Von Olaf Neumann
Auf dem Jubiläumsalbum "More Than A Feeling" präsentiert das Quintett eine Mischung aus gesellschaftskritischen Texten, Post Punk, Hip Hop und Avantgarde-Rock. Die RNZ sprach mit Ted Gaier und Schorsch Kamerun alias Thomas Sehl über Rassismus und das Leben in Hamburg.
"More Than A Feeling" heißt ein bittersüßes Liebeslied von der US-Band Boston aus dem Jahr 1976. Gibt es einen Link zu den Goldenen Zitronen?
Ted Gaier: Eine Freundin von uns schreibt unter dem Titel ihre Masterarbeit. Wenn ich es richtig erinnere, geht es um Rechtspopulismus. Gefühlte Wahrheiten. An einem schönen Abend standen wir auf dem Balkon im Uebel & Gefährlich und sie erzählte mir von ihrem Vorhaben. Daraus entwickelte sich eine Diskussion darüber, ob der Titel passend wäre für die neue Platte.
Das Stück "Gebt doch endlich zu, euch fällt nichts mehr ein" liest sich wie eine Kritik am Eurozentrismus.
Gaier: Wenn ich den Begriff "Europäische Werte" höre, kriege ich einen Koller. Diese komische Überlegenheit gegen alles andere auf der Welt. Als ob die Vernunft hier erfunden worden wäre! Das Lied ist Tourette-Syndrom-artig, es spricht aus, was wir als Subtext immer klarer zu hören kriegen. Zum Beispiel diese erotische Beziehung der Deutschen zu Mauern und Zäunen. Europäische Werte - gelten nur für Europäer. Die Idee, dass es so was wie Rassen gäbe, verdanken wir Typen wie Voltaire, Goethe, Kant oder Hegel, die sich alle auf den Aufklärer Carl von Linné bezogen. Der tolle Aufklärer Kant ging davon aus, dass Afrikaner nicht vernunftbegabt seien. Wie glaubwürdig sind sogenannte universelle Werte bei so einem Fundament?
Man könnte schon den Eindruck gewinnen, Rassismus gehört zur Geschichte der Menschheit.
Schorsch Kamerun: Eine interessante These! Jedoch ohne belegbare Zwangsläufigkeit.
Gaier: Es gab natürlich Sklaverei, mit ein paar Ausnahmen gab es im Altertum diese Idee nicht, dass man genetisch unabänderlich anders ist. Es wurde eher als Pech angesehen, wenn eine Ethnie einer anderen im Krieg unterlag und versklavt wurde.
Kamerun: Es ist immer ein Abgrenzungskriterium, sehr oft allerdings ein ökonomisches. So ist auch der europäische Wert ein größtenteils ökonomischer. Und darum zieht man um Europa auch immer höhere Abwehrmauern. Wir haben uns im Song "Mauern bauen (testweise)" gefragt, wie es eigentlich aussehen würde, wenn diese Mauern wirklich mal gebaut werden. Wer hockt dann konkret dahinter? Das wäre mal ein interessantes Experiment. Zu dem Thema haben wir geradezu mehrere Titel auf unserer Scheibe.
Haben Sie versucht, sich in Wutbürger und "Weltnichtmehrversteher" hineinzuversetzen?
Kamerun: Das tut man beim Schreiben vielleicht. Die sogenannten Wutbürger sind aber auch eine Wiederkehr der Stammtisch-Polterer, die nun immer mehr in die Mitte vorrücken und bereits im Parlament skandalisieren.
Haben Sie einen aufklärerischen Anspruch?
Kamerun: Ich glaube schon, dass wir zum Teil journalistisch arbeiten.
Wie kommen Sie als antikapitalistische Band in der reichen Kaufmannsstadt Hamburg zurecht?
Gaier: (lacht) Schorsch hat sich auf St. Pauli ein Häuschen gekauft, das er in zehn Jahren schön abstoßen kann. Ich wohne in einer Mietwohnung auf dem Kiez. Ich glaube an die Lebensform WG als Gegenmodell zur Lebensabschnittskleinfamilie. Außerdem ist so das Überleben erst mal gesichert.
Kamerun: Wir sind natürlich Mitgentrifizierer. Auch bei diesem Interview vergrößern wir die Attraktivität von Rauheit der Marke Hamburg entscheidend! "Cats" hat die Pforte weit aufgemacht, man konnte als Bürger wieder auf den Kiez gehen und etwas unbeeinträchtigt erleben. Das Schmuckstück Elbphilharmonie steht in der Wildheit der peitschenden Elbe, und dort tun sich die Herrscher der Welt ein ungestörtes, besinnliches Konzertchen an. Solche Widersprüche sind hier besonders deutlich. Auch der FC St. Pauli ist eine florierende Marke, sein Totenkopf-Symbol ein hochwertiges Label. Der gesamte Stadtteil St. Pauli ist inzwischen so teuer wie Blankenese.
Die Goldenen Zitronen werden dieses Jahr 35. Gibt es bei Ihnen noch den Druck, sich steigern zu müssen?
Kamerun: Wir haben uns gesteigert, haben jetzt endlich unser bestes und gleichzeitig persönlichstes Album abgeliefert! Wir bringen aber in dem Sinne kein Produkt heraus, von dem wir uns erhoffen, ökonomisch ganz viel zu haben. Es besteht eine Notwendigkeit, so zu spielen und so zu erzählen. Was das angeht, sind wir eine pure Punkband. Wir wollen uns einmischen.
Gaier: Das ist ein ziemliches Privileg. Unseren Track zum G20-Gipfel wird man sich noch in 30 Jahren anhören. Da haben die Leute längst nicht mehr die Archive der Zeit oder der Bildzeitung auf dem Zettel. Dieser Track wird in Zukunft mehr über den G20 erzählt haben als die Tagespresse. Das ist für mich ein kleiner Triumph. Im besten Fall wie beim "Rauch-Haus-Song" von Ton Steine Scherben, wo heute noch Namen mitgesungen werden, die schon lange kein Mensch mehr kennt. Eine Band kann schon eine ganz schöne Machtposition haben.
Kamerun: (lacht) Aber auch gleichzeitig die Verantwortung, die Wahrheit zu sagen.
Info: Das neue Goldene-Zitronen-Album "More Than A Feeling" gibt es ab 8. Februar. Live spielt die Band am 14. April in Heidelberg im Karlstorbahnhof. RNZ-Ticketservice; 23 Euro.