Karl Lauterbach. Foto: dpa
Von Annette Dönisch, RNZ Berlin
Berlin. Karl Lauterbach ist Gesundheitsexperte der SPD-Bundestagsfraktion.
Der Bundestag hat eine Impfpflicht gegen Masern beschlossen. Geht das nicht zu weit?
Nein, ich fordere als Arzt und Politiker seit Jahren die Impfpflicht für Masern. Es gibt in fünf Ländern in Europa noch immer Probleme, die Masern auszurotten. Eines dieser Länder ist Deutschland. Die Impfpflicht, die jetzt eingeführt werden soll, würde diese Lücke helfen zu schließen, sodass Deutschland ebenfalls die Masern in den Griff bekommen kann. Ohne Pflicht könnte das nicht gelingen.
Widerspricht eine Impfpflicht nicht dem Recht auf freie Selbstbestimmung?
Nein, meine Selbstbestimmung endet immer dort, wo ich andere gefährde. Das ist bei der Verletzung der Impfpflicht klar der Fall. Eltern gefährden nicht nur ihre eigenen Kinder, wenn sie diese nicht impfen lassen. Sie gefährden auch die Kinder anderer Menschen und andere Erwachsene. Das kann bis zum Tod gehen. Wo ein so hohes Gut, wie die körperliche Unversehrtheit und das Leben anderer betroffen sind, hört meine Selbstbestimmung auf.
Laut Robert Koch-Institut ist die Masern-Impfquote in Deutschland zu niedrig. Woran liegt das?
Die erste Impfung wird noch ausreichend oft wahrgenommen, in der Regel haben sie 97 Prozent der Schulanfänger erhalten. Die zweite Impfung wird oft nicht wahrgenommen, weil die Eltern es verschieben oder weil sie Impfgegner sind. Die Impfquote für die zweite Impfung von Schulanfängern liegt bei knapp 93 Prozent, nötig wären mindestens 95 Prozent, um die Masern auszurotten. Die Schulanfänger und auch Menschen, die im Medizinbereich, in den Kitas und Schulen arbeiten, besser durchzuimpfen, dürfte dazu führen, die Masern auszulöschen. Aber ohne die Impfpflicht schaffen wir es nicht.
Haben es Ärzte in der Vergangenheit versäumt, ausreichend über den Nutzen einer Masern-Impfung aufzuklären?
Die Ärzte haben die Dringlichkeit betont. Das Problem ist, dass mit zunehmender Verbreitung von Falschinformationen und ideologischen Positionen im Internet der Rat der Ärzte schwächer wird. Die Autorität der Ärzte gemessen an dem, was im Netz auf die Eltern einprasselt, nimmt ab. Den Ärzten wird zum Teil sogar vorgeworfen, sie würden aus ökonomischen Gründen impfen. Mit der Stärke der sozialen Medien, des Internets und der politischen Ausnutzung solcher Themen für eigene Zwecke, gerade auch rechter Parteien, ist es zunehmend schwerer für uns Ärzte eine vernünftige Impfpflicht zu begründen.
Skeptiker warnen: Menschen würden sich erst recht nicht impfen lassen und ihren Kindern die Impfung vorenthalten. Sehen Sie das auch so?
Das ist eine Möglichkeit, die man beobachten muss. Es hat sich aber dort, wo die Impfpflicht besteht, nicht gezeigt. Ich glaube, dass dies auch in Deutschland nicht eintreten wird.