Besuch beim Bundeskriminalamt in Treptow: BKA-Chef Holger Münch empfängt Justizminister Heiko Maas (SPD), Angela Merkel und Innenminister Thomas de Maizière (CDU, v.l.). Foto: dpa
Merkel, Maas und De Maizière fordern Aufklärung vor einer Debatte über Konsequenzen
Von Andreas Herholz und Tobias Schmidt, RNZ Berlin
Berlin. Der Verdacht gegen Anis Amri erhärtet sich. "Wir können Ihnen heute mitteilen, dass es zusätzliche Hinweise gibt, dass dieser Tatverdächtige mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter ist", erklärt Innenminister Thomas de Maizière, der mit Angela Merkel und Justizminister Heiko Maas vor die Presse tritt. "Es sind im Fahrerhaus Fingerabdrücke gefunden worden. Und es gibt auch andere zusätzliche Hinweise, die das nahelegen." Die Kanzlerin und ihre Minister informieren sich beim Bundeskriminalamt aus erster Hand über die Ermittlungen im Fall des 24-jährigen Tunesiers, der am Montag mit einem Sattelschlepper zwölf Menschen getötet haben soll.
Merkel will beruhigen und Entschlossenheit demonstrieren. "Sehr stolz" sei sie in den letzten Tagen gewesen, "wie besonnen die Menschen, die große Zahl der Menschen, auf diese Situation reagiert", sagt sie. Sie sei zuversichtlich, "dass wir diese Bewährungsprobe, in der wir uns jetzt insgesamt befinden, auch wirklich bestehen können", redet Merkel gegen Kritik und Zweifel an, die derzeit lauter werden.
Erst die Aufklärung und die Fahndung nach dem Täter, dann die Debatte über Konsequenzen, da sind sich Merkel und ihre zuständigen Minister einig. Drei gegen Seehofer - gemeinsam will die großkoalitionäre Troika ein Zeichen gegen den schnellen Ruf nach einem Kurswechsel in der Flüchtlings- und Sicherheitspolitik setzen. Doch die Debatte läuft längst. Die Union pocht auf schärfere Asylvorschriften, auf Transitzonen, elektronische Fußfesseln für Gefährder und eine Verlängerung der Abschiebehaft. Auch die Forderung, Tunesien und die anderen Maghreb-Länder zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, wird wiederholt. Transitzonen würden es ermöglichen, schon vor der Einreise die Identität zu klären. "Und dann können wir die Frage beantworten: Einreise ja oder nein?", so CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach. Stephan Mayer (CSU) forderte bei Abschiebungen eine stärkere Differenzierung zwischen denen, "die unverschuldet nicht ausreisen können, und denen, die es selbstverschuldet renitent verhindern". SPD-Fraktionsvize Eva Högl sprach sich ebenfalls für elektronische Fußfesseln aus: "Wir müssen die Gefährder noch besser im Blick haben."
Maas macht Druck auf die Ermittler: "Es ist momentan unsere größte Verantwortung, den Täter zu fassen." Die europaweite Fahndung hat noch keinen Durchbruch gebracht. Die Durchsuchung einer Flüchtlingsunterkunft in Emmerich in Nordrhein-Westfalen endet ohne Festnahme. Trotz öffentlicher Fahndung und 100.000 Euro Belohnung: Keine heiße Spur zu dem meistgesuchten Mann Europas.
Immerhin schließen die im Führerhaus gefundenen Fingerabdrücke Amris wohl aus, dass jemand die Geldbörse des Tunesiers gezielt als falsche Spur in dem Laster deponiert haben könnte.
Unklar blieb weiter, ob Amri Teil eines Netzwerks war, das weitere Anschläge planen könnte. Im Chat mit einem Hassprediger habe er sich vor Monaten als Selbstmordattentäter angeboten, berichtet der "Spiegel". Die Äußerungen seien aber nicht konkret genug gewesen, um eine Festnahme zu rechtfertigen. Zwar hatte Amri Kontakte zur Salafisten-Szene, spielte aber keine große Rolle darin. Sowohl in seiner Heimat Tunesien als auch in Italien war er zu Haftstrafen verurteilt worden, allerdings wegen Vergehen ohne islamistischen Bezug.
Unbeantwortet ist auch die brenzlige Frage: Wie konnte es dem Mann, der bis zum September als Gefährder eingestuft worden war und abgeschoben werden sollte, Anfang Dezember gelingen, abzutauchen und den Anschlag zu verüben? "Erschreckend", nennt das Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. "Amri war als einer der gefährlichsten ‚Gefährder‘ bekannt und hätte rund um die Uhr überwacht werden müssen."