Energie-Expertin Kemfert

"Wir brauchen keine festen Gas-Terminals"

Gas-Einsparen im kommenden Winter besonders wichtig.

16.05.2022 UPDATE: 17.05.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 12 Sekunden
Bundesregierung: Gasversorgung stabil
Die Gaslieferungen für den kommenden Winter seien gesichert, so die Bundesregierung. Gleichzeitig müssen sich Verbraucher mit hohen Preisen oder gekündigten Verträgen arrangieren. Foto: picture alliance / dpa
Interview
Interview
Claudia Kemfert
Expertin für Energie- und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Von Gernot Heller, RNZ Berlin

Berlin. Die Ökonomin Claudia Kemfert ist Energie- und Umweltexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und lehrt an der Universität Lüneburg. Die 53-Jährige ist Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen, der die Bundesregierung berät.

Frau Kemfert, die deutsche Gasversorgung ist derzeit stabil, so die Bundesnetzagentur. Wie lange gilt das noch angesichts der russischen Energie-Gegensanktionen?

Die deutsche Gasversorgung kann stabil bleiben, wenn wir die sogenannte Assa-Formel konsequent anwenden: Ausweichen – Gas aus verschiedenen anderen Ländern beziehen –, speichern, sparen und ausbauen, nämlich erneuerbare Energien in Deutschland. Das Gas-Einsparen ist besonders wichtig, gerade im kommenden Winter sowohl seitens der Industrie, aber auch im Heizbereich.

Ist es möglich, die Gasspeicher bis zum Winter auf 90 Prozent aufzufüllen?

Durchaus. Wir können mehr Gas aus Norwegen und den Niederlanden bekommen sowie über Flüssiggas-Importe aus der EU, zudem werden wir ja auch schwimmende Flüssiggas-Terminals haben. Insbesondere muss der Gasspeicher in Rehden (Niedersachsen, Anm. d. Red.) durch andere Quellen befüllt werden, da Russland die Lieferungen eingestellt hat. Dies muss die Bundesregierung sicherstellen, die ja durch treuhänderische Übernahme von Gazprom Germania direkte Möglichkeiten hat. Alle Speicher sollten so schnell wie möglich befüllt werden.

Erwarten Sie, dass russisches Gas dieses Jahr ganz ausfällt? Wäre dann eine Rezession noch vermeidbar?

Derzeit weiß keiner, ob Russland schnell oder langsam den Gashahn zudreht. So oder so: Wir können mit diesem Russland keine Geschäfte mehr machen. Wir müssen so schnell wie möglich wegkommen von russischer Energie und vor allem die erneuerbaren Energien schneller ausbauen sowie das Energiesparen forcieren. Gezielte Wirtschafts- und Konjunkturprogramme können helfen, die Rezession abzuwenden. Es wird endlich investiert werden müssen in Zukunftsbranchen, die Wertschöpfungen und neue Jobs hervorbringen. Dafür benötigen wir aber schnell umfassende Ausbildungs- und Umschulungsmaßnahmen.

Verfolgt die Bundesregierung mit den geplanten vier Flüssiggas-Terminals die richtige Strategie für den Moment?

Vor 15 Jahren haben wir für den Bau von Flüssiggas-Terminals geworben, um nicht einseitig zu abhängig zu sein von russischen Importen. Man baut derartige Flüssiggas-Terminals für 20-25 Jahre, damit sie sich rechnen. Der heutige Bau fester Terminals droht zu den nächsten "stranded investments" zu werden, wenn sie für längere Zeit installiert werden sollen. Der Bedarf von fossilem Erdgas wird durch die Energiewende abnehmen. Das heißt, heute benötigen wir nur temporäre, keine dauerhaften Flüssiggas-Terminals. Heute brauchen wir eher eine Infrastruktur für den Import von grünem Wasserstoff.

Sollte Deutschland aus Vorsicht jetzt eine höhere Warnstufe ausrufen und den Verbrauch steuern, also priorisieren?

Derzeit sehe ich keine akute Gefährdung, da wir ja noch ausreichend Gas bekommen. Die Gefährdung trifft erst ein, wenn wir nicht rechtzeitig umsteuern, und es nicht gelingt, aus möglichst vielen anderen Ländern Gas zu beziehen, die Gasspeicher nicht rechtzeitig gefüllt werden und das Sparen nicht endlich voran gebracht wird. Dann wird man höhere Warnstufen ausrufen müssen und den Verbrauch drosseln und steuern müssen. Noch können wir das vermeiden.

Auch ein Ölembargo gegen Russland steht an. Würden da ein Tempolimit und ein autofreier Sonntag helfen?

Ja. Alles hilft, was den Verbrauch senkt. Gleichzeitig erhöhen wir damit die Verkehrssicherheit. Autofreie Sonntage können viel Spaß machen. Es sind so genannte ,niedrig hängende Früchte’: Sie kosten nichts und schaffen viele Vorteile. Die fossile Energiekrise fängt gerade erst an. Statt Tankrabatte sollten wir Prämien für Verbrauchssenkung zahlen. Nicht fossile Preise müssen gedeckelt werden, sondern die Kosten. Das gelingt über Verbrauchssenkung oder Einkommenserhöhung.

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