US-Präsident Donald Trump unterzeichnet die Proklamation, in der er Jerusalem als die Hauptstadt Israels anerkennt. Foto: Alex Brandon
Von Tobias Schmidt, RNZ Berlin
München. Professor Michael Wolffsohn (70) lehrte als deutsch-israelischer Historiker von 1981 bis 2012 an der Universität der Bundeswehr München
Herr Wolffsohn, viele getötete und verletzte Palästinenser nach der Einweihung der US-Botschaft in Jerusalem: Trägt US-Präsident Donald Trump mit seiner Entscheidung eine Mitverantwortung für die Explosion der Gewalt?
Das ist eine abenteuerliche Unterstellung. Trump hat die Wirklichkeit der Wirklichkeit anerkannt. Seit 1949 ist Jerusalem Israels Hauptstadt. Wo treffen ausländische Politiker, auch Frau Merkel, ihre israelischen Kollegen? In Jerusalem. Wo hat Ägyptens Präsident 1977 Versöhnung und Frieden mit Israel eingeleitet? In Jerusalem. Am Montag geschah etwas ganz anderes: Wir sahen, wie die Hamas das Lehrbuch der Guerilla anwendet. Konkret: Man benutzt die eigene Zivilbevölkerung als Geisel gegen das überlegene feindliche Militär. Dieses wird so lange provoziert, bis es schießt. So schafft man Märtyrer, und Märtyrer schaffen Mitleid. Mitleid verunsichert den Feind und schafft in der Außenwelt Sympathie. Beides soll auf die politische Führung des feindlichen Militärs Druck erzeugen und einen Kurswechsel herbeiführen.
"Aus dem Lehrbuch der Guerilla"Steckt nicht vor allem innenpolitisches Kalkül hinter der Entscheidung des US-Präsidenten?
Nein. Das wird immer wieder behauptet, verkennt aber das Wesen der amerikanischen Politik. Überall auf der Welt interessieren sich die meisten Bürger in erster Linie für Sport, dann Lokal- und Innenpolitik und dann, wenn überhaupt, für Außenpolitik.
Sollte Deutschland folgen und seine Botschaft ebenfalls nach Jerusalem verlegen?
Ja, wenn man das Erbe Willy Brandts ernst nimmt. Er ging von den bestehenden Fakten aus und ließ sich nicht von Fiktionen leiten. Am Ende wurde so die Wirklichkeit, die Teilung Deutschlands, überwunden.
Sie vergleichen Trumps Israel-Politik mit Brandts Entspannungspolitik. Aber haben die USA ihre Rolle als Makler im Nahen Osten nicht torpediert, indem sie sich einseitig hinter Israel stellen - auch mit Blick auf die Siedlungspolitik?
Nein. Der "Ehrliche Makler", das ist eine so oft wiederholte Floskel. Sie geht am Wesen der Politik völlig vorbei. Diese Floskel stammt von Bismarck, und schon bei ihm war es irreführende Eigenpropaganda. Vermitteln können bei internationalen Konflikten fast immer nur diejenigen, die auch über Druckmittel verfügen. Ich liebe Lyrik, aber als politisches Instrument ist sie leider ungeeignet.
Die Proteste bleiben weitgehend auf den Gazastreifen beschränkt, in der arabischen Welt folgt kaum jemand der Hamas. Sind die radikalen Palästinenser am Ende?
Nicht am Ende, aber so erfolglos wie eh und je. Das ist die wahre Tragödie des leidgeprüften palästinensischen Volkes. Dessen Führung war und ist politikunfähig. Das heißt: Sie hat nicht verstanden, dass der Kompromiss von heute der Samen für den weitergehenden Erfolg von morgen ist.
Sehen Sie überhaupt Chancen, den Friedensprozess wiederzubeleben? Was müsste dafür geschehen?
Friedensprozess? Wo gab es den in den letzten Jahren? Das war der immerselbe Weg in die Sackgasse. An deren Ende steht das Schild "Zweistaatenlösung". Auch die geht von falschen Annahmen aus. Die Lösung besteht aus einer Mischung von Bundesstaat und Staatenbund zwischen Israel, dem Westjordanland, Gaza und Jordanien. In meinem Buch "Zum Weltfrieden" habe ich das ausführlich erklärt.
Noch ein Blick auf den Iran-Konflikt: Die Europäer versuchen, den Atom-Deal ohne die USA zu retten. Wie kann das gelingen?
Gar nicht. Und wieder gehen Deutschland und Europa von ihrer Wunsch- und Traumwelt aus, nicht von den realpolitischen Gegebenheiten.
Zeigt Trumps Aufkündigung des Abkommens nicht, dass die USA an internationaler Konfliktlösung kein Interesse mehr haben?
Ganz im Gegenteil. Wer die realen Bestimmungen des Atomabkommens kennt und nicht, wie in Deutschland und Europa üblich, Traum- und Wunschbilder erkennt, fragt sich sofort: Was soll nach 10 Jahren passieren? Denn das Abkommen ist auf 10 Jahre begrenzt. Gilt da für Deutschlands und Europas Politiker sowie die übrigen Befürworter des Abkommens: "Nach mir die Sintflut"? Das ist unverantwortlich. Der Iran hat Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von 2000 Kilometern. Er baut Langstreckenraketen, die auch nukleare Sprengköpfe tragen können. Langstreckenraketen braucht der Iran nicht gegen Israel oder Saudi Arabien. Gegen Europa, die USA? Also ist der Iran immer noch eine Gefahr für den Weltfrieden. Man muss Trumps Iran-Politik mit seiner Korea-Politik verbinden. Da hat er Erstaunliches bewegt.