"Tage des Lernens" - Angela Merkel spricht zum Plenum des Digitalgipfels im Ludwigshafener Pfalzbau. Foto: Gerold
Von Daniel Bräuer
Ludwigshafen. Michael will’s wissen. Er steht mit seiner Klassenkameradin Marlene im Pressebereich des IT-Gipfels. Seine Mutter dreht einen Schulfilm über die digitale Zukunft - und weil Ferien sind, dürfen die Schüler Politikern die Frage stellen: Wie sieht die digitale Schule aus? Sie haben Thomas Strobl erwischt, Winfried Kretschmann, Bundesforschungsministerin Johanna Wanka. Und nun die Kanzlerin? "Ich könnte mich ja hierhin stellen und sagen: ,Entschuldigung, Frau Merkel?’", schlägt Michael vor.
Wenig später hält die Kanzlerin Einzug im Ludwigshafener Pfalzbau. Im Schlepptau die Handvoll der Minister, die auf dem nationalen Treffen von IT-Branche und Politik auch in Podiumsgesprächen auftreten: Forschung, Gesundheit, Wirtschaft, Infrastruktur. Merkel ist für eine kurze Rede und die Besichtigung von vier Modellprojekten dazugestoßen.
Ein BASF-Mitarbeiter führt ihr vor, wie der Chemieriese dank vernetzter Bauteile seine Anlagen zielgenauer warten kann. Merkel lernt die App kennen, die Roche und SAP entwickelt haben, mit der Diabetes-Patienten und ihre Ärzte wichtige Gesundheitsdaten im Blick behalten.
Sie darf via Internet einem Mann gute Besserung wünschen, der in Jülich wegen einer Blutvergiftung behandelt und rund um die Uhr intensiv überwacht wird, zur Not mit aus der Ferne dazugeschalteten Experten. Und sie erfährt, wie in Leipzig ein "intelligenter OP-Saal" den Chirurgen anleitet, vor drohenden Kunstfehlern warnt und automatisch die Saalbeleuchtung und die Darstellung auf dem Bildschirm den jeweiligen Arbeitsschritten anpasst.
Merkel hört aufmerksam zu, sagt immer wieder "toll", "tolle Möglichkeiten", "tolle Sache", stellt Fragen. Für ihren Satz, das Internet sei "für uns alle Neuland", hat sie einst viel Spott geerntet. In ihrer Rede in Ludwigshafen sagt sie nun einen ähnlichen, ähnlich ehrlichen Satz. "Jeder dieser digitalen Gipfel war für mich auch ein Tag des Lernens." Beim Gipfel 2017 lernt sie, wie weit die Digitalisierung der Medizin schon im Alltag Einzug gehalten hat. Und dass die gastgebende Metropolregion Rhein-Neckar die "größte Software-Dichte" Deutschlands hat.
Merkel lobt Fortschritte bei der Cybersicherheit und beim Ausbau des schnellen Internets. Sie ruft die Wirtschaft dazu auf, nicht nur alte Wertschöpfungsketten zu digitalisieren, sondern aus "Big Data" neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Sie lobt den Plan, ein einheitliches Verwaltungsportal für alle föderalen Ebenen zu erstellen. Sie verweist auf Industrie 4.0 und EU-Datenschutz. Mit den Handys im Plenum, die anfangs noch auf sie gerichtet waren, werden da zum Teil schon wieder Nachrichten verschickt.
Immerhin einen deutlichen Appell wird Merkel los: Wer mit jungen Leuten zum Zeitpunkt der Berufswahl zu tun habe, möge die IT nicht vergessen - "eine gute und sichere Branche!", sagt sie. Und schiebt hinterher, dass in IT-Studiengängen stets nur 22 bis 25 Prozent Frauen eingeschrieben seien. "Zur Gleichberechtigung ist es da noch weit. So wie Frauen gut schreiben und rechnen können, können sie auch gut programmieren!"
Doch was konkrete Zukunftsprojekte angeht, bleibt Merkel vage. Dabei hat die IT-Welt große Erwartungen. Thorsten Dirks, Präsident des Branchenverbandes Bitkom, sagt es zur Begrüßung so: "Die digitale Transformation ist weder Spaziergang noch Sprint, sie ist ein Cross-Marathon. Und wir sind gerade erst über die Startlinie gelaufen." In der kommenden Legislatur müsse der Bund seine digitale Agenda grundlegend erweitern. "Maximales Tempo", fordert Dirks. Und: "Digital first!" Auch Landrat Stefan Dallinger, Verbandschef der Metropolregion, hat sich eine "Roadmap" erhofft, wie es in den nächsten Jahren weitergehen soll.
Doch die bleibt Merkel schuldig. Muss sie auch, wie ihre Stellvertreterin an der CDU-Spitze, Julia Klöckner, im Anschluss erläutert. Im Wahlprogramm soll der weitere Weg aufgezeigt werden. Vor Ort ist Merkel aber als Kanzlerin. Im Herbst ist Wahl, und der Anstand gebiete es, nicht jetzt schon so zu reden, als sei die schon gelaufen. "Das ist eine Stilfrage", sagt Klöckner. Und verspricht: "Wäre der Gipfel vor einem Jahr gewesen, hätte Merkel ganz anders sprechen können." Mit ihrem Besuch habe sie vor allem gezeigt, dass Digitalisierung "wirklich ein Querschnittsthema ist und nicht nur Sache eines Ministers".
Alle Fragen offen also? Nicht ganz. Michael hat Merkel vors Mikro bekommen. Für die beiden jungen Reporter nimmt sich selbst die Kanzlerin Zeit. Und wie sieht nun die digitale Schule aus? Vernetzt natürlich, die Inhalte auf einer Cloud, die Schüler können aufs Internet zugreifen. "Und natürlich eine Schule, in der jeder ein ordentliches Tablet hat, mit dem er arbeiten kann."