40 jahre RAF-Mord an Schleyer

Kinkel sieht keine neue Gefahr durch Linksextremismus

Interview mit Klaus Kinkel (FDP), dem früheren Bundesaußenminister und Bundesjustizminister, der 1992 eine Initiative gegen die Gewaltspirale der RAF startete

04.09.2017 UPDATE: 05.09.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 13 Sekunden
Klaus Kinkel. Archivfoto: dpa​

Von Andreas Herholz

Vor 40 Jahren wurde am 5. September Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer von Terroristen der Rote Armee Fraktion entführt und später ermordet. Es war der Auftakt zu einer Welle der Gewalt im Deutschen Herbst. Wie hat der RAF-Terror das Land verändert?

Damals herrschte gerade zu Beginn des Deutschen Herbstes und der Terrorwelle das Gefühl in der Bevölkerung, dass der Staat mit dieser Bedrohung nicht fertig wird. Da machte sich eine gewisse Ohnmacht breit. Das hat die Menschen ungeheuer verunsichert und belastet. Die Politik war extrem gefordert. Da gab es Situationen, in denen die Gefahr bestand, dass die Rechtsstaatlichkeit nicht gewahrt wird. Man denke nur an die Zwangsernährung von Gefangenen im Hungerstreik oder bestimmte Fahndungsmaßnahmen und die erlassenen Ausnahmegesetze zur Terrorbekämpfung. Es war in Teilen grenzwertig, etwa, was die Haftbedingungen anging. Heute im Rückblick kann man aber sagen, dass es der RAF trotz der hohen Zahl an Toten, die sie zu verantworten hat, nicht gelungen ist, den Rechtsstaat zu erschüttern. Der Rechtsstaat hat am Ende die Oberhand behalten.

Mit der Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" und dem Entführten Schleyer als Geisel sollte die Freilassung von RAF-Gefangenen erpresst werden. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt und die Bundesregierung haben sich darauf nicht eingelassen. Wie haben Sie diese harte Entscheidung erlebt?

Die Entführung der Landshut und die Befreiung der Geiseln durch die GSG 9 in Mogadischu waren sicher ein Schlüsselereignis, ein ganz zentraler Punkt. Der Staat hat damals deutlich gezeigt, wir lassen uns nicht von Terroristen erpressen. Der damalige Kanzler Helmut Schmidt hat richtig entschieden, auf die Forderungen der RAF-Terroristen nicht einzugehen, Schleyer nicht gegen die RAF-Gefangenen auszutauschen, auch wenn es hart und tragisch war und Schleyer ermordet wurde.

Sie haben 1992 als Justizminister eine Initiative gestartet, um die Gewaltspirale zu beenden. Von Versöhnung war die Rede. RAF-Täter sollten aus der Haft entlassen werden, wenn sie ihre Strafe abgesessen hatte. Es hagelte Kritik, gab aber auch Zustimmung. Fühlen Sie sich heute bestätigt?

Ich bin mit dem RAF-Terrorismus in meinen verschiedenen Ämtern konfrontiert worden, im Bundesinnenministerium, als BND-Präsident und schließlich als Staatssekretär im Bundesjustizministerium. Als Justizminister habe ich 1992 vor dem Dreikönigstreffen diese Initiative gestartet. Das war hoch umstritten. Natürlich kann man sich mit Terroristen nicht versöhnen. Es war aber der Versuch, aus dieser schrecklichen Spirale von Terror und Gewalt herauszukommen. Es ging nicht um Absolution für die RAF und ihre Mitglieder. Aber Terroristen, die ihre Strafe verbüßt hatten, sollten genauso wie jeder andere in die Gesellschaft zurückkehren können. Der Staat musste eine Exit-Strategie aus dem Terror finden. Vor allem aus den unionsgeführten Bundesländern kam heftiger Widerstand. Kanzler Helmut Kohl, den ich nicht darüber unterrichtet hatte, hat getobt. Vier Monate später dann hat die RAF reagiert und erklärt, keine Attentate mehr begehen zu wollen. Wir hatten Glück. Das waren ein Erfolg und der Anfang vom Ende der RAF. Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat sich bei mir bedankt. Er hat später auch Begnadigungen ausgesprochen.

Bis heute sind RAF-Verbrechen nicht aufgeklärt, ist nicht klar, wer etwa die Täter beim Attentat auf den früheren Generalbundesanwalt Siegfried Buback waren. Wird das Schweigen noch gebrochen werden?

Dieses Schweigen ist enttäuschend und macht ohnmächtig. Ich hätte mir gewünscht, dass einige ihr Schweigen brechen werden. Aber darauf werden wir wohl vergeblich warten.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) beklagt einen wachsenden Linksextremismus. Wie groß ist die Gefahr eines neuen Links-Terrorismus?

Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Eine neue Generation der RAF wird es nicht geben. Es gibt keinerlei Hinweise auf eine solche Bewegung.