Von Andreas Herholz, RNZ Berlin
Die Koalition streitet über die Pläne für eine Grundrente. Wie bewerten Sie den Vorstoß?
Der Vorstoß ist grundsätzlich vernünftig. Union und SPD haben das Projekt Grundrente im Koalitionsvertrag vereinbart. Der Vorschlag von Arbeitsminister Hubertus Heil geht natürlich ein Stück über das hinaus, was vorgesehen ist. Das wird sicher nicht vollständig Eins zu Eins umgesetzt. Das weiß auch Herr Heil. So kann es meines Erachtens nicht angehen, dass die Ehefrau eines gutverdienenden Richters, die freiwillig 35 Jahre Teilzeit gearbeitet hat, gleich behandelt wird wie jemand, der die gleiche Zeit zum Mindestlohn arbeiten musste. Dennoch ist es ein mutiger Aufschlag für eine überfällige Debatte. Die muss jetzt geführt werden. Heils Vorlage ist eine gute Arbeitsgrundlage.
Aber ist es nicht grundsätzlich richtig, dass höhere Beitragszahlungen auch zu höheren Renten führen?
Das Äquivalenzprinzip besagt, dass jeder innerhalb der Gruppe der Rentenempfänger die gleiche Einkommensposition haben soll, die er innerhalb der Gruppe der Lohnempfänger hatte. Die Rentenhöhe richtet sich deshalb strikt nach den Beitragsleistungen. Dies gilt seit 1957. Damals war Vollzeitbeschäftigung noch die Regel, Massenarbeitslosigkeit war vergessen und die Lohnspreizung geringer. Die Bedingungen auf unserem Arbeitsmarkt sind heute aber grundlegend anders. Durchgängige Erwerbsbiographien sind nicht mehr die Regel. Es gibt immer mehr Teilzeit, zwischenzeitliche Zeiten von Arbeitslosigkeit, auch Langzeitarbeitslosigkeit und geringfügige Beschäftigung. Deshalb macht es Sinn, der Armutsvermeidung bei der Rentenbemessung ein größeres Gewicht beizumessen.
Heil rechnet mit Kosten von rund fünf Milliarden Euro pro Jahr.
Wenn man die Vorschläge des Arbeitsministers Heil ohne Abstriche umsetzt, hätte man einen sehr großen Empfängerkreis und die Kosten würden wohl bei fünf Milliarden Euro pro Jahr oder sogar mehr liegen. Dazu wird es aber wohl nicht kommen. Es wird sicher Änderungen geben. Zudem gibt es bereits rund 70 Milliarden Euro Bundeszuschüsse aus Steuermitteln an die Gesetzliche Rentenversicherung, die zum Teil der Senkung des Beitragssatzes dienen und nicht mehr mit versicherungsfremden Leistungen legitimiert werden können. Daraus könnte man auch die Grundrente ein Stück weit finanzieren. Noch einmal: Es ist höchste Zeit und vernünftig, dass wir die Debatte über eine Grundrente führen und die Weichen in diese Richtung stellen. In den meisten anderen Industriestaaten ist so etwas längst selbstverständlich.
Aber wäre eine Bedürftigkeitsprüfung nicht angemessen?
Vermögende mit geringen Rentenansprüchen sind Ausnahmen und Randgruppen. Es geht darum, der großen Gruppe von Menschen zu helfen, die lange im Niedriglohnsektor gearbeitet haben und dann im Alter auf einmal auf Sozialhilfe angewiesen sind. Noch einmal: Jemand, der im Berufsleben nicht auf die Fürsorge angewiesen war, sollte es im Alter auch nicht sein müssen. Natürlich gibt es Bedürftigkeitsprüfungen in anderen Bereichen von sozialen Leistungen. Wenn man sich in der Erwerbsphase einer Bedürftigkeitsprüfung unterziehen muss, hat man immer noch die Möglichkeit, aus dieser misslichen Situation herauszukommen. Im Alter hat man diese Chance nicht mehr. Die Bedürftigkeitsprüfung wird gerade von alten Menschen als diskriminierendes Stigma angesehen und kann zu einer versteckten Altersarmut führen. Das sollte man vermeiden.