Raucherkneipenwirtin Sylvia Thimm. Foto: dpa
Von Daniel Bräuer
Berlin/Karlsruhe. Für Sylvia Thimm hat sich der Gang nach Karlsruhe gelohnt. Die damals 45-Jährige fürchtete im Jahr 2008 um ihre Existenz: Gerade war in Berlin das "Nichtraucherschutzgesetz" in Kraft getreten. Im "Doors", Thimms Kneipe im Prenzlauer Berg, galt seither Rauchverbot. 36 Quadratmeter, kein Platz für einen Raucherraum, im Gesetz kein Raum für eine Ausnahme. Die Gäste wanderten ab, und wer doch noch kam, blieb kürzer und trank weniger als früher.
Thimm klagte mit zwei anderen Wirten - und siegte. Das Rauchverbot greife zu stark in die Berufsfreiheit von Einraumkneipenwirten ein, urteilte das Bundesverfassungsgericht im Juli 2008. Unzumutbar deshalb, weil sie gegenüber größeren Lokalen, die Raucherräume einrichten können, benachteiligt wurden.
Es ist ein Kernstück des Rechtsstaats: Wer sich von einem Gesetz, einem Urteil oder einem Verwaltungsakt in seinen Grundrechten verletzt fühlt, kann dagegen klagen, bis hoch zum Verfassungsgericht in Karlsruhe. Die Zahl der "Verfassungsbeschwerden" hat sich bei mehr als 5500 pro Jahr eingependelt.
Sie machen damit mehr als 96 Prozent der Verfahren aus, die beim höchsten deutschen Gericht aufschlagen, viel mehr als etwa "Organstreitigkeiten" zwischen politischen Akteuren oder "Normenkontrollklagen", wenn ein Gericht die Zulässigkeit eines Gesetzes anzweifelt.
Für eine Verfassungsbeschwerde braucht es keinen Anwalt: Jeder Bürger kann sie einreichen. Doch muss er oder sie das verletzte Grundrecht genau benennen, sich gegen eine konkrete Entscheidung oder Behördenhandlung richten - und den Schriftsatz in der Regel binnen einen Monats in Karlsruhe vorlegen. Außerdem muss der Weg durch die Instanzen ausgeschöpft worden sein. Nur in Ausnahmen kann man ein Gesetz direkt anfechten, dafür ist ein Jahr ab Inkrafttreten Zeit.
An diesen formalen Hürden scheitern viele Kläger. Nur wenige werden überhaupt zur öffentlichen, mündlichen Verhandlung eingeladen. Erfolg haben im langfristigen Schnitt nur 2,3 Prozent der Bürgerklagen, zuletzt eher weniger. Dennoch, so erzählen es Verfassungsrichter, gebe man sich Mühe, auch Abweisungen oder Nicht-Zulassungen sauber zu begründen: Die Richter in roten Roben genießen im Vergleich der Staatsorgane das höchste Vertrauen; das will bewahrt werden - als letzte Hoffnung der Bürger.
Bei notorischen Querulanten allerdings kann das Gericht auch Missbrauchsgebühren verhängen, bis zu 2600 Euro. Lange Zeit ging es um ein paar Dutzend Fälle im Jahr, 2018 um neun, ein Allzeittief.
Sylvia Thimm hatte Erfolg. Sie betreibt das "Doors" noch immer. Jede Nacht von acht bis drei, als Musik- und Raucherkneipe: Zutritt erst ab 18.