Auf der Bühne und im Fernsehen gilt Walter Sittler als einer der facettenreichsten Schauspieler Deutschlands. Über den Verleger, Produzent und Autor Martin Mühleis wurde er mit dem Kästner-Virus infiziert. Seither schlüpft Walter Sittler regelmäßig in die Rolle Erich Kästners und erweckt dessen Geschichte und Geschichten zum Leben.
Herr Sittler, Sie kommen mit zwei Erich-Kästner-Programmen nach Mannheim. Was ist für Sie das Besondere an Kästners Erzählungen?
Walter Sittler: Zunächst ist es die unglaublich reiche Sprache, die trotzdem immer leicht verständlich ist. Kästner hat eine Klarheit im Denken und im Durchschauen von Oberflächen. Diese Klarheit, diese sprachliche Präzision ist ganz wichtig, gerade wenn man sich die Sprache der Politik heute anschaut. Und Erich Kästner gehört in die Reihe der großartigen Autoren, die, indem sie von sich selbst erzählen, die Welt erklären.
Sie präsentieren die beiden Programme "Als ich ein kleiner Junge war" und "Prost, Onkel Erich" als Zusammenspiel von Sprache, Livemusik und Schauspiel. Wie muss man sich das vorstellen?
Ich lese nicht, ich erzähle mit den Worten von Erich Kästner. Dazu gibt es Musik einer sechsköpfigen Band, mit Kompositionen, die eigens für diese Stücke geschrieben wurden. Der erste Teil ist eine Art Bühnen-Monolog. Ich plaudere mit dem Publikum, erzähle als Ich-Erzähler die Geschichte "meiner" Kindheit als Erich Kästner zu Musik, die an die Stummfilm-Zeit erinnert und einzelne Szenen in eine Art "akustisches Bühnenbild" bettet. Der zweite Teil ist "erwachsener" und spielt mit den Stilmitteln der literarisch-musikalischen Revuen der 1920er Jahre. Musik und gesprochene Gedichte fließen ineinander wie Songs.
Wie sind Sie überhaupt auf die Idee für Ihre Kästner-Programme gekommen?
Das war die Idee unseres Impresarios Martin Mühleis. Er hatte vor längerer Zeit eine musikalisch-literarische Revue über die 1920er Jahre gemacht und mich damals für die Texte von Erich Kästner engagiert. Seitdem kennen wir uns. Ihm hat das, was ich damals mit den Kästner-Texten gemacht habe, sehr gut gefallen. Deshalb hat er Erich Kästners autobiografischen Roman "Als ich ein kleiner Junge war" für mich als Solo-Stück mit Musik bearbeitet und mich gefragt, ob ich bereit wäre, die fast 50 Seiten auswendig zu lernen. Es wurde ein großer Erfolg, mittlerweile haben wir den "Kleinen Jungen" schon über 260 Mal gespielt.
Wie erklären Sie es sich, dass die Nachfrage immer noch so groß ist?
Es ist einfach ein unglaublicher Text. Berührend, humorvoll, nachdenklich. Ernsthaft und sehr unterhaltsam. Wir machen etwas, was es in der Theaterlandschaft sonst nicht so oft gibt. Die Menschen sitzen dann da wie früher und hören einfach zu. Offenbar ist es immer noch ganz wesentlich, dass man Geschichten erzählt.
Also nutzt es sich für Sie nicht ab mit der Zeit?
Überhaupt nicht. Ich freue mich darauf, es zum Leben zu erwecken und die Menschen zu bewegen. Man spürt auf der Bühne, wenn das funktioniert. Das ist das Tolle an unserem Beruf. Wenn man merkt: Es gibt eine Stille im Theater, die es sonst nirgendwo gibt.
Sie nehmen das Publikum also sehr aktiv wahr, wenn Sie spielen?
Klar, das ist auch wichtig, damit man weiß, ob das Publikum dabei ist. Ob wir gemeinsam auf dem Weg durch diesen wunderbaren Garten sind.
Wie schwer ist es für Sie, sich immer wieder in die Figur Erich Kästners hineinzuversetzen?
Es verändert sich immer ein bisschen. Nicht das, was ich sage, sondern das, was da noch versteckt ist in den Texten von Kästner. Das ist das Spannende. Ich höre nicht auf zu lernen.
Was verbindet Sie persönlich mit Mannheim?
Mannheim war meine erste Theaterstation, hier hatte ich mein erstes langes Engagement. Ich mag das Mannheimer Publikum. Falls doch mal etwas schiefgelaufen ist, hat man mir immer verziehen.
Info: Walter Sittler kommt für drei Aufführungen ins Mannheimer Nationaltheater: "Als ich ein kleiner Junge war …" am Samstag, 3. August, 20 Uhr und Sonntag, 4. August, 15 Uhr; "Eine deutsche Geschichte - oder: Prost, Onkel Erich!" am Sonntag, 4. August, 20 Uhr. Karten von 27,90 bis 57,90 Euro gibt es beim RNZ-Ticketservice.