Warum ist das alles so schwierig?
Über den Handelsvertrag wird bereits seit Monaten ohne greifbare Ergebnisse gestritten. Dann machte die britische Regierung Anfang September ein neues Fass auf: Mit ihrem sogenannten Binnenmarktgesetz will sie Teile des Austrittsabkommens kassieren, das noch vor dem Brexit Ende Januar in Kraft gesetzt wurde. Dabei geht es um Sonderregeln für das britische Nordirland, die eine feste Grenze zum EU-Staat Irland verhindern sollen. Die britische Provinz bleibt laut Vertrag an die EU-Zollunion und den EU-Binnenmarkt angebunden. Das würde das Vereinigte Königreich spalten, beklagt Premierminister Boris Johnson. Die EU kontert, Johnson habe den Vertrag persönlich ausgehandelt und vom Parlament ratifizieren lassen. Das britische Gesetz sei ein Vertrauensbruch und ein Verstoß gegen internationales Recht.
Was bedeutet der Streit für die künftigen Beziehungen?
Vorerst wenig. Zwar droht das EU-Parlament, man werde keinen neuen Vertrag schließen mit einem Partner, der den alten nicht einhält. Und die EU-Kommission hat London ultimativ aufgefordert, die umstrittenen Gesetzesklauseln bis 30. September - also diesen Mittwoch - zurückzunehmen. Dazu ist die britische Regierung aber nicht bereit, wie EU-Kommissionsvize Maros Sefcovic am Montag nach einem Gespräch mit dem britischen Staatsminister Michael Gove berichtete. Trotzdem bleibt die EU am Verhandlungstisch. Man arbeite gleichzeitig daran, Großbritannien zur Umsetzung des gültigen Vertrags zu bewegen und das neue Abkommen zu schließen, sagte Sefcovic.
Was sind beim anvisierten Handelspakt die Knackpunkte?
Die EU bietet ihrem Ex-Mitglied eine sehr enge Handelspartnerschaft: einen unbegrenzten Warenverkehr ohne Zölle. Doch fordert sie dafür gleiche Umwelt-, Sozial- und Subventionsregeln, also gleiche Wettbewerbsbedingungen unter dem Stichwort "Level Playing Field". Großbritannien will sich aber bei seinen künftigen Standards von der EU nicht reinreden lassen, sondern nach dem Brexit selbst bestimmen. Zudem sieht sich London am längeren Hebel beim zweiten Knackpunkt: dem Zugang für EU-Fischer zu den reichen britischen Fischgründen. Nach den bisher acht Verhandlungsrunden äußerte sich EU-Unterhändler Michel Barnier hörbar gefrustet. Runde neun ist bis Freitag geplant. Johnson hat eine Frist zur Einigung bis 15. Oktober gesetzt.
Wie stehen die Chancen, dass es doch noch klappt?
Der Brexit-Experte des European Policy Centre in Brüssel, Fabian Zuleeg, sieht schwarz. "Wir steuern klar auf einen No-Deal zu", sagte er vergangene Woche. Es gibt aber auch andere Stimmen. Von "konstruktiven Diskussionen" sprach ein britischer Regierungssprecher vorige Woche nach Treffen von Barnier mit seinem britischen Kollegen David Frost. Barnier gebe sich optimistisch, dass es doch noch zu einem Deal kommen könnte, bestätigte ein EU-Diplomat am Montag. Die Stimmung sei besser. Allerdings seien die tatsächlichen Streitpunkte immer noch sehr groß. Diese Woche werde entscheidend sein: "Wenn es jetzt keine Bewegung gibt, dann läuft uns die Zeit davon", sagte der EU-Diplomat. Sende London hingegen Kompromissignale, könnten die Verhandlungen intensiviert werden.
Was passiert ohne Vertrag?
Ende des Jahres scheidet Großbritannien nach einer Übergangsfrist auch aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion aus. Ohne Abkommen müssten beide Seiten Zölle erheben. Das würde Waren teurer machen und die Abwicklung an der Grenze zäh und zeitaufwendig. Dutzende Rechtsfragen wären nicht geregelt, von der Lizenz für Lokführer bis zu Reisedokumenten für Haustiere. Der Verband Business Europe warnt vor "verheerenden Folgen für Unternehmen". Forscher des Londoner King's College schätzen, dass ein Brexit ohne Abkommen die britische Wirtschaft dreimal so hart treffen könnte wie die Covid-19-Krise. Auch Staatsminister Gove sagt, im "Worst-Case" könnte es im Januar Staus mit 7000 Lastwagen an der Grenze zu Frankreich geben. Das gelte aber auch mit Vertrag, denn stärker kontrolliert werden soll in jedem Fall.