Von Steffen Rüth
Mit drei Jahren bekam Tash Sultana die erste Gitarre vom Großvater geschenkt. Mittlerweile ist sie 25 und auf dem Weg zum Weltstar schon sehr weit gekommen. Steffen Rüth telefonierte mit Tash Sultana in Melbourne und sprach mit ihr über das neue Album "Terra Firma", das ein wenig sanfter und verspielter klingt als das Debüt "Flow State".
Tash, wie hast Du das vergangene Jahr empfunden?
Als einen einzigen ewig langen Tag, der sich dahinzog wie ein labbriges Kaugummi. Das Leben war unglaublich beschränkt, ich konnte meine Familie nicht sehen, nirgendwo hingehen, praktisch nichts machen – außer Musik. Ich habe 200 Tage lang praktisch ohne Unterbrechung an "Terra Firma" arbeiten können. Das ist ein wahnsinnig großer Luxus und letztlich auch ein Geschenk gewesen. Viele meiner Freunde haben seit einem Jahr keine Arbeit und kein Geld.
"Terra Firma" unterscheidet sich deutlich von Deinem ersten Album "Flow State". Die Stücke klingen entspannter, meditativer, offener und ein bisschen psychedelisch. Was hat Dich kreativ bei dieser Platte angetrieben?
Vor "Flow State" hatte ich ja noch nie ein Album gemacht. Ich nahm damals einfach all diese Songs auf, die ich bei Shows und auf der Straße in Melbourne über die Jahre gespielte hatte. Das war sehr leicht für mich. Der Haken war, dass ich nun komplett blank war und keine Songs mehr übrig hatte. Ich musste bei null anfangen, und dann fiel mir natürlich nichts ein. Schreibblockade. Was für ein Mist.
Und dann?
Lieder entstehen bei mir oft aus Sounds. Also schnappte ich mir ein Instrument nach dem anderen und spielte einfach los. Mein Studio ist voller Musikinstrumente: Schlagzeuge, Piano, Sitar, Keyboards, natürlich Gitarren – dieses Buffet aus Klängen liegt mir zu Füßen. Ich probierte so lange daran herum, bis ich drei, vier Songs hatte, die mir gefielen. So war die Tür geöffnet und der Rest ging wie von selbst.
Sind Studio und Wohnhaus bei Dir unter einem Dach?
Nein, ich halte die beiden Bereiche getrennt, um nicht noch mehr in meiner Arbeit zu versacken und auch mal Feierabend machen zu können. Na ja, praktisch sah es so aus, dass ich acht Monate lang im Studio hockte und schrieb, schrieb, schrieb. Fast gut, dass kein Sozialleben stattfand, denn ich hätte eh nicht viel davon mitbekommen. Ich wurde zur totalen Einsiedlerin.
So ging es wohl den meisten Menschen im letzten Jahr.
Das ist wahr. Es ist schon komisch. 2018 und 2019 war meine Welt riesengroß, ich war nie zu Hause, sondern immer auf der Bühne. Fast jeden Tag in einem anderen Land. Ich war erschöpft und sehnte mich unbeschreiblich nach meinem Zuhause, nach einer richtigen Pause. Ich brauchte dringend Zeit für mich selbst. Und jetzt, da das Album fertig ist, wird mir langweilig. Weil einfach extrem wenig los ist da draußen. Scheinbar gibt es in meinem Leben nur Extreme. Und momentan bin ich extrem gelangweilt.
Wie schlägst Du denn aktuell die Zeit tot?
Ich verbringe sehr viel Zeit mit meiner Partnerin und unserem Hund. Wir leben mitten in der Natur, direkt am Strand. Mindestens einmal am Tag gehe ich surfen.
Kirk Hammett, der Gitarrist von Metallica, erzählt, dass surfen und Gitarre spielen für ihn zwei Leidenschaften sind, die sich ideal ergänzen. Ist das bei Dir ähnlich?
Nein. Bei mir trifft das Gegenteil zu. Surfen und Musikmachen sind bei mir strikt voneinander entkoppelt. Musik ist mein Leben. Ich spiele Musik, weil ich nichts auf der Welt mehr liebe. Aber das Surfen ist meine Entspannung von der Musik. Draußen im Ozean denke ich nur an die nächste Welle.
Und an den nächsten Hai?
(lacht) Sie sind da, das weiß ich. Allerdings neigen die Haie hier in Melbourne nicht dazu, Menschen zu attackieren. Im Moment halten sich superviele Delfine hier im Meer auf. Die sind nett. Die beißen keinen.
Ist die Farm, auf der Du lebst, Dein "Terra Firma", also Dein "festes Land"?
Ein bisschen ja. Obwohl, ich will ehrlich mit dir sein: Im Moment sieht es im Garten richtig scheiße aus. Wir haben die Gartenarbeit ziemlich schleifen lassen, erst kam das Album und dann diese Lethargie. Es ist ein wenig peinlich, wir müssten dringend was im Garten tun. Mein Onkel hat den für mich angelegt. Wir haben Zucchinis, Kürbisse, Passionsfrüchte, es war wirklich krass was los dort – vor einem Jahr. Wir ernteten und ernteten und waren stolz und glücklich. Gemüse wachsen und gedeihen zu sehen und schließlich zu essen oder zu verschenken ist eine coole, irgendwie schwer erwachsene Sache.
Insgesamt spielst Du auf "Terra Firma" weniger Gitarrensolos. Woran liegt das?
Ich habe bewusst versucht, nicht wieder so sehr auf der Gitarre loszuschreddern und permanent krass abzufetzen. Es gibt einige Solos, aber sie sind subtiler. Die Gitarre ist so sehr ein Teil von mir, dass ich nicht jedes Mal das Verzerrungspedal durchtreten muss, um das unter Beweis zu stellen. Ich wollte auf dieser Platte lieber ein paar Geschichten erzählen und den Leuten nicht ständig mit Anlauf ins Gesicht springen. Manchmal kannst du die Dinge deutlicher sagen, wenn du ruhiger und zurückhaltend bist.
Die neuen Stücke sind schon lässig und auch verträumt und durchaus gefällig. Man hört deutliche Einflüsse aus Funk, Jazz, HipHop und Soul. Und alles klingt stark nach den Siebziger Jahren.
Mann, das ist alles, was ich gehört habe in letzter Zeit. Aretha Franklin, Pink Floyd, The Eagles, Fleetwood Mac. Ich bin voll auf die Seventies abgefahren. Das Album ist sehr offen und keinem Genre wirklich zuzuordnen. Nur eins ist mir wichtig: Pop ist es nicht.

Info: Das Album "Terra Firma" erscheint am 19. Februar. Live geplant am 28. August 2021 in Wiesbaden.