Von Daniel Bräuer
Heidelberg. Der Virologe Dr. Marco Binder ist Forschungsgruppenleiter am Deutschen Krebsforschungszentrum. Er untersucht die Replikation von Viren und die Antwort des menschlichen Immunsystems.
Herr Binder, die Entwicklung eines mRNA-Impfstoffes ist zum "Durchbruch des Jahres" erkoren worden. Zurecht?
Ja, das halte ich für durchaus berechtigt.
Hat Sie das Tempo auch überrascht?
Sehr, ehrlich gesagt. Vor März 2020 gab es nur sehr wenige Virologen, die sich mit Coronaviren beschäftigen.
Wie ist es da zu erklären, dass die Entwicklung so schnell gehen konnte?
Sowohl zu mRNA-Impfstoffen als auch zu Corona-Viren gab es schon Jahre und Jahrzehnte zuvor Forschungen. mRNA-Impfstoffe hatten eigentlich den Schwerpunkt auf Krebs und solchen Krankheiten, wo komplett neue Konzepte für eine Immuntherapie hermussten. Da gab es viele Entwicklungen und Erfahrungen, von denen jetzt profitiert werden konnte. Und Sars-CoV-2 ist ja nicht das erste Coronavirus, das uns Menschen Probleme bereitet. Es gibt vier andere Coronaviren, die fast jeder von uns schon einmal hatte, die normale Erkältungskrankheiten auslösen. Da gab es in der Vergangenheit schon Bestrebungen, Impfstoffe zu entwickeln. Die gab es auch bei den massiven Ausbrüchen von Sars und Mers. Weil die Fallzahlen relativ gering blieben, wurden die Anstrengungen früher oder später eingestellt. Seitdem lagen die Ergebnisse in der Schublade – aber sie waren eben schon da.
Machen es Corona-Viren leicht, Impfstoffe zu entwickeln?
Tatsächlich haben wir das Glück im Unglück, dass es ein Coronavirus ist, das zu dieser Pandemie geführt hat. Viren gibt es im Prinzip in zwei Geschmacksrichtungen. Die einen haben wie wir Menschen DNA als Erbgut. Die ist extrem stabil. Gegen diese einen Impfstoff zu entwickeln ist tendenziell leichter als gegen Viren mit RNA-Genom. RNA mutiert viel häufiger, weil bei der Vervielfältigung sich immer Fehler einschleichen. Das ist beispielsweise bei HIV oder bei Hepatitis C ein Grund, warum es sehr schwierig ist, einen Impfstoff zu entwickeln.
Warum ist bei HIV nie gelungen, einen Impfstoff zu entwickeln?
HIV bereitet verschiedene Probleme. Erstens hat es ein RNA-Genom, das dazu tendiert, sich leicht zu verändern. Es ist aber auch noch ein Retro-Virus. Das ist etwas völlig Anderes. Das kann, sobald es in der Zelle ist, seine RNA in DNA umwandeln, ein sehr ungewöhnlicher Schritt, der fast ausschließlich bei Retroviren vorkommt. Und diese DNA-Kopie von sich selbst kann es dann in das Genom unserer Zelle fest einbauen. Wenn es einmal drin ist, geht es nicht wieder raus. Es reicht also nicht, die frei im Blut zirkulierenden Viren durch Antikörper zu bekämpfen, weil wir HIV nach einer einmal erfolgten Infektion fest in der Zelle eingebaut haben und diese Zelle immer neue Nachkommenviren produzieren kann. Dagegen hilft kein Antikörper.
Dann besteht auch wenig Hoffnung, dass mRNA auch hier eines Tages helfen würde?
Die prinzipiellen Probleme, die ich eben geschildert habe, bleiben jedenfalls bestehen. Wir müssten immer noch wissen: Gegen welche Oberflächenstruktur wollen wir Antikörper bilden? Was einfacher wird: Wir können sehr viel schneller auf Änderungen reagieren. Das hat auch Sars-CoV-2 gezeigt. Sobald wir wissen, welche Struktur auf der Virusoberfläche das ideale Target für Antikörper wäre, erlaubt diese Technologie wahnsinnig schnell eine RNA herzustellen, die in der Zelle genau diese Oberflächenstruktur des neuen Virus bilden lässt. Das ist der Charme dieser neuen Technologie: Man muss keine Viren im großen Maßstab in riesigen Bioreaktoren züchten und die so weit abtöten, dass sie bei der Impfung auch garantiert keine Infektion mehr auslösen können. All das fällt weg. Wir müssen nur noch über chemische Prozesse diese mRNA herstellen. Die wird gespritzt, und der Körper selbst bildet dann diese Virusbruchstücke aus, die wir klassischerweise aufwändig pharmazeutisch herstellen müssten.
Und was ist nun mit Corona-Viren?
Das sind RNA-Viren, aber insofern eine absolute Ausnahme, als dass sie es geschafft haben, dieselben Sicherheitsmechanismen zu entwickeln wie einige DNA-Viren oder unsere eigenen Zellen. Da wird sozusagen nach dem Kopieren nochmal drübergelesen und Fehler werden korrigiert. Das macht es sehr viel einfacher, ein unveränderliches Stück der Oberflächenstruktur zu finden, gegen das man einen Impfstoff entwickeln kann. Es gibt aber noch einen Grund für das hohe Tempo.
Nämlich?
Der gesamte ökonomische und regulatorische Rahmen ist ein völlig anderer. Im Prinzip ist jedes Land dieser Welt auf der Suche nach einem wirksamen Impfstoff. Dadurch war klar: Das Geld wird diesmal keine Rolle spielen. Impfstoffe zu entwickeln ist normalerweise unglaublich teuer. Man muss jede einzelne Phase beantragen, genehmigt bekommen und dann auswerten, um Geldgeber von der nächsten Phase zu überzeugen. Erst danach kommt die Zulassung. Und erst wenn alles niet- und nagelfest ist, dann macht man sich Gedanken über die Produktion. Das hat man jetzt alles zusammengeschoben. Es wurden ständig Interimsauswertungen vorgenommen. Damit konnte dann schon mal die Zulassungsbehörde vorgefüttert werden. Und währenddessen haben die Firmen schon begonnen, millionenfach zu produzieren, was normalerweise aus ökonomischen Gründen niemand riskieren würde. Mir ist hingegen kein glaubhafter Bericht zu Ohren gekommen, dass Abstriche bei der Auswertung und Sicherheitsüberprüfung gemacht wurden.
Dennoch gibt es bei manchen Vorbehalte gegen die mRNA-Impfung. Können Sie das nachvollziehen?
Grundsätzlich auf jeden Fall. Wir haben noch keine Langfristdaten. Aber vom Prinzip her bin ich da sehr gelassen und hätte auch keine Probleme, mich selber damit impfen zu lassen. Alle meine Zellen im Körper sind zum Bersten voll mit körpereigener mRNA. Jetzt schmuggle ich nochmal ein paar Moleküle rein, die nicht Informationen für ein körpereigenes Protein tragen, sondern für diese Virusstruktur. Der Körper weiß genau, was er damit zu tun hat. Er macht daraus diese Eiweiße, gegen die Antikörper gebildet werden, und nach ein paar Stunden oder spätestens einem Tag oder zwei wird die mRNA restlos aus dem Körper getilgt. Ganz anders, als wenn man ein Stück DNA in den Körper einbringen würde.
Die Angst, dass der Impfstoff das Erbgut verändert, ist unbegründet?
Die Chance halte ich für verschwindend gering. Es gibt sicher Risiken wie bei jedem neuen Mittel. Aber da sind die größeren Probleme eher Autoimmunreaktionen oder allergische Reaktionen.
Verschwindend gering ist nicht null.
Es gibt praktisch keinen Organismus, der RNA in DNA zurückschreiben könnte und die dann auch noch in unser Genom integrieren könnte. Das können Retro-Viren wie HIV, unsere Zellen können es definitiv nicht. Wenn sie das könnten, dann würde das regelmäßig auch mit unseren körpereigenen RNAs geschehen. Es gibt keinen Grund, zu glauben, warum sich diese künstliche RNA anders verhalten sollte.
Virologe Dr. Marco Binder. Foto: Archiv