BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken wird 70
"Ah, dä Heiland widder". Er ist ein Institution in der deutschen Musikszene.

Von Alexander R. Wenisch
Köln. Wolfgang Niedecken ist eine Institution in der deutschen Musikszene. Seit 45 Jahren mit BAP und seinem kölschen Dialekt unterwegs, immer politisch aktiv und bekennender Fan des 1. FC Köln. Jetzt wird der "Südstadt-Dylan" 70. Alexander R. Wenisch sprach mit Niedecken über offene Wünsche, schlimme Geschenke und seine Chef-Qualitäten.
Wenn wir uns mal kurz vorstellen, da käme gerade ’ne Fee vorbei und würde sagen: Danke, jrooßer Meister, du häss drei Wünsch bei mir frei – welche wären das?
Okay … aber Corona, Gesundheit und nie mehr Krieg, das lassen wir mal weg. (Braucht etwas Bedenkzeit) Ich hab mir vor ’ner Weile mal einen Beatles-Bass geleistet. Wenn mir Paul McCartney auf dem Schlagbrett zum Geburtstag gratulieren würde, das fände ich richtig toll. McCartney war – jenseits von Winnetou – mein erstes Vorbild. Ich habe Bass gespielt in meiner ersten Band, weil ich Paul so toll fand. Okay, Wunsch Nummer zwei: Wenn die Stones noch mal nach Köln kämen, würde ich mit ihnen auf der Bühne gerne "Sympathy For The Devil" singen. Und, dritter Wunsch, Neil Young würde ich gerne mal privat treffen, mal gucken wie der Typ so drauf ist.
Ich hätte noch ne Idee.
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Dass der FC mal wieder Meister wird.
(Lacht) Ich würde mich schon damit zufrieden geben, wenn er nicht absteigt.
Das schönste Geschenk, das dir der Major, euer ehemaliger Gitarrist, je gemacht hat?
Dass er meine Band zum Rocken gebracht hat. Wir waren ja, bevor er bei uns eingestiegen ist, leidenschaftliche Dilettanten. Ich bin an der Gitarre kompletter Autodidakt. Mein Bruder hat mir die ersten drei Griffe gezeigt: C, F und G7. Damit war der in der Lage, ganze Familienfeste zu bespaßen. Der hat alles zu den drei Akkorden gesungen. Sensationell.
Das schlimmste Geschenk, was dir deine Frau je gemacht hat?
Hintergrund
BIOGRAFIE
Name: Wolfgang Niedecken
Geboren am 30. März 1951 in Köln
Ausbildung: 1962 bis 1970 wohnte Niedecken im Konvikt St. Albert und besuchte das Gymnasium. In dem katholischen Internat in Rheinbach südlich von Bonn kam es zu
BIOGRAFIE
Name: Wolfgang Niedecken
Geboren am 30. März 1951 in Köln
Ausbildung: 1962 bis 1970 wohnte Niedecken im Konvikt St. Albert und besuchte das Gymnasium. In dem katholischen Internat in Rheinbach südlich von Bonn kam es zu sexuellen Übergriffen und Gewalt der Patres. Ohne Abitur studierte Niedecken ab 1970 freie Malerei an den Kölner Werkschulen und schloss das Studium 1974 mit dem Examen ab.
Musiker: Erste Schülerbands (z.B. "The Convikts", "Troop") in den 60ern. 1976, als Zivildienstleistender, schrieb er seinen ersten kölschen Songtext: "Leev Frau Herrmanns", den er nun zu seinem Geburtstag erstmals veröffentlicht hat. 1976 erste Proben mit der noch namenlosen Freizeitcombo, die im Juli 1977 unter ihrem heutigen Namen BAP (Kölsch für "Vater") erstmals auftrat. 1979 Durchbruch gleich mit der ersten LP. Niedeckens Texte sind stark von Bob Dylan geprägt. 23 Studio- und 8 Live-Alben, 19 in den Top 10, elf mal Nummer 1 in den Charts. BAP hat mehr als 5,9 Millionen Tonträger verkauft und ist damit eine der Bands mit den meisten verkauften Tonträgern in Deutschland.
Engagement: Niedecken rockt seit Jahren gegen rechts, setzt sich für ehemalige Kindersoldaten in Afrika ein und ist Botschafter von World Vision. Dafür 2013 Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.
Familie: Erste Ehe mit Frau Carmen (1983-1992); mittlerweile seit fast 30 Jahren mit Tina Niedecken verheiratet. Zwei Söhne, Severin und Robin, und zwei Töchter, Jojo und Isis.
Aktuell: Geburtstagsedition des BAP-Albums "Alles fließt" inkl. neuer Lieder. / Buch: "Wolfgang Niedecken über Bob Dylan" / Biografie: "70 Jahre – Für ’ne Moment" und "Zugabe" in einem Band mit neuem Vorwort / Dokumentation: "Alles ist im Fluss. Wolfgang Niedecken zum 70." am Sonntag, 28.3 um 23.45 Uhr im ZDF. Anschließend in der ZDF-Mediathek (bis 4. April). / Live: Im Oktober und November 2022 in Heilbronn, Stuttgart, Frankfurt, Karlsruhe und Mannheim. lex
Oh, das ist fies. Also es war eigentlich ein tolles Geschenk, aber ich kann damit einfach kaum was anfangen. Zu meinem Sechzigsten haben Tina und alle meine Freunde zusammengelegt und mir einen Mercedes-Oldtimer geschenkt. Tolles Auto, aber ich mach mir nichts aus Autos. Und der steht jetzt seit ewigen Zeiten in der Garage mit einer Plane drüber. Müsste man mal wieder auf Vordermann bringen. Aber ich bin einfach kein Schrauber. Die Textzeile in "Waschsalon" stimmt einfach: "Du häss Ahnung vun dä Technik, vun der ich nix verstonn."
Wird man mit 70 gelassen?
Ja, wird man aber auch schon mit 60.
Gibt es noch Themen, bei denen dir der Schweiß ausbricht?
Ja, jede Menge sogar. Da muss ich nur in die Nachrichten gucken. Das ganze Chaos beim Impfen zum Beispiel. Ich verfolge, was in Syrien abgeht. Oder im Jemen. Oder die vielen Menschen, die immer noch im Mittelmeer ertrinken. Das lässt mich alles nicht kalt. Sehr schön war, dass der Trump dann doch nicht mehr gewählt wurde. Vielleicht das einzig Positive, was Corona gebracht hat.
BAP und du, ihr wart immer politisch, eng mit der Anti-Atomkraft-Bewegung verbunden. Wie beobachtest du heute Fridays For Future?
Das hat mich total überrascht. Da hab’ ich nicht mehr mit gerechnet. Das ist ein Hoffnungsschimmer, dass die Kids sich nicht unterkriegen lassen. Wir sind auch mit der ganzen Familie hier in Köln demonstrieren gegangen. Am Anfang dachte ich, vielleicht ist es eher so ein Lifestyle-Ding, so eine Modeerscheinung, freitags halt demonstrieren zu gehen. Aber die ziehen das durch, die sind zäh.
Gibt es deutsche Bands, die wie ihr damals Anschluss an die Fridays-Bewegung suchen?
Na klar, hier in Köln zum Beispiel AnnenMayKantereit. Die sind da aktiv mit dabei. Und irgendwie erinnern die mich auch an uns damals. Ein anderer Stil, schon. Aber irgendwie das gleiche Selbstbewusstsein: Die Mode ist zwar gerade ganz woanders, das ist uns aber egal, wir machen das, was uns gefällt.
Stimmt dich das melancholisch?
Nee, überhaupt nicht. Ich freu mich darüber. Ich bin mit den Jungs mittlerweile sehr gut befreundet. Es gibt eine Menge junger Bands die versuchen, ihr eigenes Ding zu machen. Aber sobald die dann von einer Plattenfirma entdeckt werden, dann quatscht ihnen wieder irgendeiner rein und dann wird ihre Musik zu so einem Mainstream-Einerlei. Schrecklich.
Du singst seit Jahrzehnten gegen Rechtsextremismus an. Aber aus der Welt ist er nicht. Bringt der politische Song überhaupt irgendetwas?
Mir war schon immer klar, dass man bei den Rechten nicht nachlassen darf. Die werden immer irgendwo versuchen, neue Triebe zu schlagen. Da muss man halt wachsam sein.
Ist der Geburtstag für dich Anlass, Bilanz zu ziehen, zurückzublicken?

Naja, gezwungenermaßen. Ich werde ja jetzt dauernd auf die 70 angesprochen. Und da kommen natürlich Erinnerungen hoch. Viele gute, ich hatte unglaubliches Glück im Leben, aber ich hab’ auch Fehler gemacht, die ich gerne vermieden hätte. Und es sind ja die negativen Sachen, die einen dann sehr beschäftigen. Da habe ich in letzter Zeit auch einige Nächte schlecht geschlafen.
Aber es gäbe ja auch die Chance eines klärenden Gesprächs.
Ja, sicher. Aber für manches ist es einfach zu spät. Manchmal sind die Protagonisten auch nicht mehr am Leben. Was ohnehin das Schlimmste ist, wenn man älter wird: dass einem die Freunde wegsterben. Das ist echt Mist.
In "Verdamp lang her" verarbeitest du das schwierige Verhältnis zu deinem Vater, die Sprachlosigkeit, die zwischen euch herrschte. Wie blickst du heute auf ihn?
Sehr, sehr milde. Ich habe meinen Vater längst komplett verstanden. Ich bin ja Agnostiker – und irgendwie wünsche ich mir, er säße jetzt da oben auf seiner Wolke, schaut mir zu und ist beruhigt.
"Verdamp lang her" war der Riesen-Hit. Aber wann hast du gemerkt, dass das mit BAP funktioniert?
Naja, das war mit den Alben "Für usszeschnigge!" und "Vun drinne noh drusse" 1981/82. Das waren Millionen-Seller. Mein Credo war immer: 3000 Mark musste auf dem Konto haben, davon kann man ’ne Weile leben. Wenn es weniger wurde, musste ich halt wieder arbeiten gehen. Aber plötzlich liefen da die Tantiemen rein. Da kam dermaßen viel Kohle, kaum zu begreifen. Geld interessiert mich eigentlich nicht. Ich hab noch nie viel gebraucht, um zufrieden zu sein.
Wenn man ein privilegiertes Leben lebt, wie bringt man seinen Kindern da Bescheidenheit bei?

Nur durchs Vorleben. Das kannste nicht predigen. Meine Kinder wissen, wie ich ticke, was mir was bedeutet – und eben auch, was mir absolut nichts bedeutet. Statussymbole zum Beispiel, da leg ich null Wert drauf.
Mir fiel beim Durchblättern der BAP-Platten auf: Alle deine Mit-Musiker hatten Spitznamen, der Schmal oder der Effendi ... nur du hattest keinen. Oder gibt es einen, den man bloß nicht kennt?
Eine Zeit lang haben sie mich "Heiland" genannt. Weil ich auf der Bühne anscheinend zu viel gepredigt habe: Ah, dä Heiland widder! (lacht)
Lass uns kurz in die Zukunft schauen: DSDS braucht einen neuen Juror. Schon die Bewerbung abgegeben?
Näh! Hätte ich überhaupt keinen Bock drauf. Diese Sendungen, wo Menschen vorgeführt und gedemütigt werden, warum macht man so was? Ich finde das so dermaßen zynisch! Das gehört sich einfach nicht. Und warum guckt sich so was überhaupt jemand an? So wie Germany’s Next Topmodel. Darüber bin ich mit meinen Töchtern damals ordentlich aneinandergeraten.
Hat nicht viel gebracht. Deine Tochter Isis ist Model.
Naja, die sieht halt auch wunderschön aus (lacht). Im Ernst: Sie macht das nebenher, um sich ein bisschen Geld dazuzuverdienen.
Bist du eigentlich noch als bildender Künstler aktiv?
Ja, aber ich mache keine Ausstellungen mehr. Die letzte mit neuen Arbeiten ist 20 Jahre her. Aber wenn mir ein Songtext gut gelungen ist, dann mach’ ich dazu manchmal eine Collage. So als Lockerungsübung. Das macht mir Freude.
Deine große Party in der Kölner Arena fällt wegen Corona aus. Gibt es wenigstens ein Streaming-Konzert für die Fans an deinem Geburtstag?
Nee. Da bin ich nicht der Typ für. Ich kann nicht ohne Publikum. Das ist ja wie vor eine Wand zu spielen. Davon abgesehen, wär es viel zu teuer, die Band für nur ein Konzert und die entsprechenden Proben zusammen zu karren. Da wohnt ja keiner von in Köln.
Bist du eigentlich ein strenger Band-Chef?
Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich bin als Chef eine Katastrophe. Der Helmut Krumminga, unser ehemaliger Gitarrist, ist mal gefragt worden, ob ich ein Alpha-Tier wäre. Und er hat geantwortet: Ja, aber eins zum Kuscheln. Ich hab auch gar keinen Bock, Chef zu sein. Ich will den Leuten auf Augenhöhe begegnen. Ich kann anerkennen, was jeder Musiker für BAP leistet. Und ich hoffe, alle wissen, was ich für die Band leiste: Ich bin halt der Typ, der die Texte schreibt, vorne singt und die Band durchs Nadelöhr bringt.
PLAYLIST - Mehr als "Verdamp lang her"
Fast jeder kennt "Kristallnaach", "Arsch huh, zäng ussenander!" oder "Verdamp lang her". Und sonst? Tipps für elf weniger bekannte Niedecken-Songs:
> Sinnflut (1979): Eine dieser endlosen, pointenreichen Abrechnungen mit dem Establishment, die dem jungen Niedecken den Stempel "Südstadt-Dylan" einbringen. Sieben Strophen lang baut er ein Floß – mit dem dann all die untergehen, die er nie mit an Bord haben wollte.
> Deshalv spill mer he (1984): Das Lied über Ost-West-Verständigung und Abrüstung, das in letzter Sekunde zur Absage einer Tournee durch die DDR führte, weil die SED es nicht hören wollte.
> Globus (1986): Die Ehe bröckelt, die Band bröckelt, und so mies klingt das Album "Ahl Männer, aalglatt" dann auch. Dennoch ist es voll starker Songs. In "Globus" wandern Niedeckens Gedanken von einem runden Bleistiftspitzer zu all den Schweinereien auf der Welt.
> Saison der Container (1988): Man nennt es damals noch nicht Gentrifizierung, aber in der Südstadt läuft sie schon. Die drohende Verdrängung kommentiert Niedecken aus der Perspektive eines Alteingesessenen, der rauchend und trinkend mit den Kumpels am Kiosk steht und sich wundert.
> Freio (1990): Und wieder schweifen die Gedanken vom Banalen zum Weltgeschehen, eingekleidet in locker-bluesigen Southern Rock: Vom Fangerles-Spielen (auf Kölsch "Freio") zu Krisen- und Kriegsgebieten, die keine unbeschwerte Kindheit kennen.
> Paar Daach fröher (1993): Niedecken schmachtend: Die Ode an die neue Liebe wird nicht so bekannt wie einst "Do kanns zaubre", aber ebenso romantisch.
> Saach, wat ess bloß passiert? (1996) Maximal hämisch wird hier mit einer fiktiven Ex und ihrem schmierigen Neuen abgerechnet. Nebenbei: Die funkigste Nummer, die BAP je produzieren.
> Novembermorje (1996): Musikalischer Nachruf auf den befreundeten Maler Michael Buthe, so bunt und abgedreht wie dessen Bilder.
> Wat jeht uns die Sintflut ahn? (1999) Auf dem Abschiedsalbum von "Major" Heuser packt Niedecken nochmal den Protestsong aus – und beißenden Zynismus: "Gut, dass wir alle keine Kinder haben!" Die Fridays-for-Future-Generation wird da gerade geboren.
> Dir allein (2001) Eines dieser sphärisch dahintreibenden Stücke, die oft als Rausschmeißer des Albums dienen. Nie so emotional wie 2005 bei der Trauerfeier für Co-Sängerin Sheryl Hackett in Heidelberg.
> Noh Gulu (2008) Niedeckens Afrika-Engagement ist seit der Allstar-Single "Nackt im Wind" bekannt. In "Noh Gulu" singt er über ugandische Kinder, die hoffen, den Milizen von Joseph Kony zu entgehen. hol