Stephan Harbarth. Foto: dpa
Von Andreas Herholz, RNZ Berlin
Berlin. Der frühere CDU-Abgeordnete aus dem Wahlkreis Rhein-Neckar, Stephan Harbarth, ist seit Dezember Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe.
Herr Harbarth, am 6. Februar 1919 trat in Weimar die Nationalversammlung zusammen. Am Mittwoch findet dort ein großer Festakt statt. Ein Grund zum Feiern?
Der 100. Jahrestag ist ein bedeutender Tag in der deutschen Geschichte. Die Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 setzte neue Maßstäbe: Zum ersten Mal waren auch Frauen wahlberechtigt. Die Revolution 1918/1919 hat als Wendemarke in der deutschen Verfassungsgeschichte eine herausragende Bedeutung. Die Weimarer Nationalversammlung verabschiedete am 31. Juli 1919 die Verfassung der Weimarer Republik. Sie war eine freiheitliche, demokratische, rechts- und sozialstaatliche Verfassung. Der Parlamentarische Rat, der in den Jahren 1948/1949 in Bonn unser heutiges Grundgesetz ausarbeitete, hat sich nicht in allen, aber einigen Bereichen an der Weimarer Verfassung orientiert. Der 100. Jahrestag des Zusammentritts der Nationalversammlung in Weimar ist demnach aufgrund des Bekenntnisses der Weimarer Verfassung zur parlamentarischen Demokratie und ihrer Strahlkraft auf das Grundgesetz sicherlich ein Grund zum Feiern.
Die Weimarer Verfassung hatte keinen guten Ruf. Ist es jetzt an der Zeit für eine Rehabilitierung?
Die Weimarer Verfassung enthielt aus heutiger Sicht moderne verfassungsrechtliche Errungenschaften. Dies betrifft im Grundrechtsbereich beispielsweise den Gleichheitssatz, die Meinungsfreiheit und die Religionsfreiheit. Teilweise nimmt das Grundgesetz auf die Bestimmungen der Weimarer Verfassung Bezug. Die Weimarer Reichsverfassung stellte in Abkehr von der Monarchie eine liberal-sozialstaatliche, demokratische Grundordnung auf. Die Weimarer Republik ist letztlich nicht an ihrer Verfassung, sondern am fehlenden freiheitlich-demokratischem Geist der Akteure gescheitert. Neben den kritischen Stimmen gibt es von Anfang an und insbesondere in den letzten Jahren eine wachsende Anerkennung der Leistungen der Weimarer Verfassung.
Staatsrechtler stellen der Weimarer Verfassung ein gutes Zeugnis aus. Sie galt als Vorbild für viele Verfassungen in der Welt. Warum hat sich die Demokratie damals nicht durchgesetzt?
Inzwischen scheinen sich Staatsrechtler, Politikwissenschaftler und Historiker einig zu sein, dass die Weimarer Republik nicht an ihrer Verfassung zugrunde gegangen ist, wenn auch deren strukturelle Schwächen das öffentliche Meinungsbild lange beherrscht haben. Zum Scheitern der Weimarer Republik haben letztlich viele Ursachen beigetragen. Der demokratische Funke war nicht im erforderlichen Umfang auf große Teile des Volkes und der politisch Verantwortlichen übergesprungen. In der Weimarer Verfassung werden heute bestimmte Befugnisse des Reichspräsidenten, wie etwa sein Notverordnungsrecht, kritisch betrachtet. Aber auch vom Verfassungsgeber unbeeinflussbare Umstände, wie etwa die Weltwirtschaftskrise, haben das Gelingen des demokratischen Projekts in Weimar beeinträchtigt.
Die Weimarer Republik sei eine Demokratie mit zu wenigen Demokraten gewesen, heißt es. War das wirklich die Ursache für das Scheitern?
Teilen der Weimarer Republik hat es sicherlich am freiheitlich-demokratischen Geist gefehlt. An alten Eliten des Kaiserreichs wurde festgehalten, auch in der Justiz. Sie standen der Republik oftmals ablehnend, bisweilen feindlich gegenüber. Doch sind die 1920er und 1930er Jahre durch eine ungewöhnliche Zusammenballung von Krisenfaktoren charakterisiert. Sie waren für weite Teile Europas die Zeit einer grassierenden Krise der Demokratie. Paul Valéry hat 1938 resigniert festgestellt, die Idee der Diktatur sei "gegenwärtig so ansteckend wie im vorherigen Jahrhundert die Idee der Freiheit".
Bonn ist nicht Weimar, hat der Publizist Fritz René Allemann einst festgestellt. Wie steht es mit Berlin? Sind wir gegen Weimarer Verhältnisse gefeit?
Auch Berlin ist nicht Weimar. Mit dem Grundgesetz verfügt Deutschland seit knapp 70 Jahren über einen vorzüglich bewährten Ordnungsrahmen. Vielleicht noch wichtiger ist indes, dass sich nach der Barbarei der Nazi-Diktatur und den Schrecken des Zweiten Weltkriegs über mehrere Generationen hinweg in den Köpfen und Herzen der Menschen Demokratie und Freiheit besser entwickeln konnten als in den 14 Jahren, die der Weimarer Republik nach dem Epochenbruch des Jahres 1918 vergönnt waren.
Was können wir heute aus dem Scheitern der Weimarer Demokratie lernen?
Die Geschichte der Weimarer Republik ist auch ein Dokument der Verwundbarkeit der liberalen Demokratie. Das Scheitern der Weimarer Republik muss deshalb mahnen, sich diese Verwundbarkeit immer wieder bewusst zu machen und denen, die Freiheit und Demokratie zu beseitigen suchen, konsequent und frühzeitig die Stirn zu bieten.
Kann Europa wie Weimar scheitern?
Vergleiche der Europäischen Union mit der Weimarer Republik erscheinen mir nicht zielführend. Ungeachtet aller Kritik und Anfeindungen, denen sich die Europäische Union ausgesetzt sieht, ist nach meiner Einschätzung der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Europas wie der politischen Verantwortungsträger bewusst, welch großes Glück der europäische Einigungsprozess, der bereits in der Präambel des Grundgesetzes angelegt ist, darstellt. Dass der EU hierfür der Friedensnobelpreis verliehen wurde, ist kein Zufall.