Von Andreas Herholz, RNZ Berlin
Berlin. Clemens Fuest (52) ist Präsident des ifo-Instituts.
Herr Professor Fuest, der Bund plant wegen der Folgen der Corona-Pandemie immer mehr neue Schulden. Wie lange können wir uns das noch leisten?
Glücklicherweise hat der deutsche Staat vor der Krise seine Schulden reduziert, nicht zuletzt dank der von manchen so heftig kritisierten Politik der schwarzen Null, deshalb haben wir jetzt finanzielle Spielräume. Nach aktuellen Schätzungen wird die Staatsschuldenquote im Jahr 2022 bei 72 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen. Nach der Finanzkrise vor zehn Jahren lag sie bei mehr als achtzig Prozent. Auch wenn die beiden Fälle nur eingeschränkt vergleichbar sind, Deutschland kann die Hilfen finanziell noch eine Weile durchhalten. Trotzdem ist es wichtig, die Hilfen zielgenau und ökonomisch effizient zu gestalten, damit die Lasten nicht höher ausfallen als nötig.
Bund und Länder streiten über die Verteilung der finanziellen Corona-Lasten. Müssten sich die Länder nicht stärker beteiligen?
Länder und Gemeinden erhalten rund sechzig Prozent der Steuereinnahmen in Deutschland. Die Zuständigkeit für die Gestaltung der Lockdown-Maßnahmen liegt bei den Ländern. All das spricht dafür, dass die Länder sich an den Kosten beteiligen. Für die Forderung, dass der Bund die Kosten vollständig trägt, gibt es keine überzeugende Begründung.
Viele Händler und Betriebe leiden unter dem erneuten Lockdown. Kommt jetzt die große Pleitewelle?
Im Verlauf der Krise gab es bislang wenig Pleiten. Aber diese Situation ist durch staatliche Hilfen und die teilweise Aussetzung der Pflicht, Insolvenz anzumelden, verzerrt. Wir müssen im kommenden Jahr mit deutlich mehr Unternehmenspleiten rechnen. Dieses Muster kennen wir aus früheren Rezessionen.
Wie können wir unsere Wirtschaft in Zeiten der Pandemie retten?
Es ist besonders wichtig, die Lockdown-Maßnahmen so zu gestalten, dass einerseits die Pandemie eingedämmt wird, andererseits aber der wirtschaftliche Schaden nicht größer ausfällt als unvermeidlich ist. Dabei gibt es durchaus Fortschritte. Anders als während der ersten Welle wurden jetzt Grenzschließungen und Störungen der Wertschöpfungsketten vermieden, so dass zumindest die Industrie weiter produzieren kann. Auch in den besonders betroffenen Branchen wie Gastronomie und Hotellerie sollten wir uns bemühen, Öffnungsmöglichkeiten in den Bereichen mit der höchsten Wertschöpfung auszuloten.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier spricht von Einkaufen als "patriotischem Akt". Kann der Binnenkonsum die Folgen der Krise mindern?
Die Binnennachfrage insgesamt ist derzeit nicht das Problem. Die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte sind in der Krise bislang im Durchschnitt nur wenig gesunken, vor allem wegen der umfangreichen staatlichen Hilfen. Dort, wo es möglich ist, kaufen die Menschen umfangreich ein, beispielsweise in Supermärkten oder im Online-Handel. Den geschlossenen Betrieben hilft das aber nicht und dem unter strengen Auflagen geöffneten Einzelhandel nur beschränkt. Den Aufruf des Wirtschaftsministers verstehe ich so, dass die Menschen vor allem die kleineren Einzelhandelsgeschäfte nicht vergessen sollen, auch wenn der Einkauf durch Corona-Auflagen mühsam ist. Das kann man nur unterstützen.