Das Gespräch führte Philipp Hedemann
In langen Nachtschichten hat Sven Plöger während des Corona-Lockdowns sein Buch über den Klimawandel zu Ende geschrieben. Wir sprachen mit Deutschlands bekanntestem Meteorologen über Klimawandelleugner, Greta Thunberg und Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Corona-Krise und dem Klimawandel.
Herr Plöger, gerade ist Ihr Buch "Zieht Euch warm an, es wird heiß!" erschienen. Braucht es wirklich ein weiteres Buch über den Klimawandel? Hat dazu nicht schon fast jeder fast alles gesagt und aufgeschrieben?
Stimmt! Dazu ist schon viel geschrieben worden. Aber mir ging es darum, all die Nachrichten, die dazu täglich auf uns einprasseln, einzuordnen und so Orientierung zu geben. Außerdem ist es mir eine Herzensangelegenheit, aufzuzeigen, dass die Situation zwar dramatisch ist, es aber auch noch nicht zu spät ist, das Schlimmste zu verhindern. Es ist fünf vor zwölf, nicht fünf nach zwölf. Deshalb erkläre ich im Buch auch, warum es klare politische Regeln braucht und was jeder Einzelne tun kann, um ein völliges Kippen unseres Klimasystems noch abzuwenden.
Sven Plöger. Foto: Getty/dpaGlauben Sie denn, mit Ihrem Buch einen einzigen Klimawandelleugner überzeugen zu können?
Die allermeisten Menschen sind zum Glück keine Klimawandelleugner. Nichtsdestotrotz fehlen ihnen – auch für die oft anstrengende Diskussion mit Skeptikern – manchmal Wissen und Argumente. Beides finden Sie im Buch. Aber eingefleischte Klimawandelleugner werde ich wohl nicht überzeugen können. Ich habe mich mehr als zehn Jahre lang bemüht, einen sachlichen Austausch zu finden. Dann musste ich einsehen, dass dies vergebene Liebesmüh’ ist, da Fakten und Argumente offenbar gar keine Rolle spielen und am Ende fast immer persönliche Beleidigungen standen. Ich nehme heute zur Kenntnis, dass es solche Kurzdenker gibt, aber sie sind nur eine – leider laute – Minderheit. Wir sollten als Gesellschaft verhindern, dass diese wenigen Rückwärtsgewandten die Diskussion um ein so wichtiges Thema bestimmen.
Deutschland hat wieder einen extrem trockenen Frühling erlebt, im letzten Jahr brannten nicht nur in Australien und Brasilien die Wälder. Dann kam Corona. Interessiert sich heute überhaupt noch jemand für den Klimawandel?
Oh ja, die Leute interessieren sich mehr denn je dafür! Das liegt daran, dass der Klimawandel vor allem seit dem Rekordsommer 2018 bei uns mittlerweile konkret spürbar geworden ist. Natürlich wurde zuletzt jedes Thema durch Corona überlagert, denn die Pandemie betrifft jeden. Wir dürfen aber nicht den Fehler machen, uns nur vor einer fünf Meter hohen Tsunami-Welle – der Corona-Krise – in Sicherheit zu bringen und dabei die 500 Meter hohe Welle – den Klimawandel – übersehen, die sich bereits am Horizont auftürmt.
Sowohl der Klimawandel als auch der Corona-Virus könnten Millionen Menschenleben kosten. Trotzdem reagieren Gesellschaft und Politik ganz unterschiedlich. Warum?
Es liegt wohl vor allem daran, dass wir die Bedrohung durch Corona als sehr konkret wahrnehmen. Meine Familie, meine Freunde oder ich selbst könnten erkranken. Die Gefahr durch den Klimawandel nehmen wir nicht als so konkret wahr. Noch haben wir das Gefühl, das vielleicht irgendwann, irgendwem, irgendwo irgendetwas passieren wird. Schließlich werden wir die meiste Zeit nicht von einem klimawandelbedingten Unwetter heimgesucht. Leider neigt der Mensch dazu, Dinge zu verdrängen und aufzuschieben. Dabei wäre es so wichtig, jetzt zu handeln. Wenn wir die Auswirkungen des Klimawandels erst jeden Tag spüren, wird es zu spät sein.
In der Corona-Krise hat die Politik schnell sehr weitgreifende Maßnahmen ergriffen, die die persönliche Freiheit der Menschen stark eingeschränkt haben. Die meisten Menschen fanden das richtig. Ginge das nicht auch beim Klimawandel?
Dafür sind die Auswirkungen des Klimawandels einfach noch nicht dramatisch genug zu spüren. Wenn wir in einer apokalyptischen und dystopischen Zeit leben würden, in der wir beispielsweise jedes Jahr eine verheerende Dürre hätten, wäre die Bereitschaft, darauf mit drastischen Maßnahmen zu reagieren, sicher größer. Aber genau das gilt es natürlich zu verhindern.
Politiker, die während der Corona-Krise versagen, werden möglicherweise nicht wiedergewählt, weil die Folgen ihres Tuns sich schnell an Todesraten ablesen lassen. Die Folgen der Klimapolitik zeigen sich erst später.
Ja, und das ist ein Problem. Besonders gut lässt sich das derzeit in den USA betrachten. Trump hat zunächst so getan, als beträfe das Corona-Virus die USA nicht. Die fatalen Folgen sind bekannt. Beim Klimawandel macht er genau dasselbe und tut auch hier so, als gäbe es das alles nicht – und auch das wird fatale Folgen haben! Gleichzeitig weiß er ganz genau, dass sich das Klima verändert. Sonst würde er nicht seinen Golfplatz in Irland für viel Geld gegen den Anstieg des Meeresspiegels sichern. In seiner Welt dreht sich offenkundig alles – so wie es bei vielen Populisten der Fall ist – nur um ihn selbst. Das Wohl seiner eigenen Kinder, Enkel und nachfolgender Generationen ist da erkennbar weniger bedeutend. So entzieht er sich schlicht seiner Verantwortung. Man sieht es jeden Tag: Populisten mit vermeintlich einfachen Antworten auf komplizierte Fragen lösen keine Probleme, sie schaffen nur welche.
In der Corona-Krise hat die Politik auf die Wissenschaft gehört. Virologen wie Professor Christian Drosten sind so zu verehrten und zugleich verhassten Stars aufgestiegen. Könnten Klimaforscher die neuen Virologen werden?
Klimaforscher wie Professor Hans Joachim Schellnhuber, der lange das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung leitete, oder Professor Mojib Latif sind mittlerweile auch außerhalb der wissenschaftlichen Community bekannt, auch wenn sie aktuell natürlich nicht so populär wie Professor Drosten sind. Doch sie teilen sein Schicksal. Wenn sie der Gesellschaft und der Politik aufgrund wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse empfehlen, dass wir unser Verhalten ändern müssen, um eine Katastrophe zu verhindern, werden auch sie von bestimmten Gruppen diskreditiert, beschimpft, beleidigt oder sogar bedroht.
Auch Greta Thunberg, die Gründerin der Fridays-for-Future-Bewegung, hat im Internet schon so manchen Shitstorm aushalten müssen. Vor allem, seit sie in Hinblick auf die Erderwärmung gesagt: "I want you to panic." Ist Panik in Sachen Klimawandel ein guter Ratgeber?
Panik ist kein guter Ratgeber. Sie führt selten dazu, dass man das Richtige tut. Nichtsdestotrotz: Ich bin ein großer Greta-Fan. Vor 13 Jahren kam mein erstes Buch über den Klimawandel raus. Darin habe ich geschrieben, dass die Klimaschutzbewegung eine Ikone braucht. Greta ist diese Ikone. Ihr ist es gelungen, weltweit Millionen überwiegend junge Menschen, aber auch ältere Generationen und Politiker für den Klimaschutz zu begeistern. Natürlich geht es Greta nicht vorrangig darum, dass die Welt in Panik verfällt. Sie will lediglich, dass Gesellschaft und Politik sich des Ernsts der Lage bewusst werden, auf die Wissenschaft hören und jetzt die Maßnahmen ergreifen, die gebraucht werden, um das Klima zu schützen.
Also machen Greta und ihre jungen Mitstreiter alles richtig?
So beeindruckend ich finde, was Greta und die Fridays-for-Future-Bewegung erreicht haben – sie müssen sich jetzt auch überlegen, wie es weitergehen soll. Nur auf die Straße zu gehen und zu fordern, dass die Politik ihre Forderungen zum Klimaschutz umsetzen soll, reicht auf Dauer nicht. Viele der Fridays-for-Future-Jugendlichen sind mittlerweile alt genug, um selbst Verantwortung zu übernehmen. Ich fände es gut, wenn viele von ihnen sich in der Kommunalpolitik für mehr Klimaschutz engagieren würden. Das ist vielleicht weniger spannend und etwas mühsamer als freitags demonstrieren zu gehen, aber langfristig lässt sich in einer Demokratie so mehr gestalten. Aus demselben Grund haben auch die Grünen vor 40 Jahren den Marsch durch die Institutionen angetreten.
Sehen Sie in der Corona-Krise die Chance, dass es zu einer klimafreundlicheren Ausrichtung der Wirtschaft kommt? Oder befürchten Sie, dass Wirtschaftsförderung jetzt auf Kosten des Klimaschutzes geschieht?
Während der coronabedingten Entschleunigung haben sich viele Menschen – darunter auch führende Politiker – damit beschäftigt, ob wir tatsächlich mit unserem Immer-Schneller-Höher-Weiter-Hyperkonsum fortfahren wollen. Viele fragen sich: Wo wollen wir damit hin? Natürlich haben die Einschränkungen für viele Menschen zu großen wirtschaftlichen Problemen geführt, und es ist wichtig, dass die Wirtschaft wieder in Schwung kommt. Aber ich habe die Hoffnung, dass die Krise auch im positiven Sinn eine Zäsur sein kann. Viele Politiker haben mittlerweile begriffen, dass sich mit umweltfreundlicher Politik Stimmen gewinnen lassen.
Brauchen wir mehr Regeln, Vorschriften und Verbote, um den Klimawandel zu verlangsamen?
Ja! Die Erfahrung zeigt: freiwillig werden die meisten Menschen ihr Verhalten nicht ändern. Die Gier, die zur Ausbeutung der Natur und somit zum Klimawandel führt, wird nicht einfach so überwunden werden. Wenn verbindliche Regeln alle Menschen zum Klimaschutz verpflichten, können wir viel erreichen.
Verbote sind nie populär.
Das ist mir klar. Es wird immer Menschen geben, die Verbote als Eingriff in ihre Freiheit sehen. Aber wir müssen auch bedenken: Die Freiheit des einen bedeutet oft die Unfreiheit des anderen. Beim Klimawandel ist der Mensch Täter und Opfer zugleich. Auch daraus erwächst die Verantwortung zum Handeln.
Wollen Sie, dass in Deutschland Inlandsflüge verboten werden?
Nein, aber Inlandsflüge müssen teurer werden, damit die klimafreundlichere und oft fast genauso schnelle Bahn nicht ins Hintertreffen gerät. Es stimmt doch etwas nicht, wenn man aus der Innenstadt in München 70 Euro für das Taxi zum Flughafen zahlt, dann aber für 29 Euro nach Hamburg fliegt! Auch Auslandsflüge müssen teurer werden. Aber es darf nicht sein, dass sich nur noch reiche Leute, die aufgrund ihres Lebensstils in der Regel ohnehin höhere Emissionen haben, Reisen leisten können und alle anderen zuhause bleiben müssen.