Von Andreas Herholz, RNZ Berlin
Berlin. Der Stuttgarter Cem Özdemir war von November 2008 bis Dezember 2018 Bundesvorsitzender Grünen. Der ehemalige Europaabgeordnete ist heute im Bundestag Vorsitzender des Verkehrsausschusses. Mit der RNZ sprach Özdemir über das VW-Urteil und geht dabei auch mit den CSU-Politikern Andreas Scheuer und Alexander Dobrindt hart ins Gericht.
Herr Özdemir, Volkswagen muss Käufern von manipulierten Diesel-Fahrzeugen Schadenersatz zahlen. Wie bewerten Sie die Entscheidung des Bundesgerichtshofes?
Die Entscheidung ist eine krachende Ohrfeige für VW. Das Urteil stärkt den Verbraucherschutz und schafft Rechtsklarheit. Es ist ein wichtiges Signal für die rund 60.000 anhängigen Verfahren gegen den Konzern. Ähnliche Urteile gegen andere Hersteller könnten nun folgen. Viereinhalb Jahre nach dem Auffliegen des Dieselskandals sind wir immer noch mit den Spätfolgen beschäftigt.
Entschädigung können nur Kunden erwarten, die geklagt hatten. Müsste Volkswagen jetzt nicht kulant sein und allen betroffenen Kunden Schadenersatz leisten?
VW sollte jetzt reinen Tisch machen und betrogene Kunden entschädigen. In den USA ist das schon 2016 geschehen. Die gesamte Autoindustrie sollte alles dafür tun, dass es in Zukunft keine solchen Skandale mehr gibt. Und dasselbe gilt für die Bundesregierung. Denn der Abgasskandal ist eine Folge falsch verstandener Freundschaft zwischen Autoindustrie und Politik. Dobrindt, Scheuer und Co. sind falsche Freunde unserer Automobilwirtschaft, die lieber wegschauen statt auch mal Tacheles zu reden. Dieses Modell ist krachend gescheitert. Der Abgasskandal hat die Konzerne Milliarden gekostet. All dieses Geld konnte nicht in klimafreundliche Innovationen investiert werden. Das darf nicht nochmal passieren. Wenn ich mir den aktuellen staatlich subventionierten Klima-Betrug beim Plug-In-Hybrid anschaue, bin ich mir nicht sicher, ob das überall verstanden wurde. Dabei könnte man hier ganz einfach durch mutigere Politik das Klima besser schützen und den Hybrid gleichzeitig aus der Schmuddelecke holen, indem Vorteile hier nur noch gewährt werden, wenn er tatsächlich größtenteils elektrisch genutzt wird.
Kommen wir zum Thema Bahnverkehr. Die Deutsche Bahn will den Zugverkehr wieder hochfahren. Es gibt wieder mehr Fahrgäste. Wie kann der Gesundheitsschutz gewährleistet werden? Braucht es eine Reservierungspflicht?
Gedränge in den Zügen muss vermieden werden, um die Gesundheit der Reisenden und des Zugpersonals zu schützen. Dafür brauchen wir eine intelligente Lösung, keine bürokratische. Eine starre Reservierungspflicht wäre der falsche Weg. Der Vorteil des Bahnfahrens ist gerade die Flexibilität, und die wollen wir stärken, nicht schwächen. Die Bahn will jetzt über ihre App die Fahrgäste über die Auslastung der Züge informieren. Das halte ich für richtig. Bei 50 Prozent Belegung gibt es einen Stopp. Reisende können dann eigenverantwortlich entscheiden, ob sie einen Zug früher oder später nehmen. Es gelten natürlich weiterhin das Abstandsgebot und die Pflicht für Mund-Nasen-Schutz in den Zügen.
Ist die Bahn nicht auch gefordert und muss mehr Züge und Plätze anbieten?
Absolut. Die Bahn sollte ihre Platzkapazitäten ausbauen. So können wir Infektionen durch zu viel Nähe vermeiden. Das beste Mittel gegen zu volle Züge sind mehr Züge.