, dass noch viele über 80-Jährige, die zu Hause leben, nicht geimpft sind. Für eine Entwarnung wäre es also deutlich zu früh.
Für wie beunruhigend halten Sie die Nachrichten bezüglich des Impfstoffes von Astra-Zeneca? Dänemark und andere Staaten setzten nach Todesfällen die Impfungen aus.
Man muss selbstverständlich jede Meldung über mögliche schwere Folgen ernstnehmen. Die Informationen, die mir zugänglich sind – von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA und dem Paul-Ehrlich-Institut – besagen, dass es in seltenen Fällen nach der Impfung schwere Gerinnungsstörungen mit einigen Todesfällen gab. Allerdings war die Anzahl dieser Gerinnungsstörungen nicht höher als bei einer gleich großen Zahl nicht-geimpfter Personen. Es gibt also derzeit keinen Anlass zu besonderer Besorgnis, aber Grund zur weiteren Klärung. Als seltene Nebenwirkung zukünftig in den Beipackzettel aufgenommen werden sollen schwere allergische Reaktionen, die allerdings auch bei anderen Impfungen vorkommen können.
Angeblich wird Impflingen geraten, Paracetamol einzunehmen, sobald eine Impfung mit Astra-Zeneca ansteht?
Das wird vielfach empfohlen, wenn man z.B. Schmerzen an der der Einstichstelle oder möglicherweise erhöhte Temperatur hat; dagegen wirkt Paracetamol, es wird ja auch sonst gegen Schmerzen oder zur Fiebersenkung eingesetzt. Wesentlich ist jedoch, zu welchem Zeitpunkt man es einnimmt. Es gibt Hinweise, dass der Impferfolg schwächer sein kann, wenn man es vor der Impfung oder mit der Impfung einnimmt. Ich würde daher sehr davon abraten, prophylaktisch Paracetamol zu nehmen, bevor man zum Impfen geht. Wenn man einige Stunden nach der Impfung bei entsprechenden Nebenwirkungen Paracetamol einnimmt, ist nichts dagegen einzuwenden.
Großbritannien und Israel stehen jetzt als erfolgreiche Impfnationen da. Ist das aus Ihrer Sicht eine berechtigte Bewertung? Und worin liegt der Erfolg begründet?
Ich denke schon, dass diese Bewertung berechtigt ist – zumindest für Israel. Dort sind an die 70 Prozent der Bevölkerung einmal und 45 Prozent zweimal geimpft. Das ist eindeutig ein großer Erfolg. In Großbritannien dagegen wurden zwar ca. 30 Prozent der Bevölkerung geimpft, aber nur mit der ersten Impfdosis. Bei der Zweitimpfung hat Großbritannien bisher sogar weniger Menschen geimpft als Deutschland – das ist kaum bekannt. Dort wurde entschieden möglichst viele Menschen zumindest einmal zu impfen, während Deutschland und die EU einen möglichst umfassenden Impfschutz nach zweifacher Impfung erreichen wollen.
Jetzt kommt noch der Impfstoff von Johnson&Johnson hinzu. Worin liegt hier der Vorteil?
Dass er nur einmal verimpft werden muss. Außerdem kann er über Monate im Kühlschrank gelagert werden. Möglicherweise muss es aber früher eine Auffrischung geben, das kann man noch nicht sagen. Wobei man ergänzen muss: Der Impfstoff ist zwar zugelassen, aber wann er wirklich kommt, scheint mir nach der heutigen Aussage des Bundesgesundheitsministers – Mitte, Ende April – noch nicht so klar zu sein.
Was glauben Sie, bis wann Deutschland durchgeimpft sein kann?
Ministerpräsident Kretschmann hat am Donnerstag gesagt, dass im dritten Quartal mehr Impfstoff da sein wird, als benötigt. Darauf setzen wir. Insofern würde ich die Hoffnung der Kanzlerin, dass bis zum Herbstbeginn am 21. September alle geimpft sind, nicht aufgeben wollen.
Welche Rolle spielt die gerade beginnende Pollensaison im Zusammenspiel mit Corona?
Eine aktuelle Studie berichtete, dass starker Pollenflug eine verminderte Resistenz gegen den Erreger bewirken könnte. Der Effekt ist allerdings nicht besonders groß. Das ist eine interessante Beobachtung, die uns aber im Praktischen wenig hilft. Es bleibt also beim Maskentragen.
Wie sieht es denn unter den Masken aus? Stellen Sie ein Risiko dar für Allergiker?
Es ist natürlich sehr unangenehm, wenn ich in die Maske niesen muss. Asthmatiker haben sicher ein Problem, deswegen gibt es auch Ausnahmen. Aber generell haben Allergien keinen Einfluss, die oben erwähnte Studie bezog sich auf das allgemeine Auftreten von Pollenflug, wie ihn jeder erlebt.
Info: Alle 43 Folgen zum Nachhören auf www.rnz.de/corona-podcast oder einfach den QR-Code per Handy einscannen.