Angst gehört zu ihrem Beruf, damit verdient sie ihr Geld. Elisabeth Herrmann ist Kriminalschriftstellerin, eine der bekanntesten in Deutschland. Ihre Romane um den Anwalt Joachim Vernau finden seit Jahren eine riesige Leserschaft. Unser Autor Jan Draeger sprach mit Elisabeth Herrmann am Telefon über den Umgang mit Angst, Existenzsorgen – und da- rüber, wie sie selbst so manche Krise gemeistert hat.
Frau Herrmann, wo erwische ich Sie gerade?
In Frankreich, in der Region Ardèche. Ein wunderschönes Gebiet. Bergig, mit vielen mittelalterlichen Dörfern und einem Fluss, in dem man baden und Kanu fahren kann.
Gab es dort in letzter Zeit einen Mord?
(lacht) Ich fahre seit zehn Jahren hierher. Von Morden habe ich hier noch nichts gehört. Es gibt eher Unfälle. Wobei … wenn man da genauer hingucken würde, könnte man bestimmt was rauskriegen.
Haben Sie auch französische Leser?
Ja. Vier Bücher sind bisher ins Französische übersetzt worden. Und drei Mal war ich auf der Longlist des Preises der Lyoner Buchmesse.
Wir wollen ja heute über Angst sprechen. Was macht Ihnen Angst?
Corona auf jeden Fall. Das ängstigt und bedroht mich. Weil ich nicht weiß, was wird, wenn kein Impfstoff gefunden wird und die Medikamente, nach denen geforscht wird, die Erwartungen nicht einhalten. Wie geht es dann mit uns weiter? Auch die gesellschaftliche Entwicklung macht mir Angst. Wird sich die Gesellschaft spalten in die, die vorsichtig sind, und die, die die sogenannte Freiheit zelebrieren?
Drehstart für die jüngste ZDF-Verfilmung eines Elisabeth-Herrmann-Krimis: Jan Josef Liefers als Rechtsanwalt Joachim Vernau in „Requiem für einen Freund“. Foto: Conny Klein/ZDFAlfred Hitchcock sagte einmal: "Der einzige Weg mit meinen Ängsten umzugehen, ist Filme über sie zu machen." Geht es Ihnen ähnlich, Frau Herrmann: Schreiben Sie Krimis, weil das der einzige Weg ist, mit Ihren Ängsten umzugehen?
Ich habe keine Angst, an der nächsten Straßenecke umgebracht zu werden oder einem anderen Verbrechen zum Opfer zu fallen. Auch die Themen in meinen Kriminalromanen machen mir nicht unbedingt Angst. Wenn ich Spannung erzeugen will, muss ich angstfrei darüber schreiben können. Ich muss angstfrei Angst erzeugen.
Wie schafft man das?
Das kommt bei mir aus dem Bauch heraus. Wenn man sich in eine Situation hineinversetzt und überlegt, was wäre das Schlimmste, was passieren könnte und dann noch eins draufsetzt, kriegt man das ganz gut hin.
Konnten Sie schon immer gut mit Angst umgehen?
Lange Zeit hatte ich Existenzängste, die konnte ich aber gut verdrängen.
Wann war das?
Bevor ich Krimis schrieb. Ich war alleinerziehend, und manchmal hat das Geld bis zum Monatsende nicht gereicht. Zu der Zeit arbeitete ich als freie Journalistin. Ich habe mich oft gefragt: Was ist, wenn du krank wirst? Was ist, wenn du nicht genug Aufträge bekommst? Das waren massive Existenzängste. Es ist mir aber gelungen, sie zu beherrschen, indem ich sie verdrängt habe. Das hört sich vielleicht seltsam an. Viele sagen ja, man soll sich seinen Ängsten stellen. Geh ins Herz der Finsternis! Aber an einer permanenten Bedrohung kann man doch nichts ändern. Da muss man sich einfach sagen: Ok, jetzt lebe ich halt so von heute auf morgen. Mit ein bisschen Gottvertrauen wird es schon gehen. Bei mir hat es funktioniert. Ich glaube, Ängsten muss man mit Selbstvertrauen, mit Vertrauen in sich und seine Fähigkeiten begegnen.
Woher kommt bei Ihnen der Glaube an sich selbst?
Das kam durch meinen Vater. Als Kind habe ich ihn nicht verstanden, weil er mir wenig geholfen hat. Es hat wirklich lange gedauert, bis ich erkannt habe, was er mir mitgegeben hat. Pädagogisch wertvoll war das nicht. Aber er sagte immer: Du wirst nie untergehen! Du musst lernen zu schwimmen. Du musst wie der Frosch sein, der in die Milch fällt: Entweder, er gibt auf und ertrinkt – oder er strampelt solange, bis Butter entsteht und er herausspringen kann. Was natürlich im Umkehrschluss bedeutete, dass ich irgendwie alles alleine regeln durfte. Das hat mich oft an den Rand der Verzweiflung getrieben. Helikoptereltern waren in den 60er-Jahren definitiv nicht verbreitet. Aber die Ratschläge meines Vaters haben mir irgendwann eine große, innere Stärke gegeben. Dieses "Du wirst nicht untergehen, egal wie schlimm es kommt" habe ich auch versucht, meiner Tochter mitzugeben, allerdings auf pädagogisch sanftere Art.
Wie alt ist Ihre Tochter jetzt?
Sie ist 22.
Sie selbst waren in Ihrer Jugend sehr schüchtern …
Das war tatsächlich eine von großen und vielen Ängsten geprägte Zeit. Die größte Angst war die Angst vor Zurückweisung. Vor menschlicher Zurückweisung. Weshalb ich viele Dinge gar nicht erst gewagt habe. Ich bin immer in der Ecke stehen geblieben und habe gehofft, nicht aufzufallen. Ich war linkisch und fühlte mich unbeliebt. Das können die meisten heute gar nicht verstehen, wenn sie mich kennenlernen.
Wann haben Sie die Schüchternheit abgestreift?
Erst einmal durch meinen Beruf. Als Journalistin musste ich auf fremde Leute zugehen, ihnen Fragen stellen. Gelernt habe ich aber auch durch Erfahrungen: Dass man, wenn man auf jemanden zugeht, nicht immer die Tür vor der Nase zugeschlagen bekommt, sondern dass die Tür manchmal auch aufgeht. Irgendwann hatte ich das Gefühl, anerkannt zu sein, dass es Menschen gibt, die mich mögen, so wie ich bin. Diese Erkenntnis muss von innen kommen. Man kann nicht erwarten, dass alles von außen kommt. Ich glaube, dann bleibt man unzufrieden bis zum Ende seines Lebens. Man muss sich auch mal zurücklehnen und gucken, was man erreicht hat. Und was an schönen Dingen um einen herum ist. Ich glaube, das relativiert Ängste sehr.
Wie wichtig ist Angst in einem Krimi?
Angst ist Spannung – also ist das schon wichtig. Dieses Angespanntsein, was passieren wird, wie man aus einer Situation wieder heil rauskommt. Angst ist ein Riesenmotor bei Krimis.
Warum lesen Menschen so gern Krimis?
Es liegt daran, dass man eine Geschichte mit Protagonisten hat, die einen nicht langweilen, bei denen man mitzittern möchte, ob die Sache auch gut ausgeht. Im besten Fall soll sie den Leser zwischen zwei Buchdeckeln derart fesseln, dass er die Nächte durchliest und Angst hat, im Dunkeln in den Keller zu gehen. Ganz wichtig ist das Ende. Bei einem Krimi, das ist ein ungeschriebenes Gesetz, sollte die Sache am Ende aufgeklärt sein. Damit der Leser weiß, warum etwas passiert ist, und warum der Täter zur Rechenschaft gezogen wurde. Also, erst mal wird etwas in Unordnung und dann wieder in Ordnung gebracht.
Früher gab es James Bond, den unerschrockenen Helden, oder Hercule Poirot, der ebenfalls nie Angst hatte. Heute haben in Krimis auch die Helden Angst. Warum hat der Unerschrockene ausgespielt?
Es gibt ja immer noch Protagonisten wie Harry Hole von Jo Nesbø. Der ist eine coole Socke. Aber ich denke, dass wir Menschen uns verändert haben. Die Revolverkrimis der Sechziger und 70er-Jahre waren von einem Männerbild geprägt, das mittlerweile ausgelaufen ist. Männer, die mit der richtigen Waffe zur richtigen Zeit alles richten konnten. Heute ist man glücklicherweise darauf gekommen, dass man nicht gleich rumschießen muss, wenn einer eine andere Meinung hat. Ich weiß aber nicht, ob wir schon auf dem Scheitelpunkt dieser Welle sind. Die Aggressivität in der Welt hat sich ja verstärkt. Aber ich glaube, dass wir seit 20 Jahren eine Hinwendung zum "Lass uns darüber reden" haben.
Wird Corona ein Teil Ihres nächsten Krimis?
Höchstens am Rande. Dass man nicht verreisen kann und deshalb in Brandenburg Urlaub gemacht hat. Aber es wird keinen Corona-Krimi von mir geben. Ich glaube, die Leute wollen das nicht. Sie wollen in solchen Krisen einerseits lieber Ratgeber haben, die ihnen sagen, wie sie mit der Krise klarkommen können. Und andererseits Bücher, mit denen sie die Krise vergessen können.
Könnten Sie denn auch mal eine Liebesgeschichte schreiben?
Ich kann keine Liebesgeschichten schreiben. Das heißt nicht, dass ich nicht lieben kann. Man muss ja auch nicht kriminell sein, um Krimis zu schreiben.