Von Klaus Welzel
Heidelberg. Seit Ende März erklärt Hans-Georg Kräusslich, Chefvirologe am Heidelberger Universitätsklinikum und Dekan der Medizinischen Fakultät, die Corona-Pandemie im RNZ-Podcast. In der 19. Folge geht es um riskante Reiseländer, die drohende zweite Welle und das richtige Verhalten am Strand.
Prof. Kräusslich, immer wieder gibt es gegensätzliche Meldungen zum Coronavirus. Jetzt wollen Forscher in den USA bei der Entwicklung eines Impfstoffs vielversprechende Fortschritte gemacht haben. Sollte das ein Grund zur Freude ein?
Ich denke, wir sollten uns immer freuen, wenn es Fortschritte gibt. Insofern ist es prinzipiell ein gutes Signal. Wir sollten aber nicht vorschnell daraus schließen, dass jetzt sehr bald ein Impfstoff zur Verfügung stehen wird. In den verschiedenen Studien – von Biontech aus Mainz gemeinsam mit Pfizer sowie von Moderna aus den USA – wurden Antikörper gegen den Erreger im Blut der Probanden gefunden. Welchen Effekt diese Antikörper haben, ob sie schützen und wie lange sie bleiben, kann man im Moment nicht beurteilen. In ersten klinischen Studien werden stets nur sehr wenige Personen geimpft, wobei es primär darum geht, die Sicherheit festzustellen, also ob gegebenenfalls Nebenwirkungen auftreten. Zumindest schwere Nebenwirkungen sind offensichtlich nicht eingetreten. Dies und die Antikörper sind also ein erstes Signal, alles weitere müssen wir abwarten.
RNZ-Corona-Podcast - Folge 19: Das Corona-Risiko auf Reisen
Interview: Klaus Welzel / Schnitt und Produktion: Reinhard Lask
Vor wenigen Tagen berichteten deutsche Forscher, bei frühen Coronapatienten seien teilweise so gut wie keine Antikörper mehr nachweisbar – was bedeutet das in Bezug auf einen Impfstoff? Von der Grippeimpfung sind wir ja daran gewöhnt, uns einmal im Jahr impfen zu lassen.
Gerade die Grippeimpfung ist ein Beispiel dafür, dass eine Impfung nicht dauerhaft schützt, deshalb impft man ja jährlich. Dies ist anders als zum Beispiel bei Masern, wo zwei Impfungen im Leben reichen. Die für uns wichtigste Frage lautet, was es für den Impfschutz bedeuten würde, wenn die Antikörpertiter abfallen. Natürlich ist es gut, wenn wir viele und vor allem schützende Antikörper im Blut finden; insofern könnte es problematisch sein, wenn diese rasch abfallen. Andererseits werden durch die Impfung auch Gedächtniszellen produziert, die sich daran erinnern können, Antikörper zu produzieren, wenn sie mit dem Virus in Kontakt kommen. Somit könnte auch bei einer zunächst niedrigen Menge von Antikörpern im Blut bei Infektion schnell mehr produziert und ein Schutz erreicht werden. Außerdem haben wir den zweiten Arm der Immunität, die sogenannte zelluläre Immunität, die zur Zerstörung infizierter Zellen führt und die durch manche Impfstoffe ebenfalls aktiviert wird. Welche Rolle der zelluläre Schutz bei diesem Erreger spielt, können wir derzeit nicht sicher sagen. Dass die Menge an Antikörpern nach Infektion schon nach wenigen Monaten wieder sinkt, ist natürlich kein positives Zeichen, aber man sollte daraus keinesfalls Zweifel an der möglichen Impfstoffentwicklung ableiten.
In diesen Tagen meldet das Robert-Koch-Institut über 500 Neuinfektionen pro Tag – wie ist diese Zahl epidemiologisch einzuordnen?
Die aktuelle Zahl ist immer noch so niedrig, dass ich für den Moment keine Sorge habe. Entscheidend ist die Tendenz, die derzeit nicht kontinuierlich ansteigt.
In der hiesigen Region werden wieder ein paar Fälle gemeldet – sind das alles Schüler oder Urlaubsheimkehrer?
Ich glaube, es gibt unterschiedliche Ursachen. Für den Rhein-Neckar-Kreis weiß ich es nicht genau, aber in Baden-Württemberg gibt es eine Reihe von Fällen, die mit Reisen assoziiert sind. Nicht mit der Situation am "Ballermann" – das ist noch zu früh –, sondern eher aus Serbien, dem Kosovo und auch aus Kroatien. Im Moment sind dies in der Regel Einzelfälle, man wird sehen, ob die Testung in Heddesheim möglicherweise eine Ausbreitung zeigt; dort wurde bei zwei Mitarbeitern eines Edeka-Lagers eine Virusinfektion festgestellt. So lange es möglich ist, diese Einzelfälle zu isolieren, die Kontakte nachzuverfolgen und es keine Ausbreitung gibt, ist das gut handhabbar. Generell muss uns aber klar sein: Das Virus wird nicht weggehen, auch wenn wir einmal ein paar Tage in Heidelberg keinen einzigen Fall haben. Es wird weiter Infektionen geben, auch bei uns, und wir werden mit diesen Infektionen leben und die Ausbreitung eindämmen müssen.
Israel kämpft ja derzeit mit der zweiten Welle?
So ist es. Israel erlebt gerade die zweite Welle, wobei es anfangs kaum eine erste Welle gab, weil das Land sehr rasch und sehr massiv reagiert hat. Das öffentliche Leben wurde deutlich stärker beschränkt als bei uns, auch mit Reisebeschränkungen im großen Umfang. Dann hat die Regierung aufgrund der massiven wirtschaftlichen Folgen und des öffentlichen Drucks sehr schnell alle Einschränkungen gleichzeitig aufgehoben. Aus meiner Sicht ist man dort den falschen Weg gegangen: Nach einer zunächst sehr erfolgreichen Eindämmung des Erregers wollte man schnellstmöglich zu einem normalen Leben zurückkehren und hat fast alle Maßnahmen gleichzeitig beendet. Ich denke, dass der in Deutschland verfolgte Weg einer schrittweisen Lockerung bei enger Beobachtung des Infektionsgeschehens sich eindeutig als besser erweist.
Seit ein paar Wochen läuft die Corona-Warnapp – Sie haben sie installiert: Wurden Sie bereits einmal informiert, in Kontakt mit einer infizierten Person gestanden zu haben?
Nein, ich habe nur die übliche Fehlermeldung erhalten, dass die Abdeckung in der Region zu gering ist – und diese Meldung habe ich weggeklickt, ansonsten hat die App noch nicht mir gesprochen. Also: Es ist alles grün!
Sie selbst planen ja ihren Sommerurlaub auf der Insel Korsika – werden Sie sich dort an den öffentlichen Strand legen?
Ich gehe lieber an den Strand, wenn er ganz leer ist – um 8 Uhr morgens. Dann haben Sie einen kompletten Strand für sich alleine, können zwei Stunden schwimmen gehen oder paddeln. Mittags, wenn alles voll ist, bin ich lieber an einem Ort, wo nicht so viele Menschen sind. Das haben wir aber schon immer so gemacht und insofern auch schon früher die Abstandsregeln eingehalten. Ich würde in der jetzigen Situation sicher nicht Körper an Körper am Strand liegen wollen; aber im Meer schwimmen zu gehen oder mit entsprechendem Abstand an den Strand zu gehen, dagegen spricht absolut nichts.
Eine Meldung aus Sachsen lautete, Kinder seien eine Bremse für die Ausbreitung des Virus – sehen Sie vor diesem Hintergrund den Schulstart im September entspannt oder als echtes Risiko?
Ich sehe ihn weder entspannt noch als echtes Risiko, sondern als eine Situation, die wir sorgfältig und engmaschig beobachten müssen. Die in einer Pressemitteilung zusammengefasste Schlussfolgerung, dass Kinder eine Bremse der Infektion seien, halte ich auf der Grundlage der vorliegenden Ergebnisse nicht für berechtigt. Die Tatsache, dass Kinder auch nach Öffnung der Schulen nicht häufig infiziert sind, passt zu unserer baden-württembergischen Kinderstudie. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass Kinder keine Treiber der Epidemie sind; dazu stehe ich weiterhin und mehr sagen auch die neuen Ergebnisse aus Sachsen nach meiner Meinung nicht.