Von Klaus Welzel
Heidelberg. Müssen wir uns vor den neuen Varianten des Coronavirus fürchten? Durchaus, sagt Hans-Georg Kräusslich in der 37. Folge des RNZ-Corona-Podcasts.
Herr Prof. Kräusslich, für wie besorgniserregend halten Sie die derzeit grassierenden Varianten des Coronavirus?
Wir wissen, dass sie eine höhere Infektiosität haben, das heißt, dass sie sich leichter ausbreiten können. Bei erkrankten Personen findet sich eine höhere Virenlast. Auch wenn kürzlich berichtet wurde, dass die englische Variante eventuell einen schwereren Krankheitsverlauf auslösen könnte, scheint mir das bisher nicht belastbar, hier wäre ich zurückhaltend. Klar ist aber, dass sich die neuen Varianten schneller in der Bevölkerung ausbreiten können.
Letzte Woche berichteten Sie vom Fund einer südafrikanischen Variante in einer Probe. Hat sich diese Zahl mittlerweile erhöht in der Region? Bundesweit soll sie bei 0,5 Prozent liegen.
Wir haben begonnen, vermehrt nach den Varianten zu suchen. Zum einen mittels Sequenzierung, zum anderen mittels molekularbiologischer Verfahren, die eine bestimmte Mutation nachweisen, aber nicht die gesamte Sequenz bestimmen. Mittels Sequenzierung von knapp 200 Abstrichen wurden in Zusammenarbeit mit DKFZ und EMBL diese Woche vier weitere Infektionen mit einer Variante gefunden, drei davon mit der südafrikanischen Variante. Dies waren Proben aus den vergangenen Wochen. Mittels molekularbiologischer Analyse haben wir weitere Proben identifiziert, bei denen ebenfalls zumindest eine wichtige Mutation vorliegt, die Sequenz-Ergebnisse dazu liegen noch nicht vor. Ich glaube daher, dass die Varianten aktuell mehr als 0,5 Prozent der Infektionen ausmachen, ein bis zwei Prozent halte ich für realistischer.
RNZ-Corona-Podcast - Folge 37: Wie verbreitet ist die südafrikanische Virus-Variante?
Interview: Klaus Welzel / Schnitt und Produktion: Götz Münstermann
Also ein beachtlicher Zuwachs.
Ja, und wir hören auch von anderen Labors in Baden-Württemberg positive Nachweise von Varianten. Seitdem wir nicht mehr nur Reiserückkehrer aus den bekannterweise betroffenen Ländern untersuchen, sondern auch Infizierte ohne Reisevorgeschichte und ohne bekannte Kontakte in diese Länder, weisen wir die Varianten auch bei anderen Infizierten vermehrt nach. Ich habe ja schon wiederholt empfohlen, generell nach diesen Varianten zu suchen, weil sie sich sonst im Hintergrund ausbreiten.
Und wie sieht es bei der britischen Variante aus?
Wir haben sie bisher noch nicht nachgewiesen. Ich muss aber hinzufügen, dass der molekularbiologische Test nicht zwischen der englischen und der südafrikanischen Variante unterscheidet, sondern eine der beiden Mutationen nachweist. Insofern kann auch die englische Variante hier schon vorhanden sein. Generell stellt sich aber nicht mehr die Frage, ob die neuen Varianten zu uns kommen werden: Sie sind ja schon da und es geht nur darum, hinauszuzögern, dass sie sich schnell und flächendeckend ausbreiten. Verhindern können wir die Ausbreitung nicht mehr, aber wenn es uns gelingt, sie bis Frühsommer oder Sommer zu verlangsamen, wäre das schon ein großer Gewinn; dann ist es wärmer und mehr Menschen sind geimpft.
Reden wir hier von Proben von Menschen aus der Region?
Im Moment ja. Aktuell sequenzieren wir in enger Zusammenarbeit mit DKFZ und EMBL positive Abstriche von Menschen aus der Region. Wir streben das für ganz Baden-Württemberg an, dazu gibt es intensive Gespräche mit der Politik. Aber die Mühlen mahlen leider sehr langsam und ich fürchte, dass das nicht in ausreichendem Umfang und zu spät zustande kommen wird.
Wie viele Proben pro Woche sind es?
Letzte Woche waren es 200. Wir wollen jetzt alle Abstriche, die bei uns positiv auf Sars-CoV-2 getestet werden, auf die Varianten untersuchen und sequenzieren. Im Moment haben wir bis zu 50 positive Abstriche pro Tag, aber mit weiteren Proben aus anderen Labors könnten es durchaus 1000 bis 2000 Sequenzierungen pro Woche werden.
Der Präsenzunterricht an Schulen und die Regelbetreuung in Kitas wurde auf Ende Februar vertagt, nachdem in Freiburg in einer Kita viele Menschen mit der südafrikanischen Variante infiziert worden waren. Gut so?
Das ist eine ganz schwierige Frage: Können wir angesichts der aktuell zurückgehenden Infektionszahlen Kitas und Grundschulen wieder öffnen? Ich glaube, dass der Ausbruch in Freiburg zu der Überlegung führte, wie die Reaktion sein würde, wenn man dennoch öffnet und ähnliches anderswo passiert. Grundsätzlich hat sich die Situation aber nicht verändert. Wir haben deutlich zurückgehende Infektionszahlen, deswegen kann man überlegen, mit entsprechenden Maßnahmen und einem guten Testkonzept behutsam Kitas und Schulen zu öffnen. Wenn sich aber gleichzeitig die Varianten stark verbreiten sollten, könnte genau diese Öffnung zur Ausbreitung beitragen. Letztlich ist es immer eine politische Entscheidung. Nach meiner Auffassung können Wissenschaftler keine sicher begründete Aussage machen, dass nur dieser oder jener Weg richtig ist. Ich wehre mich da auch gegen manche Stellungnahme von Kollegen, die sehr kategorisch erklären, was getan werden muss, es ginge nicht anders. Es bleibt eine Abwägung. Ich persönlich wäre in der momentanen Situation bei der Öffnung von Kitas und Grundschulen eventuell etwas weitergegangen, kann aber nicht ausschließen, dass ich mit diesem Vorgehen falsch handeln würde.
Es dreht sich dabei um die Kernhypothese, Kinder unter zehn Jahren seien keine besonderen Treiber der Pandemie. Aber ist der Satz so überhaupt zu halten und falls ja: Ist er noch relevant?
Ich denke, er ist zu halten. Man darf aber daraus nicht schließen, dass Kinder nicht infektiös seien oder das Virus nicht verbreiten können. Die Mehrzahl der Studien zeigt, dass in Familien mit Kindern unter zehn Jahren die Infektion seltener von den Kindern ausgegangen ist, die Kinder auch seltener infiziert waren. Bei Influenza ist das ganz anders, da sind Kinder eindeutig Treiber der Ausbreitung. Aber wenn die Infektionszahlen mit Sars-CoV-2 insgesamt hoch sind, dann tragen natürlich auch Kinder mehr zur Verbreitung eines Virus bei.
Vor einiger Zeit sagten Sie, für die Verhaltensregeln sei es egal, um welche Variante es sich handelt. Gilt das noch?
Ja, das gilt noch; die physikalischen Eigenschaften des Virus haben sich nicht geändert, nur die biologischen. Das Virus breitet sich leichter aus, aber die Übertragungswege, der Schutz durch Masken und die Ausbreitung durch Tröpfchen haben sich nicht verändert. Allerdings müssen diese Maßnahmen bei den neuen, leichter übertragbaren Varianten noch strikter angewendet und unter Umständen sogar verschärft werden, eben weil sich das Virus leichter überträgt. Beruhigend ist dagegen, dass die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna auch gegen die neuen Varianten wirksam sind.