„Jeder Sterbende braucht Begleitung“, sagt Heinrich Bedford-Strohm. Foto: dpa
Von Andreas Herholz, RNZ Berlin
Berlin. Heinrich Bedford-Strohm (60) ist Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.
Herr Landesbischof, Weihnachten 2021 in Zeiten der Pandemie – da fällt es schwer, unbeschwert zu feiern, oder?
Wir sind eine verwundete Gesellschaft. Wir alle miteinander sind hochnervös und emotional. Die Geduld geht zu Ende. Es ist schon ein sehr ungewöhnliches Weihnachtsfest. Ich hoffe und vertraue darauf, dass es dennoch besondere Weihnachten werden und die Weihnachtsbotschaft umso kraftvoller unsere Herzen erreicht. Es ist eine Botschaft der Hoffnung und der Liebe. Die größte Kraft der Weihnachtsbotschaft liegt in der Hoffnung, die sie bis heute ausstrahlt. Das ist genau das, was wir im Moment so dringend brauchen. Dass wir mit dem Gefühl weiterleben, dass Gott uns begleitet, dass wir behütet sind und uns kein Virus der Welt von ihm trennen kann.
In der Pandemie sind viele isoliert, einsam und allein, manche krank. Da wird diese Botschaft kaum trösten…
Natürlich brauchen Menschen, die allein und einsam sind, zuallererst andere Menschen, die bei ihnen sind. Wer einsam ist, braucht Menschen, die ihn anrufen, falls möglich besuchen und ihm beistehen. Wir müssen die Augen offenhalten, wo können wir anderen beistehen und ihr Leiden mittragen und lindern? Das Weihnachtsfest würde diese Kraft gar nicht entfalten können, wenn nicht auch das Leid der Welt in den Blick genommen würde. Dass Weihnachten als das Fest der Liebe gilt, hat damit zu tun, dass unser Blick genau auf die Notleidenden gerichtet wird. Auf die Menschen, die wie Jesus am Kreuz schreien, "Mein Gott, mein Gott", warum hast Du mich verlassen". Menschen, die heute in schlimmster Not sind. Gottes Liebe ist stärker als dieses Leid. Das müssen wir vermitteln.
Ist es nicht unmenschlich, wenn Menschen in Kliniken und Pflegeheimen sterben, ohne dass sich von ihren Angehörigen verabschieden zu können?
Jeder Sterbende braucht Begleitung. Es muss gewährleistet werden, dass jeder beim Sterben begleitet wird. Seelsorger und die nächsten Angehörigen müssen Zugang haben, wenn Menschen sterben.
In der Pandemie haben es die Schwächsten wie Obdachlose und sozial Schwache besonders schwer. Geraten Sie jetzt weiter ins Abseits?
Wir dürfen Mitmenschen, die jetzt in besonderer Not sind, nicht allein lassen. Ihnen muss schnell und unbürokratisch geholfen werden. Auch wenn es einem selber schlecht geht, darf man diejenigen nicht aus dem Blick verlieren, denen es noch viel schlechter geht. Wir als Kirche tun, was wir können. Seit Beginn der Pandemie helfen wir mit Sondermitteln, auch wenn die Kirchensteuer-Mittel zurückgehen. Die Menschen können die Kollekten der Hilfswerke unterstützen, etwa Brot für die Welt oder Adveniat auf katholischer Seite. Dieses Jahr gibt es die große Gefahr, dass die Weihnachtskollekten geringer ausfallen, weil es weniger Gottesdienste und weniger Besucher gibt. Da geht es um über die Hälfte des jährlichen Budgets mancher Hilfsorganisationen. Aber man kann auch online spenden.
Gerät da auch das Engagement für Flüchtlinge in den Hintergrund?
Die Gefahr besteht, dass diese Themen an den Rand gedrängt werden. Insbesondere in dem Lager auf Lesbos, das wir unter dem früheren Namen Moria kennen. Dort ist die Lage dramatisch, insbesondere auch die Situation der Kinder. Es ist eine schlimme Situation, die für Europa absolut unwürdig ist.
Es gibt Kritik daran, dass trotz hartem Lockdown Gottesdienste zu Weihnachten stattfinden sollen. Drohen da nicht neue Infektionsherde?
Wir haben extrem strenge Hygienekonzepte, die auch peinlichst genau eingehalten werden. Die Zahl der Besucher ist sehr begrenzt. Es wird keine überfüllten Gottesdienste geben. Es gibt ein großes Angebot an digitalen und Fernseh-Gottesdiensten. Es gibt aber auch Menschen, die allein sind und für die der Gottesdienst in der Kirche ein Ort des Trostes ist, den sie gerade jetzt brauchen.
In Bayern gab es Streit um die Absage der späten Christmette.
Wir haben darum gerungen, wie wir uns zu den Christmetten nach 21 Uhr und in der Zeit der Ausgangssperre verhalten. Die staatliche Seite ist der Ansicht, dass dies wegen des Infektionsschutzes nötig ist. Das hat großes Gewicht. Daran halten wir uns.