30 Jahre Einheit

Schauspieler Jonas Nay über Ost und West

"Unglaublich, in was für einer relativ kurzen Zeit sich die Bevölkerung in Deutschland immer wieder neu definieren musste. Jetzt haben wir seit 30 Jahren ein vereintes Deutschland. Aber was kommt wohl als nächstes? Wenn man sich die globale Politik anguckt, könnte es in Richtung Autokratie, Populismus, Nationalismus gehen."

01.10.2020 UPDATE: 04.10.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 59 Sekunden
Jonas Nay bei den Dreharbeiten zur Staffel „Deutschland 89“, in der er einen Stasi-Spion spielt.

Von Jan Draeger

Als der Kalte Krieg das Weltgeschehen beherrschte, war Jonas Nay noch gar nicht geboren. Trotzdem lebt er in gewisser Weise mit und in dieser Zeit. Seit mehr als fünf Jahren verkörpert er in der auch international erfolgreichen "Deutschland"-Reihe den DDR-Spion Martin Rauch. Gerade ist die dritte Staffel "Deutschland 89" auf Amazons Streamingdienst Prime herausgekommen. Nay wurde 1990, 13 Tage vor dem ersten Tag der deutschen Einheit, in Lübeck geboren. Was damals passierte und welche Auswirkungen das hat, beschäftigt ihn. Unser Autor Jan Draeger sprach mit ihm über Unterschiede zwischen Ost und West. Was der 3. Oktober für ihn bedeutet? Und darüber, ob er sich mehr als Europäer oder als Deutscher fühlt?

Hintergrund

BIOGRAFIE

Name: Jonas Nay

Geboren am 20. September 1990 in Lübeck.

Werdegang: Seine Schauspielkarriere beginnt 2004 durch eine Zeitungsanzeige. Gesucht wird ein Hauptdarsteller für die Kinder- und Jugendserie "4 gegen Z". Nay bekommt die

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BIOGRAFIE

Name: Jonas Nay

Geboren am 20. September 1990 in Lübeck.

Werdegang: Seine Schauspielkarriere beginnt 2004 durch eine Zeitungsanzeige. Gesucht wird ein Hauptdarsteller für die Kinder- und Jugendserie "4 gegen Z". Nay bekommt die Rolle. Nach dem Abitur macht er mit dem preisgekrönten Fernsehfilm "Homevideo" auf sich aufmerksam. Filmauftritte hat er in den folgenden Jahren unter anderem in dem Thriller "Die Frau von früher", dem Drama "Hirngespinster" und dem Geschichtsdrama "Tannbach – Schicksal eines Dorfes". Seit 2015 spielt er die Hauptrolle in der "Deutschland"-Reihe. Neben der Filmarbeit beschäftigt sich Jonas Nay viel mit Musik. Er hat Filmkomposition studiert und gerade den Bachelor of Arts im Hauptfach Jazz-Piano gemacht. Außerdem ist er Sänger der Band "Pudeldame".

Preise: Nay wurde unter anderem mit dem Grimme-Preis, dem Bayerischen Filmpreis als bester Nachwuchsdarsteller und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet.

Privat: Jonas Nay lebt in Lübeck.

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Herr Nay, wann haben Sie zum ersten Mal erfahren, dass es eine DDR gab?

Zu Hause am Esstisch. Meine Eltern hatten von den ersten Tagen nach der Maueröffnung erzählt. Wie sie beim Aldi nicht einkaufen konnten, weil gefühlt alles leer gekauft war. Die meisten, die damals zu uns aus dem heutigen Mecklenburg-Vorpommern kamen, haben in Lübeck erstmal halt gemacht und eingekauft. Als sie hier die Ratzeburger Allee runterfuhren, kamen die Lübecker raus, hießen sie herzlich willkommen und winkten. Das waren die ersten Geschichten, die ich darüber gehört habe.

Wie wurde in der Schule das Thema DDR behandelt?

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Sehr eingeschränkt. Im Geschichtsunterricht ging es um die Entwicklung des Überwachungsstaates DDR. Aber nur um die ersten Jahre, den Anfang des Kalten Krieges. Dann hörte es schon auf. Im Politik-Unterricht haben wir das Thema gar nicht behandelt.

Wie sollte man sich heute in der Schule mit der DDR auseinandersetzen?

Wichtig ist, dass man verschiedene Perspektiven aufzeigt. Je mehr ich mich mit dem Kalten Krieg, dem Mauerfall und dem Vakuum, das es danach gab, befasst habe, desto mehr habe ich gemerkt, dass es für einen Geschichtsunterricht ungeeignet ist. Weil es einfach viel zu viele individuelle Blickwinkel auf diese Zeit gibt.

Wo denn sonst, wenn nicht in Geschichte?

Ich glaube, das Thema sollte fächerübergreifend behandelt werden. Es ist so komplex, dass man sich ihm von vielen Seiten nähern muss. Ich habe neben meinem Beruf als Schauspieler jetzt auch Musik auf Lehramt studiert. Im Musikunterricht könnte ich als Lehrer zum Beispiel die verschiedenen popkulturellen Entwicklungen in Ost und West aufzeigen.

Sie spielen in der "Deutschland" Serie den Stasi-Spion Martin Rauch. Was war für Sie bei den Dreharbeiten am interessantesten?

Dass ich mich mit Zeitzeugen auseinandersetzen konnte. Am Set habe ich mich mit einem ehemaligen Stasi-Spion unterhalten. Er hat mir bei meiner Rolle geholfen. Außerdem habe ich mit einem Ostexperten und einen ehemaligen Nato-General gesprochen. Das waren Quellen, an die man sonst nicht so rankommt. Am wichtigsten war mir aber der Austausch mit meinen Schauspielkollegen.

Sie haben mit Kollegen gearbeitet, die noch in der DDR geboren sind. Haben Sie da Unterschiede gespürt?

Als wir in der ehemaligen Stasizentrale in der Normannenstraße gedreht haben, war schon spürbar, dass Schauspieler wie Sylvester Groth oder Uwe Preuss einen ganz anderen Kampf mit sich ausgefochten haben als ich. Sie mussten immer wieder zwischendurch raus. Sylvester Groth sagte, es schnüre ihm den Hals zu, er müsse mal durchatmen.

Konnten Sie etwas aus der vergangenen deutschen Geschichte lernen?

Was mich beeindruckt hat, ist, in was für einer relativ kurzen Zeit sich die Bevölkerung in Deutschland immer wieder neu definieren musste. Das ist unglaublich. Jetzt haben wir seit 30 Jahren ein vereintes Deutschland. Aber was kommt wohl als nächstes? Wenn man sich die globale Politik anguckt, könnte es in Richtung Autokratie, Populismus, Nationalismus gehen.

Haben Sie sich während der Dreharbeiten mal gefragt: Wie hätte ich in der DDR funktioniert?

Das übersteigt meine Vorstellungskraft.

Haben Sie Freunde in Ostdeutschland?

Durch mein Studium in Lübeck habe ich Kommilitonen aus dem gesamten Bundesgebiet. Deren Eltern haben zum Teil eine westdeutsche, zum Teil eine DDR-Vergangenheit. In meiner Generation spielt das aber keine Rolle. Es ist nicht mehr identitätsstiftend, wo man herkommt.

Brauchen wir dann den 3. Oktober überhaupt noch als Feiertag?

Na klar! Ich bin so dankbar, dass ich in einem vereinten, freien deutschen Staat aufgewachsen bin. Das kann man gar nicht groß genug feiern. Außerdem bin ich ein totaler Verfechter der Europäischen Union. Dass wir hier in Europa innerstaatlichen Frieden haben, ist eine unglaubliche Errungenschaft.

Sie sind in Lübeck geboren. Wie auch Willy Brandt. Er setzte sich für Entspannung und einen Dialog mit der DDR ein. Als er 1969 Bundeskanzler wurde, beeindruckte sein Satz "Wir wollen mehr Demokratie wagen" junge Leute. Ist er heute noch ein Vorbild?

Man kann noch sehr viel von ihm mitnehmen. Willy Brandt ist sogar auf meine Schule gegangen, aufs Johanneum zu Lübeck. Ich bin überzeugter Demokrat und glaube, dass Demokratie nie am Ende ist. Sie muss aber immer wieder reformiert und den Umständen angepasst werden. Und sie braucht Opposition und Meinungsfreiheit, auch für Meinungen, die man selber nicht vertritt. Die Demokratie ist nicht perfekt. Aber sie ist die einzige politische Form, die Chancengleichheit zumindest garantiert. Es wird immer wichtig bleiben, dafür zu kämpfen, dass wir die Schwächsten nach vorne holen und zu Stärkeren machen. Die Sozialdemokratie muss aus meiner Perspektive linker werden. Wir brauchen eine noch viel sozialere Politik.

US-Präsident John F. Kennedy hat den Satz gesagt: "Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst." Können Sie sich vorstellen, sich politisch zu engagieren?

Verantwortung übernehmen kann jeder Bürger. Das heißt auch, dass ich klar Position beziehe, wenn ich jetzt mit Ihnen spreche. Es ist aber auch wichtig, seine Meinung zu sagen, wenn man nicht gefragt wird aber das Gefühl hat, sie ist gerade wichtig. Außerdem sollte man wählen gehen. Dadurch ist man ja auch schon eine Macht. Auch wenn es nur um eine Stimme geht. Man sollte sich aber vorher gut informieren. Sodass man Fakten von Verschwörungstheorien und Populismus unterscheiden kann. Ich sehe mich also als mündigen Bürger, der seine Pflichten wahrnimmt, aber nicht als Politiker.

Was machen Sie am 3. Oktober?

Ich bin in Lübeck. Moment, ich mache mal meinen Kalender auf. Da steht es: Tag der deutschen Einheit und – Quarantäne. Ich bin in Quarantäne! Ich muss momentan wegen Corona fünf Tage vor Dreharbeiten in Quarantäne. In dieser Zeit muss ich meine sozialen Kontakte auf die familiären reduzieren. Also Feierlichkeiten? Da muss ich mal gucken, was an der frischen Luft mit Abstand so geht.