Vom TV-Moderator zum Stadtführer: Mit Hamdi Kassar durch Neukölln
In Syrien moderierte er eine Frühstückssendung, doch dann floh Hamdi Kassar. In Berlin macht er jetzt Stadtführungen durch Neukölln. Dabei wird klar: Damaskus und Berlin sind gar nicht so verschieden.

Vom TV-Moderator zum Stadtführer: Hamdi Kassar. Foto: dpa
Von Anna Schughart
Berlin (dpa) - Hamdi Kassar redet gerne, aber das ist ja auch sein Beruf. Als er noch in Damaskus lebte, sprach er meistens in Fernsehkameras. Kassar moderierte eine Fernsehsendung namens "Guten Morgen Damaskus" und berichtete live von Veranstaltungen. Auch an diesem Sonntag in Berlin redet der 26-Jährige wieder viel. Doch jetzt sind es die Teilnehmer seiner Stadtführung, die ihm zuhören.
Elf Menschen sind trotz Schneefalls gekommen, um Neukölln aus Kassars Perspektive zu erleben. Die Tour ist Teil der Geflüchteten-Stadtführungen, die der Verein "Stadtsichten" mit seinem Projekt querstadtein anbietet. Touristen und Berliner können hier die Stadt anders kennenlernen. Kassar ist seit November 2016 dabei. Für ihn sind die Stadtführungen eine gute Gelegenheit, mit Menschen in Kontakt zu kommen, ihre Fragen zu beantworten und mit falschen Vorstellungen über Flüchtlinge aufzuräumen.
Neukölln ist, das wird bei der Stadtführung schnell klar, für viele Flüchtlinge ein wichtiger Ort. Von der Arab-Street (wie die Sonnenallee umgangssprachlich heißt) mit ihren arabischen Geschäften und Cafés über die Schawarma-Restaurants, bis zur Sparkasse, bei der viele Flüchtlinge ihr Konto haben: Der Bezirk macht das Ankommen leichter.
Kassar erreichte Deutschland im Sommer 2015. Er habe Syrien nie verlassen wollen, erzählt er an der zweiten Station der Tour. Irgendwann sei es für ihn auf Grund seines Berufs in Damaskus aber zu gefährlich geworden. Er wurde bedroht und beschloss, zu fliehen. Seine Frau und Familie sind noch in Syrien. Kassar hat, wie es für Stadtführer oft typisch ist, eine laminierte Karte dabei.
Doch statt Informationen über den Bezirk zeigt er darauf jetzt seinen Fluchtweg von Syrien nach Deutschland. Und obwohl das ein ernstes Thema ist, bringt Kassar die Gruppe immer wieder zum Lachen. Zum Beispiel, als er erzählt, wie er auf der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland im Gummiboot einfach schlief und sich weigerte, Angst zu haben: "Wenn es mein Schicksal ist, zu sterben, werde ich sterben, egal ob ich Angst habe oder glücklich bin." Er habe entschieden, die Flucht als Entdeckungsreise zu betrachten.
Fernsehmoderator ist Kassars Traumjob. Schon als Kind habe er sich ausgemalt, später vor der Kamera zu stehen. Deshalb würde er auch gerne in Deutschland - oder in einem anderen Land - arbeiten. Ein Praktikum beim RBB hat er schon gemacht. Doch eines ist für Kassar auch klar: Sobald der Krieg zu Ende ist, "bin ich der Erste, der wieder zurückgeht".
Berlin und Damaskus seien sich gar nicht so unähnlich, findet Kassar. In vielen Geschäften in Neukölln gibt es syrische Spezialitäten und beim Friseur könne man in der eigenen Muttersprache plaudern. Damaskus vor dem Krieg sei - genau wie Berlin - eine Stadt gewesen, die niemals schlafe. "Und Berlin ist wunderschön, genau wie Damaskus." Doch als die Tour unter einem Schild mit der Aufschrift "Sex-Kino" haltmacht, wird dann doch ein Unterschied zur syrischen Hauptstadt deutlich: Sex-Shops gibt es dort nicht. Etwas ganz Neues sei für ihn auch der Glühwein gewesen, sagt Kassar.
Nach zwei Stunden endet die Tour auf dem Dach des Refugio Sharehouse in der Nähe des Hermannplatzes. Kassar lässt die Gruppe zum Schluss raten, welchen Job er in Damaskus hatte. Arzt, vermuten ein paar. Vielleicht Lehrer? Oder Schriftsteller? Zwei, drei haben die richtige Idee und sagen: Journalist. "Ich war TV-Moderator", sagt Kassar und hält das letzte laminierte Foto dieser Tour hoch: Es zeigt ihn bei einer Live-Berichterstattung.