Von Anjoulih Pawelka
Helmstadt-Bargen. Wenn Liebe ein Leben lang halten kann, dann sind Reimund und Barbara Arnold aus Helmstadt-Bargen das beste Beispiel dafür. Seit 64 Jahren sind sie verheiratet, das Glück und die Liebe sind noch immer zu spüren. Ihre Liebesgeschichte verläuft über zwei Kontinente und drei Länder.
Zur Verlobung in Deutschland trug die zukünftige Braut ihr selbst geschneidertes Verlobungsklei. Foto: privatDass sie sich überhaupt kennengelernt haben, ist vielen kleinen und großen Zufällen geschuldet. Schon alleine, dass die junge Barbara nach zweieinhalb schweren Jahren im Vernichtungslager in ihrer Heimat Jugoslawien nach Deutschland gekommen ist, ist so einer. Es war ihr Vater, der beim Militär war, und in US-amerikanische Gefangenschaft geriet, der die Familie dazu bewog, ihr Land zu verlassen und dem Vater zu folgen. "Für mich war das eine sehr schwierige Zeit", erzählt die 87-Jährige. Ihr war bald klar: In Deutschland möchte sie nicht bleiben. Also tat sie alles, um der Armut und Perspektivlosigkeit zu entfliehen. Barbara versuchte, Verwandte in Amerika zu erreichen, scheiterte aber. Erst ein Nachbar ihrer Oma, der vom deutschen Militär desertiert war und dem die Großmutter geholfen hatte, indem sie ihn versteckte, gab der Familie wieder Hoffnung. Er war zwischenzeitlich nach Venezuela ausgewandert und bot der Familie an, ihm zu folgen.
Das ließen sich Barbara und ihre Liebsten nicht zweimal sagen. Sie waren entschlossen, auszuwandern. Doch dann brannte das Schiff, das sie nach Übersee bringen sollte, aus. Somit konnten sie die Reise nicht antreten. Wieder einer dieser Zufälle. Also warteten sie monatelang auf das nächste Schiff. Zwischenzeitlich zogen sie in eine Wohnung in Esslingen, die der Bruder dank seiner Arbeit von der Firma gestellt bekommen hatte.
Auch Reimund Arnold hat für diese Firma gearbeitet und merkte bald, dass neue Bewohner in die Wohnungen eingezogen waren. Irgendwann sagte er zu einem Freund, dass er die nächste Dame, die vorbeiläuft, anspricht. "Ich habe immer gesagt, schwarzhaarig muss sie sein. Alles andere ist egal", erzählt der 86-Jährige und lacht. Barbara, die junge Schneiderin, erfüllte das Kriterium. Also sprach er sie an. Das Problem: Die damals 21-Jährige hatte keinerlei Interesse an Reimund. "Guter Mann, ich wandere aus", habe sie ihm damals gesagt. Für ihn war das kein Hindernis: Er sagte nur: "Was du kannst, kann ich schon lange." Reimund machte seine Aussage wahr und bekam im Januar 1956 vom Konsulat die Erlaubnis, nach Venezuela auszuwandern.
Da sei sie überrascht gewesen, erzählt Barbara und schaut den Mann, der seit mehr als 60 Jahren an ihrer Seite ist, liebevoll an. "Er hat nicht nachgegeben." Trotzdem war das Interesse der jungen Frau noch nicht geweckt. Ihr habe an Reimund am Anfang gar nichts gefallen, weil sie einfach nicht interessiert gewesen sei, erzählt sie. Den gelernten Tischler schreckte das nicht ab, obwohl dem gut aussehenden jungen Mann die Frauen beinahe zu Füßen lagen. Sie habe fünf Frauen gekannt, die Reimund toll fanden, erinnert sich seine Frau. Deren Ärger zog Barbara auf sich. Nicht etwa, weil sie eifersüchtig gewesen wären, sondern weil die jungen Frauen nicht verstehen konnten, warum Barbara keinen Gefallen an dem damals 21-Jährigen fand. Sie hätten richtig Wut gehabt. Da dachte sich Barbara: "Denen zeig ich’s."
Und auch ihr Vater war von Reimund angetan, hat ihn mit nach Hause gebracht. Die junge Frau war trotzdem noch nicht überzeugt, sagte zu ihrem Vater: "Du willst mich immer verheiraten." Doch dann funkte es. Irgendwann habe ihr alles an dem jungen Mann gefallen, schwärmt sie, und ihr Blick sagt: Das ist noch heute so.
Mittlerweile war einige Zeit vergangen, und Reimund, der älteste Sohn von 13 Kindern, musste bis August 1956 in Venezuela sein, sonst hätte er nicht mehr einreisen dürfen. Also haben sich die beiden in Bargen bei seinen Eltern verlobt. Barbara trug ihr Verlobungskleid, das die Schneiderin schon Jahre zuvor auf einer Modenschau gesehen hatte. Damals gab es noch keinen Mann in ihrem Leben, aber dieses wunderschöne Kleid – und Barbara war klar: Genau dieses Kleid wird sie bei ihrer Verlobung tragen. Auf der Modenschau war es nicht erlaubt, zu fotografieren, doch sie zeichnete das Kleid einfach ab und war felsenfest davon überzeugt, es nähen zu können. Ihre Chefin war skeptisch, sagte aber, wenn das gelänge, würde sie den Stoff bezahlen. Einige Zeit später präsentierte Barbara den Schnitt, den sie aus alten Bettlaken genäht hatte. Das Versprechen löste die Chefin ein und kaufte einen wunderschönen fliederfarbenen Stoff. Barbaras zukünftiger Mann steuerte Stola und Handschuhe bei. Das Kleid hat noch heute einen besonderen Platz bei den Arnolds. Es kleidet eine Schaufensterpuppe, die im Wohnzimmer des Ehepaares steht.
Kurze Zeit später wanderte Reimund dann nach Venezuela aus. Ein Vierteljahr hat er dort auf seine Barbara gewartet, bis sie ihm samt Familie folgen konnte. Doch einfach war es in diesem südamerikanischen Land nicht immer. Barbara Arnold zeigt im Fotoalbum Bilder, die einen Eindruck vermitteln, wie ärmlich sie anfangs gelebt haben. Aber sie waren glücklich.
Geheiratet wurde dann in Venezuela. Foto: dpa
Die Hochzeit fand im Oktober vor 64 Jahren statt. Im ganz kleinen Kreis. Zwölf Leute waren eingeladen. Die Zeremonie war auf Spanisch, Reimund Arnold verstand fast nichts und sagt noch immer scherzhaft, dass er bis heute nicht weiß, ob er wirklich verheiratet ist. Seine Frau lacht herzhaft, als er das erzählt. Überhaupt lachen die Arnolds viel miteinander. Zwischendrin schauen sie sich immer wieder liebevoll an. Die Liebe ist im ganzen Raum zu spüren. Einige Jahre sind sie im Land geblieben, wollten eigentlich auch dort sesshaft werden. Doch die Kuba-Krise machte ihnen einen Strich durch die Rechnung.
Auf die Frage, was das Geheimnis ihrer glücklichen und langen Ehe ist, antwortet Barbara Arnold: "Wir haben uns geschworen, dass wir ehrlich miteinander sind." Ihr Mann stimmt zu und ergänzt: "Wenn etwas nicht klappt, dann muss man reden." Und auch sonst scheint Kommunikation bei den beiden eine große Rolle zu spielen. Durch das Vertrauen könnten sie sich über alles unterhalten, sagt Barabara Arnold, während ihr Mann ihr zuhört und dabei lächelt. Es gebe immer wieder Probleme in einer Ehe, daher rät er Verheirateten, sich an einen Tisch zu setzten und das Problem auszudiskutieren. "Es gibt immer eine Lösung." Und an Problemen seien immer beide schuld. Seine Frau fügt hinzu: "Man muss das Pflänzchen pflegen."
Liebe sei ein Gefühl, sind sich die beiden nach längerem Überlegen einig. Aber auch Gesten würden die Liebe zeigen. "Wenn ich gestreichelt werde, ist das auch Liebe", sagt Reimund Arnold. Er ist sich sicher, dass er in seinem Leben nichts anders machen und seine Barbara immer wieder heiraten würde.
Serie: LIEBE mal anders
Das Wichtigste im Leben ist es, geliebt zu werden. Die Liebe gibt (nicht nur am Valentinstag) Halt, Kraft und Mut – und hat so viele Facetten, ist immer anders. Genau darum geht es in der kleinen Serie unserer Kollegin Anjoulih Pawelka, die hier in den kommenden Wochen Geschichten über die Liebe erzählen wird.