Von Andreas Herholz, RNZ Berlin
Berlin. Jens Spahn (38) ist Bundesgesundheitsminister, CDU-Präsidiumsmitglied und einer der Kandidaten für den Parteivorsitz.
>>Dies ist der erste Teile der RNZ-Interviewserie mit den Kandidaten um den CDU-Vorsitz. Das Gespräch mit Annegret Kramp-Karrenbauer gibt es hier<<
Beginn der zweiten Hälfte des Kandidatenrennens um die Nachfolge von CDU-Chefin Angela Merkel - wie fällt Ihre bisherige Bilanz der Regionalkonferenzen und des Wettbewerbs mit Ihren Mitbewerbern Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz aus?
Spahn: Sehr gut! Jeder spürt den Aufbruch in der Partei. Das Interesse und die Aufmerksamkeit sind groß. Tausende Mitglieder kommen, wollen diesen Wettbewerb, wollen aber auch, dass er fair ist und wir am Ende zusammenbleiben. Der CDU tut das gut. Wir überraschen uns selbst. Die Partei wirkt befreit, diskutiert offen, kontrovers und angstfrei. Das hatten wir in den letzten Jahren nicht. Die gute Stimmung ändert aber noch nichts an der ernsten Lage und den schlechten Umfragewerten der Partei.
Aber der Ton wird plötzlich rauer. Droht jetzt doch eine Schlammschlacht zum Schluss?
Nein, das sehe ich nicht. Uns ist allen bewusst, dass der innerparteiliche Zusammenhalt oberste Priorität hat.
Glaubt man den Umfragen, läuft die Entscheidung auf ein Duell zwischen CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz hinaus. Wie wollen Sie das noch aufholen? Oder ziehen Sie Ihre Kandidatur am Ende doch noch zurück?
Nein, das kann ich ausschließen. Ich stehe für Erneuerung und eine neue, offene Debattenkultur. Die kann die Partei zu einer neuen Einigkeit führen. Die Umfragen nehme ich als Ansporn. Das Rennen ist noch längst nicht entschieden.
Warum sind Sie der Richtige für das Amt? Und was würde die Spahn-CDU von der Merkel-CDU unterscheiden?
Die CDU muss sich weiterentwickeln. Wir brauchen eine breite Debatte in der Partei über die großen Zukunftsfragen der Gesellschaft. Wie gestalten wir die Digitalisierung? Was tun gegen den Klimawandel? Die CDU muss wieder die Partei sein, die Themen setzt und angeht. Nicht als Selbstzweck, sondern um klare Entscheidungen treffen zu können, hinter denen die Partei geschlossen steht. Ich vertrete eine jüngere Generation, die jetzt Verantwortung für die Gestaltung der nächsten 20 Jahre übernehmen will.
Breite Unterstützung für den UN-Migrationspakt. Selbst Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) warnt vor einem deutschen Nein. Sie wollen dagegen eine Debatte und eine Abstimmung über das Abkommen auf dem CDU-Bundesparteitag. Was spricht gegen den Pakt? Ist er eine Einladung für alle?
Als Mitglied der Bundesregierung stehe ich zu dem Migrationspakt. Wir brauchen internationale Leitlinien für Migration. Beim UN-Migrationspakt ist allerdings bei vielen der Eindruck entstanden, wir drückten uns vor einer offenen Debatte. Das hat erst Verschwörungstheorien und Unbehagen möglich gemacht. Die Fraktion plant einen Antrag, der die vielen Vorbehalte und Sorgen aufgreift und ausräumt. Ich begrüße, dass dieser Antrag proaktiv auf dem Bundesparteitag vorgelegt und abgestimmt werden soll. Das ist ein gutes Ergebnis der Debatte der letzten Tage. Und es gibt uns als Partei und Regierung eine zweite Chance, in die kommunikative Offensive zu kommen.
CDU-Vizechef und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet kritisiert, dass das Thema Migration zu sehr im Mittelpunkt stehe. Eine berechtigte Kritik?
Armin Laschet hat Recht damit, dass Migration nicht das einzige Thema der CDU ist. Alle drei Bewerber um den CDU-Vorsitz merken auf den Regionalkonferenzen aber, dass es ein Thema ist, das die Mitglieder an der Basis bewegt. Dieser Diskussion müssen wir uns stellen. Und natürlich ist es eine Zukunftsfrage, ob und wie die Integration von Hunderttausenden Migranten aus anderen Kulturkreisen in unserem Land gelingt. Darüber müssen wir reden, das erwarten die Menschen von uns.
CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer verteidigt die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel und die Entscheidung, die Grenzen damals zu öffnen ...
2015 kam es nach einer richtigen humanitären Geste zu einem Kontrollverlust. Darauf hat auch Annegret Kramp-Karrenbauer zu Recht hingewiesen. Wir sind uns in der CDU einig, dass sich so eine Situation nicht wiederholen darf. Die entscheidende Frage ist: Haben wir schon genug dafür getan? Auf europäischer Ebene muss hier noch deutlich mehr geschehen. Der Schutz der europäischen Außengrenzen funktioniert noch nicht so wie er muss. Auch die Durchsetzung der Ausreisepflicht aus Deutschland muss besser werden. Wir haben Fortschritte erzielt, müssen aber besser werden.
Ihr Mitbewerber Friedrich Merz hält für eine europäische Lösung eine Änderung des deutschen Asylrechts und einen Gesetzesvorbehalt im Artikel 16a des Grundgesetzes für notwendig. Brauchen wir Einschränkungen des Grundrechts?
Friedrich Merz hat inzwischen klar gemacht, dass er das Grundrecht auf Asyl nicht in Frage stellt. Ich sage: Es ist ein hohes Gut, für dessen Akzeptanz wir kämpfen müssen. Dafür müssen wir konkrete Probleme lösen. Der Schutz der europäischen Außengrenzen muss besser werden und die EU-Grenzschutzagentur Frontex wirksamer arbeiten. Wir Europäer müssen an der Grenze entscheiden, wer zu uns kommen kann und wer zurückgewiesen werden muss. Der Schlüssel liegt in einem wirklich funktionierenden Außengrenzenschutz. Da müssen wir hin, da sind wir noch nicht.
Die jüngsten Konjunkturdaten deuten darauf hin, dass es mit der positiven Wirtschaftsentwicklung schon bald vorbei sein könnte. Sind wir bereits wieder auf dem Weg in die nächste Wirtschaftskrise?
Noch genießen wir die gute wirtschaftliche Situation. Wir müssen aber mehr tun, um unseren Wohlstand zu sichern. Wir brauchen steuerliche Impulse für jeden Einzelnen, aber auch für die Unternehmen. Es wird Zeit für eine Einkommensteuerreform und die vollständige Abschaffung des Soli, um auch kleine und mittlere Einkommen weiter zu entlasten. Wenn die USA und Großbritannien Unternehmenssteuern spürbar senken, müssen wir das doch wahrnehmen und reagieren. Wir brauchen Investitionen in die Zukunft, vor allem auch auf europäischer Ebene. Auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz und im Bereich Digitalisierung müssen wir in der EU Milliarden investieren.
Steuerentlastungen und die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlages lehnt die SPD weiter ab. Daraus wird in dieser Wahlperiode dann wohl nichts, oder?
Der CDU-Bundesparteitag wird nach meiner Einschätzung beschließen, dass der Soli schneller als geplant abgebaut werden soll. Die große Mehrheit in der CDU ist dafür. Bei der Einführung hieß es, dass es sich um eine vorübergehende Abgabe handelt, die schnell wieder verschwindet. Da stellt sich auch die Frage der Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit von Politik. Deshalb sollten wir ihn jetzt auch schnellstmöglich abschaffen.
Beim Thema Digitalisierung wirbt die Politik immer für die großen Chancen. Aber viele Menschen haben Angst vor den Risiken, fürchten, nicht mithalten zu können und ihre Jobs zu verlieren. Wie wollen Sie sie beruhigen?
Voraussetzung für Digitalisierung ist ein gutes Netz, ein flächendeckender Breitbandausbau. Wir brauchen ein Datenschutzrecht, das auch Big-Data-Anwendung möglich macht. Wir müssen Daten auch als Rohstoff und Wertstoff zur Wohlstandssicherung verstehen. Die Investitionen in Forschung und Entwicklung gilt es, deutlich zu erhöhen - gerade auch, was künstliche Intelligenz angeht. Dann entstehen auch neue Jobs.
Anja Karliczek (CDU) ist der Meinung, den Mobilfunk-Standard G5 müsse es künftig "nicht an jeder Milchkanne" geben. Werden da die ländlichen Räume abgehängt?
Nein. Unser Ziel ist es, in ganz Deutschland flächendeckend 5G zu schaffen. Das wird nicht in einem Schritt gelingen. Aber es darf langfristig keine weißen Flecken geben. Wir brauchen 5G auch in den ländlichen Räumen, etwa für das autonome Fahren. Auch die Milchkanne muss schließlich abgeholt werden.
Die SPD rückt von Hartz IV ab, die Grünen wollen eine Garantiesicherung, ähnlich wie ein bedingungsloses Grundeinkommen - ist Hartz IV in Zeiten nahe der Vollbeschäftigung ein Auslaufmodell?
Jeder, der arbeiten kann, sollte grundsätzlich auch arbeiten. Mir ist sehr wohl bewusst, dass diejenigen, die das nicht können, dauerhaft die Unterstützung der Gemeinschaft brauchen. Die Malocher, die jeden morgen früh aufstehen und zur Arbeit gehen, finanzieren den Sozialstaat. Und nicht wenige haben damit nicht mehr in der Tasche als die, die zwar arbeiten könnten, es aber nicht tun. Daher ist es nur ein Gebot der Fairness, dass sich jeder mit dem, was er kann, auch einbringt. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens wäre ebenso ein falsches Signal wie die Abschaffung von Hartz IV. Wir müssen am Prinzip "Fordern und Fördern" festhalten.
Und die Zukunft von Hartz IV?
Die mit Hartz IV verbundenen Reformen waren insgesamt erfolgreich. Es ist schade und unverständlich, dass sich die SPD zu ihrer eigenen Erfolgsgeschichte nicht selbstbewusst bekennt. Natürlich gibt es Reformbedarf bei Hartz IV, vor allem beim Abbau überflüssiger Bürokratie. Gerichtsverfahren um Kleinstbeträge, die jahrelang dauern etwa, daran sollten wir ansetzen.
Ihr Mitbewerber um den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz, hat kritisiert, dass in der CDU der Aufstieg der AfD viel zu lange nur mit Achselzucken hingenommen worden sei. Ein berechtigter Vorwurf?
Viele Tausend CDU-Wahlkämpfer und Parteimitglieder haben sich dem Aufstieg der AfD entgegen gestellt. Aber natürlich tragen wir auch eine Mitverantwortung dafür, dass die AfD jetzt in allen Landesparlamenten und im Bundestag sitzt. Die gute Nachricht daran ist: Wir haben auch die Chance, die AfD wieder verschwinden zu lassen. Wenn wir die richtigen Themen ansprechen, die Probleme konkret lösen und Führungspersönlichkeiten mit dem richtigen Profilhaben, können wir die AfD wirksam bekämpfen. Unser Ziel ist und bleibt, möglichst viele Wählerinnen und Wähler wieder in die bürgerliche Mitte zu ziehen. Das sind wir der Demokratie schuldig.