Bernd Grzeszick: Foto: privat
Von Matthias Kehl
Heidelberg. Rechte wie Meinungs-, Presse- oder Vereinigungsfreiheit oder Postgeheimnis gelten nicht ewig, sondern können verwirkt werden. Warum es bisher noch nicht soweit gekommen ist, erläutert Bernd Grzeszick (53), Jura-Professor an der Uni Heidelberg.
Herr Grzeszick, wozu braucht man einen Artikel, der in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie zur Anwendung gekommen ist?
Der Artikel 18 ist in der Deutlichkeit auch im internationalen Vergleich ein Unikat der deutschen Verfassung. Dass dieser bisher nicht zu Anwendung kam, war damals bei der Abfassung des Grundgesetzes noch nicht absehbar. Man entschied sich vor 70 Jahren, die Verfassung auf die Basis einer wehrhaften Demokratie zu stellen. Artikel 18 hat eine präventive Signalfunktion, um gegen Verfassungsfeinde vorgehen zu können.
In vier Fällen wurde wegen der Verbreitung von nationalsozialistischem Gedankengut vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt. Wieso wurde Artikel 18 nicht angewendet?
Das lässt sich gut mit Blick auf die Parteiverbotsverfahren erklären. Auch da sind in einigen Fällen verfassungsfeindliche Bestrebungen erkennbar und auch festgestellt. Die aber nicht hinreichend gefährlich genug sind, um ein Verbot zu rechtfertigen. Man kam jeweils zu dem Urteil, dass strafrechtliche Sanktionen oder Vereinsverbote ausreichen, um der Gefahr zu genügen.
Was müsste passieren, damit jemand seine Grundrechte verwirkt?
Dazu bräuchte es tatsächlich eine ganze Menge. Es bräuchte eine Person oder eine Gruppe, die offen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung kämpft. Das heißt, aktiv und aggressiv für die Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse eintritt und dabei Aussicht auf Erfolg hat. Bei den Personen, die politisch extrem unterwegs sind und waren, fehlte bisher die Gefahr. Man kann aber nicht ausschließen, dass irgendwann mal eine Bewegung entsteht, die ein hinreichendes Gefahrenmoment mit sich bringt.