Von Andreas Herholz, RNZ Berlin
Berlin. "Es wird an der einen oder anderen Stelle ruckeln", hatte Gesundheitsminister Jens Spahn am Samstagvormittag auf einer Pressekonferenz in Berlin erklärt und prophezeit, dass es keinen völlig reibungslosen Start geben werde. Und wie zur Bestätigung kommt wenige Stunden später die Nachricht aus einem Seniorenheim in Halberstadt in Sachsen-Anhalt. Dort im Harz war man vorgeprescht, hatte sich nicht an den vereinbarten Zeitplan gehalten und im Alleingang bereits einen Tag früher begonnen. Die 101-jährige Edith Kwoizalla war so die erste, die mit dem Biontech-Serum geimpft wurde. 39 weitere Bewohnerinnen und zehn Pfleger folgen.
Eigentlich war ein europaweiter Impfstart im Sonntag geplant. Spahn reagiert überrascht, ist irritiert, lässt sich seine Verärgerung über den Alleingang und Frühstart allerdings nicht anmerken. Ja, er freue sich natürlich und wünsche Edith Kwoizalla alles Gute. Doch hätten die EU-Partner mit den 16 Bundesländern vereinbart gehabt, erst gemeinsam am Sonntag zu beginnen. Der Leiter des Halbenstädter Heimes, Tobias Krüger, verteidigte dagegen sein Vorpreschen. Man sei bereit gewesen. Warum hätte man dann bis Sonntag warten sollen. Schließlich heiße es immer, "bei Corona zählt jeder Tag", sagte Krüger.
Gestern dann der offizielle bundesweite Impfbeginn, der Tag, auf den Millionen Menschen seit Monaten sehnlichst warten. "Dieser Impfstoff ist der entscheidende Schlüssel, diese Pandemie zu besiegen. Er ist der Schlüssel dafür, dass wir unser Leben zurückbekommen können", erklärte Spahn, mahnt aber immer wieder zu Geduld. Schließlich dürfte es gerade zu Beginn zu erheblichen Engpässen kommen. Erst Mitte nächsten Jahres werde sich jeder, der wolle, impfen lassen können, räumte der Gesundheitsminister ein. "Es werden nicht alle sofort geimpft werden können. Es ist ein Anfang", erklärte der CDU-Politiker, der laut Umfragen inzwischen Deutschlands beliebtester Politiker ist.
Am Wochenende waren für den ersten Impftag 151.125 Impfdosen ausgeliefert worden. Bereits heute sollen weiter 512.625 dazukommen und Mittwoch noch einmal 672.750 und damit 1,3 Millionen noch in diesem Jahr. Zum Jahresbeginn werde Biontech Woche für Woche 672.750 Dosen im ersten Quartal liefern. Dazu kommen 1,5 Millionen Einheiten des Impfstoffes der Firma Moderna, der Anfang Januar zugelassen werden soll. Bis Ende März rechnet Spahn mit bis zu 14,5 Millionen Dosen. Diese würden allerdings nur für 7,25 Millionen Menschen reichen, da pro Impfung jeweils zwei Dosen benötigt werden.
Später Beginn in Deutschland, nur geringe Mengen des Serums und monatelange Wartezeiten – Bayerns Ministerpräsident Markus Söder schlägt Alarm und fordert, das Tempo der Impfstoffproduktion müsse "massiv verstärkt" werden. "Sonst müssen viele Menschen zu lange warten", sagte der CSU-Chef. "Je mehr Impfstoff, desto mehr Freiheit. Je weniger, desto länger dauern die Beschränkungen" sagte er. Hat es Fehler bei der Impfstoffbeschaffung gegeben? Schließlich hatte der Beginn hierzulande und in der EU auf sich warten lassen, die Zulassung des Biontech-Serums länger gedauert als in anderen Ländern wie den USA oder Großbritannien.
Er könne mit der Kritik nicht viel anfangen, dass Deutschland nur wenig Impfstoff habe, der Rest der Welt dagegen mehr, so Spahn. "Alle ringen gerade um dieses kostbare Gut", so der Minister. Und alle müssten mit großer Knappheit beginnen.
Während sich in anderen Ländern die Regierungschefs und Minister zuerst impfen lassen, um als Vorbild zu dienen, haben sich die Kanzlerin und ihr Kabinett bewusst dagegen entschieden. Es sei klar, dass die Verfassungsorgane nicht an erster Stelle der Prioritätenliste stehen würden, erklärte Spahn. Man habe sich für den Weg entschieden, die Höchstbetagten zuerst zu impfen.
Der Gesundheitsminister wirbt für eine hohe Impfbeteiligung. Jede Impfung mehr bedeute weniger Infektionen und weniger Todesfälle. "Wer mitmacht, rettet Leben", sagt Spahn. Der Herbst und der Winter im nächsten Jahr sollten nicht mehr im Zeichen der Pandemie stehen.