Von Jan Draeger
Gleichberechtigung – ein Thema, das die Autorin und Journalistin Hanne Hippe nicht loslässt. In den 70er-Jahren engagiert sie sich während ihrer Studentenzeit in Heidelberg in einem Frauenzentrum, in ihren bekannten Krimis – sie erscheinen unter ihrem Pseudonym Hannah O’ Brien – schickt sie eine Polizistin in Irland auf Verbrecherjagd. Nun kommt ihr bemerkenswerter Roman auf den Markt, der von den Schwierigkeiten einer geschiedenen, alleinerziehenden Frau in den 50er- und 60er- Jahren erzählt. Diese "Geschichte einer unerhörten Frau" lehnt sich an das Leben ihrer Mutter an, aber auch an das der Autorin. Unser Mitarbeiter Jan Draeger sprach mit Hanne Hippe über Frauenrechte, über Zeiten, in denen Frauen noch ein Haushaltsbuch führen mussten – und darüber, warum eine Partnerschaft auf Augenhöhe spannend ist.
Frau Hippe, im Duden ist seit neuestem nicht nur der "Bösewicht" zu finden, sondern auch die "Bösewichtin". Freut Sie das als Autorin von Kriminalromanen?
Frauen hatten es immer schon drauf, auch Bösewichtin zu sein. Da sehe ich jetzt keinen Unterschied.
Aber ist das Gendern in der Sprache nicht ein wichtiger Bestandteil der Frauenrechte?
Auf dem Weg zur wirklichen Gleichberechtigung von Mann und Frau, von der wir doch noch entfernt sind, kann das ein wichtiger Schritt sein. Ich ärgere mich, wenn nur von Männern die Rede ist und man beispielsweise gar nicht auf die Idee kommt, von "Vorstandsvorsitzendinnen" zu sprechen.
Gendern Sie auch selber?
Ich bin da in mancher Hinsicht noch ein bisschen altmodisch. Vor kurzem habe ich zu meiner 35-jährigen Tochter gesagt, dass ich einen Termin bei meiner Friseuse gekriegt habe. "Mama!", korrigierte sie mich daraufhin, "das heißt Friseurin, Friseuse ist diskriminierend."
Ihr neues Buch spielt in den fünfziger und sechziger Jahren. Da war man noch weit davon entfernt, von Gendern zu sprechen. "Die Geschichte einer unerhörten Frau" erzählt von einer geschiedenen, alleinerziehenden Frau. Im Nachwort schreiben Sie: "Dieses Buch ist auch ein kleines Denkmal für den Mut meiner Mutter" …
Es gibt Gemeinsamkeiten, aber ich habe auch vieles verdichtet und fiktionalisiert. Deshalb ist es ein Roman geworden. Meine Mutter war eine schüchterne und unsichere Frau. Sie hatte sich eigentlich ein Leben mit einem schönen Mann und einem kleinen Haus erträumt. Durch die Eskapaden meines Vater war sie eines Tages dazu gezwungen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und hat sich scheiden lassen. Obwohl das Wort damals noch nicht im Sprachgebrauch auftauchte, kann man heute sagen, dass sie dann ein "selbstbestimmtes" Leben geführt hat.
Wurde sie eine emanzipierte Frau?
In dem Sinne, wie wir es heute sehen, war sie nicht emanzipiert – und trotzdem war sie es. Emanzipiert bedeutet ja, dass man an sich selbst glaubt, sich selbst vertraut und entsprechend die Lebensschritte in eine bestimmte Richtung führt. Die Scheidung war für sie ein neuer Start. Am Anfang hat sie Putzstellen angenommen, um sich und die Kinder durchzubringen. Das war sehr viel Arbeit für sehr wenig Geld.
Und das war mutig …
Ja, sie hätte sich ja auch einen anderen Mann "einfangen" können. So wurde das damals genannt: Frauen "fangen" sich einen Mann ein. Männer hatten eine andere Position: Sie "wählten eine Frau aus". Ich habe den Mut meiner Mutter bewundert, dass sie diesen Weg alleine ging. Sie hat sich später zugetraut, in der Stadtbücherei zu arbeiten, wurde sogar Assistentin der Bibliothekarin. Ohne eine Ausbildung hat sie sich im öffentlichen Dienst hochgearbeitet. Das sind emanzipatorische Schritte.
Zwei Begriffe veranschaulichen in Ihrem Buch die gesellschaftliche Stellung von Mann und Frau in der damaligen Zeit. Der Mann wurde als "werter Gatte", die geschiedene Frau als "Schlampe" bezeichnet. Wie war das Zusammenleben zwischen Ihrem Vater und Ihrer Mutter vor der Scheidung?
Meine Mutter wusste nicht einmal, was mein Vater jeden Monat verdiente. Das war normal. Da schlagen Sie doch heute in einer Partnerschaft die Hände über den Kopf zusammen. Meine Mutter bekam Haushaltsgeld. Sie musste aber wenigstens nicht wie viele andere Frauen ein Haushaltsbuch führen – sozusagen als Nachweis, dass das Geld richtig ausgegeben und nicht verschleudert wurde.
Wann hat sich Ihre Mutter scheiden lassen?
1957. Die Scheidung meiner Eltern war in Frankfurt am Main. Wir sind dann an den Stadtrand von Köln gezogen. Mein Vater war ziemlich verantwortungslos, und diese Verantwortungslosigkeit hatte meine Mutter nicht länger ertragen wollen. Sie hat sich scheiden lassen, um sich und den Kindern einen fairen, guten Start ins Leben zu ermöglichen.
Ein Start, der nicht einfach war. Ohne Vater, hieß es damals, hatte man die Kinder nicht im Griff. Neben der physischen Anstrengung war das für die nun alleinerziehende Frau ja auch eine enorme psychische Leistung …
Wir wurden misstrauisch beäugt, besonders von den Nachbarn. Meine Mutter hat das öfter angedeutet. In meinem Buch greife ich das in einer Szene auf: Der Schuldirektor hatte einen anonymen Brief aus der Nachbarschaft bekommen. Meine Mutter wurde darin angeschwärzt, ihre Kinder nicht im Griff zu haben. Und das alles nur, weil ich einen engen Rock auf der Straße getragen hatte. Haare waren ein genau so großes Thema. Ein Mädchen sollte die Haare nicht offen tragen, sondern zu Zöpfen geflochten haben. Mit solchen Äußerlichkeiten fiel man Anfang der sechziger Jahre auf.
Auch mit Jeans fiel man damals unangenehm auf. Der Reißverschluss sollte bei der Frau rechts und nicht in der Mitte sein.
Ich weiß noch, wie ich mir todesmutig und rebellisch eine Texashose gekauft habe – mit Reißverschluss vorne. Die ersten drei Monate habe ich einen langen Pullover darüber getragen, damit es niemand merkt.
Aber dann fiel es doch auf?
Irgendwann war ich so kess, dass ich den Pullover in die Hose gesteckt habe. Aber nur im Freundeskreis trug ich das so.
Sie sind Jahrgang 1951, Autorin und Journalistin. In den sechziger Jahren waren Sie die erste Frau in Ihrer Familie, die ein Gymnasium besuchen durfte. Bildung galt als Männersache. Gab es da große Widerstände?
Nein, in meiner Familie nicht, die waren alle stolz auf mich. Skepsis gab es nur im Bildungsbereich selbst. Mädchen, sagte man, sind zum Beispiel in naturwissenschaftlichen Fächern nicht so gut. Ich habe das allerdings auch gnadenlos bedient. Ich war furchtbar in Mathematik und besser in den Geisteswissenschaften.
Wer setzte sich für Sie ein, dass Sie aufs Gymnasium gehen konnten?
Mein Volksschullehrer und meine Mutter. Ich wurde die erste Akademikerin in meiner Familie. Obwohl meine Mutter selbst nicht über eine weiterführende Schulbildung verfügte, hat sie mich gefördert. Dabei war der Geist damals eher so, dass man als junger Mensch nach dem Volksschulabschluss in die Fabrik oder in die Lehre ging. Um schnell Geld zu verdienen. Man sollte einen Teil zum Familienhaushalt beitragen.
Was hat Ihnen Ihre Mutter mit auf den Lebensweg gegeben?
Ganz viel Liebe, Unterstützung und Anfeuerung. "Du kannst das, wenn du das willst", hat sie gesagt. Das galt auch für meinen jüngeren Bruder.
Kann eine alleinerziehende Mutter aus den fünfziger und sechziger Jahren Vorbild für die heute alleinerziehenden Mütter sein?
Ich glaube, dass jeder Mensch, Frau wie Mann, der oder die ihr Leben in die Hand nimmt entgegen den Erwartungen und Gebräuchen, ein Beispiel für Mut ist.
Was können wir aus dieser Zeit lernen?
Was die Frauenrechte betrifft: Dass Frauen und Männer gleichberechtigt sein sollen und gleiche Chancen haben müssen. Letztendlich hängt der Erfolg oder der Misserfolg eines Menschen davon ab, was er oder sie erreichen möchte – und nicht von dem, was die Gesellschaft zulässt oder erwartet. Das, finde ich, ist emanzipiertes Auftreten oder Handeln. Von Frauen wie von Männern. Männer müssen sich ja auch emanzipieren.
Inwiefern?
Die Männer müssen akzeptieren, dass bestimmte Dinge nicht mehr so laufen wie früher. Dass sie nicht mehr bestimmten Vorgaben, die die Gesellschaft ihnen vorgaukelt, einfach folgen. Eine wichtige Frage ist: Was für eine Art von Partnerschaft will der Mann eigentlich? Eine bequeme, in der er sagt, wo es langgeht? Oder eine Partnerschaft auf Augenhöhe? Die ist vielleicht unbequemer und anstrengender, aber letztendlich viel spannender.
Waren die Männer in den fünfziger und sechziger Jahren besser dran oder sind sie es heute?
Wenn der Mann an einem reibungslosen Leben interessiert ist, dann sind die Zeiten heute tatsächlich härter für ihn geworden. Aber wenn es ein Mann in Kauf nimmt, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, auch mal abzugeben, auch mal schwach zu sein, dann sind die Chancen jetzt für ihn wesentlich größer. Es hängt vom Mann ab, was er will. Mit meinen Partnern war es immer spannend. Mit dem Vater meiner Tochter war ich zehn Jahre lang verheiratet – und wir verstehen uns immer noch. Seit 25 Jahren bin ich mit meinem Wikinger aus Norwegen zusammen. Ich bin sehr zufrieden, aber das sind eben auch interessante Männer.
Durch Corona sollen sich jetzt gerade wieder die alten Rollenmuster verstärken: Der Mann arbeitet, braucht seine Ruhe, er verdient ja mehr Geld und die Frau kümmert sich um die Kinder. Ist Corona ein Rückfall in die Zeit, in der Ihr Buch spielt, in der das Wort Frauenrecht noch nicht richtig vorkam?
Die unterschiedliche Bezahlung auf allen Ebenen war schon vor Corona in Deutschland problematisch. Und so lange das noch so ist, wird es immer schwierig sein für Frauen, für ihre Familie adäquat aufkommen zu können. Auch gerade, wenn so etwas passiert wie Corona. Wenn man bei 500 Euro mehr oder weniger im Monat vor der Entscheidung steht, ob er arbeiten geht und sie zu Hause bleibt, ist klar, für was man sich entscheidet.
BIOGRAFIE
Name: Hanne Hippe
Geboren am 5. Oktober 1951 in Frankfurt am Main
Werdegang: Nach ihrem Germanistik- und Schauspiel-Studium lebt sie einige Jahre in Großbritannien und Irland. Von Mitte der 80er-Jahre an arbeitet sie als Journalistin. Features, Dokumentationen und Hörspiele verfasst sie für die ARD. Außerdem schreibt sie Kurzgeschichten und Romane. Ihr Romanmanuskript "Eiszeiten" war die Vorlage für den Film "Zwei Leben", eine deutsch-norwegische Koproduktion aus dem Jahr 2012. Er wurde als deutscher Beitrag in der Kategorie "Bester fremdsprachlicher Film" für den Oscar eingereicht, dann allerdings nicht nominiert.
Buch: Am 8. März erscheint ihr Roman "Die Geschichte einer unerhörten Frau" (Goldmann, 432 Seiten, 20 Euro).
Privat: Hanne Hippe lebt in Köln und in Zeltingen-Rachtig an der Mosel.