Von Tobias Schmidt, RNZ Berlin
Berlin. Lars Klingbeil (40) ist Generalsekretär der SPD. Der gebürtige Soltauer wird dem konservativen Seeheimer Kreis in der Partei zugerechnet. Während seines Studiums der Politik, Soziologie und Geschichte arbeitete Klingbeil unter anderem in Hannover im Bundestagsabgeordnetenbüro von Gerhard Schröder.
Herr Klingbeil, das Bamf steht weiter in der Kritik. Hinweisen wurde offenbar zögerlich nachgegangen. Nicht nur in Bremen, auch in anderen Außenstellen gab es Unregelmäßigkeiten. Muss der Skandal vor einen Untersuchungsausschuss?
Das massenweise Ausstellen falscher Asylbescheide ist absolut nicht hinnehmbar. Jetzt müssen wirklich alle Fakten auf den Tisch, und zwar schnell.
Einen Untersuchungsausschuss, wie ihn FDP und AfD verlangen, braucht es aber nicht?
Ich bin sicher, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer die Vorgänge zügig und umfassend aufklären wird. Dazu gehört auch, offenzulegen, wann er welche Informationen erhalten hat und wie er den Hinweisen nachgegangenen ist. Wir brauchen absolute Klarheit darüber, wie es zu dieser Situation kommen konnte.
Zur Dieselkrise: Auch nach den Klagen aus Brüssel und der Urteilsbegründung aus Karlsruhe halten Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer und Kanzlerin Angela Merkel am Nein zu Hardware-Nachrüstungen fest. Muss die Regierung nicht Druck auf die Industrie machen, um die Gesundheit der Menschen zu schützen und den Dieselfahrern zu helfen?
Wir wollen wirksame Maßnahmen für bessere Luft und gleichzeitig Fahrverbote vermeiden. Gerade auf dem Land ist es zum Beispiel für Handwerker wichtig, dass sie in die Städte fahren können. Sonst sind Jobs in Gefahr. Natürlich müssen wir deshalb auch über Maßnahmen reden, die die Autohersteller in die Pflicht nehmen. Denn die haben durch Manipulation Gewinne erzielt, und den Schaden trägt jetzt die Gemeinschaft doppelt und dreifach.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze fordert, die Industrie müsse auf ihre Kosten moderne Abgasreinigung in die Wagen einbauen. Hat sie die Rückendeckung der SPD?
Wir müssen in der Bundesregierung jetzt schnell einen Konsens über die konkreten Maßnahmen hinbekommen. Svenja Schulze hat da sehr konkrete Vorschläge vorgelegt. Wenn die Union gegen Hardware-Nachrüstungen ist, muss sie andere Vorschläge machen.
Die personelle Neuaufstellung ihrer Partei hat den Sinkflug in den Umfragen nicht stoppen können, die Talfahrt geht weiter. Wo bleibt die Aufbruch-Stimmung, wo sind die Akzente?
Wir sind mitten drin in der Erneuerung der SPD. Das geht nicht von heut auf morgen, deshalb nehmen wir uns dafür Zeit. In dieser Zeit entwickeln wir neue Ideen und Konzepte, und wir stärken unsere Strukturen und die Vielfalt in der Partei. Schlechte Umfragewerte sind natürlich nicht schön, aber auch kein Grund, nervös zu werden. Es war falsch, in der Vergangenheit bei jeder neuen Umfrage gleich die Strategie zu wechseln. Der Weg, sich auf die Inhalte zu konzentrieren und Kurs zu halten, ist genau der richtige.
Partei-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel, der bald in Hessen eine Landtagswahl zu bestreiten hat, fordert mehr Mut und mehr Lautstärke von Bundespartei und Bundestagsfraktion. Nehmen Sie die Kritik an?
Die Union setzt immer wieder auf gezielte Provokationen, um sich Gehör zu verschaffen. Herr Spahn, Herr Seehofer oder Herr Dobrindt setzen Themen auf die Agenda, mit denen sie der AfD hinterherlaufen. Soziale Themen scheinen Herrn Dobrindt nicht zu interessieren. Er versucht stattdessen immer wieder, das Thema Flüchtlingspolitik populistisch zu instrumentalisieren. Das wird der Union noch heftig auf die Füße fallen. Denn die Mehrheit der Menschen hat die AfD nicht gewählt und hat auch kein Interesse an solchen angstgetriebenen Debatten. Die Erwartung der allermeisten Menschen an die Politik ist, dass wir uns um Themen wie Wohnungsbau, Renten und Arbeitsmarkt kümmern. Hier wird die SPD laut sein, Akzente setzen und für spürbare Verbesserungen sorgen.
In der SPD-Fraktion ist besonders die Enttäuschung über Bundesfinanzminister Olaf Scholz und den Haushalt der "roten Null" groß. Hat Scholz die Chance für einen echten Investitionshaushalt und damit ein klares Aufbruchssignal verpasst?
Das Gegenteil stimmt. In dem Haushalt, den Olaf Scholz vorgelegt hat, steigen die Investitionen gegenüber der letzten Wahlperiode um 23 Prozent! Familie, Bildung, Rente: Überall sorgt die SPD für mehr Investitionen. Und das ohne neue Schulden.
Europa sollte das große Thema werden. Jetzt kommt in Italien eine Regierung an die Macht, die vor allem Geld ausgeben und mehr Geld aus Brüssel haben will. Das macht Ihnen einen Strich durch die Rechnung, oder?
Wir brauchen einen Aufbruch für Europa, und Deutschland wird diesen Aufbruch gemeinsam mit Frankreich voranbringen. Aber wenn wir uns die Entwicklungen in Italien, Polen oder Ungarn anschauen, ist klar: Für ein starkes Europa müssen wir jetzt kämpfen.
Im Koalitionsvertrag wird ein neuer Investitionshaushalt für die Eurozone in Aussicht gestellt. Dieser wird auch von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gefordert. Wird die SPD Wort halten?
Selbstverständlich. Europa bietet gerade angesichts der turbulenten weltpolitischen Lage eine Chance für Stabilität und Wohlstand. Dafür werden wir mit Frankreich zusammen mehr Verantwortung übernehmen müssen. Olaf Scholz wird dafür bald sehr konkrete Vorschläge machen.