Den Moderator Andrew Dennison im voll besetzten DAI-Saal fest im Blick (v.l.): RNZ-Chefredakteur Klaus Welzel, Laura Himmelreich, Chefredakteurin des Online-Magazins Vice, Nicolas Richter, Leiter des Investigativressorts der Süddeutschen Zeitung und David Schraven, Mitbegründer des Online-Portals Correctiv.org. Foto: Alexander Müller
Von Michael Abschlag
Heidelberg. Im Frühjahr 2016 sorgten die Panama Papers weltweit für Aufsehen. Die Papiere deckten Steuerflucht von Firmen und Privatpersonen in bis dahin unvorstellbarem Ausmaß auf. Dieser Fall gilt vielen bis heute als Musterbeispiel für investigativen Journalismus - gründlich, entlarvend und furchtlos.
Was macht investigativen Journalismus aus? Nicolas Richter, Leiter des Investigativressorts der Süddeutschen Zeitung, die damals an den Recherchen beteiligt war, gab am Sonntag auf einer Podiumsdiskussion im Heidelberger DAI zum Abschluss einer Journalismus-Konferenz seine Antwort auf diese Frage. "Journalismus", sagt er, "muss unbequem sein und Leute gegen sich aufbringen."
Doch wie kann das im kleineren Maßstab funktionieren - etwa einer Lokalzeitung, die über keine eigene Investigativabteilung verfügt? "Auch wir haben große Projekte, an denen wir über Monate arbeiten, aber das ist die Ausnahme", berichtet RNZ-Chefredakteur Klaus Welzel. Investigativjournalismus bedeute für ihn vor allem Gründlichkeit bei der alltäglichen Arbeit. "Wir haben eine enge Verbindung zu unserer Leserschaft und bekommen viele Rückmeldungen", so Welzel. "Unsere Leser sind aufmerksam und auch kritisch. Diese Kontrolle zwingt uns dazu, sehr sorgfältig zu arbeiten."
Denn investigativer Journalismus hängt stark vom Format ab. In einer regionalen Tageszeitung betrifft er eher Entwicklungen in lokalen Betrieben oder Vereinen, in einer überregionalen sind es Themen von nationalem oder internationalem Interesse. Und noch einmal anders ist die Situation im Online-Journalismus. Hier gibt es Plattformen, die sich ganz auf investigative Recherche spezialisieren. Eine davon ist Correctiv.org.
"Wir wollen Themen angehen, die im Moment am meisten Einfluss haben auf die öffentliche Debatte", sagt Geschäftsführer David Schraven. Ein Beispiel: die Diskussion um die AfD. "Wir haben im letzten Jahr viele Hintergründe zu dieser Partei gesammelt und daraus dann ein Buch gemacht", so Schraven. "Das haben wir dann vor allem in den Gewerkschaften verkauft, weil dort die AfD versucht, an Einfluss zu gewinnen." 10 bis 15 solcher Geschichten bringe seine Seite im Jahr, erarbeitet von etwa 40 Mitarbeitern. "Dadurch haben wir Geschichten, die teils sehr lang sein können", sagt der Essener Journalist.
Schraven betont die Verbindung zur Basis, zu Informanten oder Whistleblowern, die sie überhaupt erst auf Geschichten aufmerksam machen. "Man muss ihnen eine Möglichkeit geben, sich zu äußern. Das sind Leute, die Angst haben, ihren Job zu verlieren", sagt er. Das sieht auch Laura Himmelreich ähnlich, Chefredakteurin des Internetportals Vice. "Es gibt da natürlich unterschiedliche Ansätze", sagt sie. "Ich lese zum Beispiel nicht gerne seitenweise Akten." Lieber recherchiere sie aktiv. Von ihrer früheren Arbeit für den "Stern" erzählt sie: "Wir hatten da etwa eine Geschichte zum Missbrauch von Leih- und Werkarbeit bei Rossmann. Da las ein Kollege intensiv die Akten und ich habe mich mit polnischen Leiharbeitern getroffen."
Ohne Informanten wäre investigativer Journalismus kaum möglich, sie bringen erst Missstände und Skandale ans Licht. Und doch ist es am Anfang einer Recherche oft schwer einzuschätzen, wie groß eine Geschichte wird, welche Relevanz sie hat - und wie glaubwürdig der Informant ist. "Auch zu uns kommen immer wieder Whistleblower", erzählt Klaus Welzel. "Da müssen wir dann alle Fakten prüfen und manchmal auch abwarten. Auch im Kleinen hat jeder ein bestimmtes Interesse." Wichtig sei zudem die Relevanz eines Themas. "Wir fragen uns immer: Was an dieser Geschichte betrifft den Leser?"
Die Gefahr, sich - womöglich unbeabsichtigt - zum Helfershelfer bestimmter Interessengruppen zu machen, besteht auch im Großen, wie Richter bestätigt. "Die Mail-Affäre um Hillary Clinton ist ein gutes Beispiel", sagt er. "Wir wissen bis heute nicht, welchen Einfluss das auf den US-Wahlkampf hatte. Aber wir müssen uns als Journalisten immer fragen: Wer hat uns das zugesteckt und warum?"
Auf der anderen Seite sehen sich Journalisten immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, einem "Druck von oben" nachzugeben. "Das ist nicht das Problem", sagt Klaus Welzel. "Die größte Gefahr im Lokaljournalismus ist die Nähe. Es ist relativ leicht, Angela Merkel zu kritisieren. Aber es ist deutlich schwieriger bei jemanden, dem man zwei Tage später wieder persönlich begegnet."
Schraven sieht vor allem eine Verschärfung des Klimas als Problem. "Wer hätte gedacht, dass einmal Journalisten in der EU ermordet werden, wie in Malta oder Slowenien?", fragt er. Auch er selbst arbeite unter Polizeischutz. "Wir haben bei uns LKA-Männer in der Redaktion, weil wir Angst haben müssen, erschossen zu werden." Am Investigativ-Journalismus festzuhalten, steht für ihn dennoch außer Frage: "Wir müssen dahin gehen, wo es wehtut."