Seit 300 Jahren unter den Arkaden am Markusplatz in Venedig gelegen: das Caffé Florian. Foto: Helmuth Bischoff
Von Helmuth Bischoff
Venedig. Manche halten es für übertrieben, für einen Espresso 6,50 Euro zu bezahlen. Sie sparen ihr Geld lieber für ein Auto oder ein neues Sofa. Andere bezahlen den stolzen Espresso-Preis und freuen sich, dafür neben dem Kaffee auch ein besonderes Verweilen zu erleben: stilvoll, diskret, kunstsinnig, alles von erlesener Qualität. Beim Caffé Florian müssen die "Anderen" wohl in der Mehrzahl sein. Wie sonst hätte das weltberühmte Etablissement so lange überleben können? Am 29. Dezember feiert das "Florian" seinen 300. Geburtstag. Trotz Coronakrise freuen sich Geschäftsführer Marco Paolini und sein Team auf den Ehrentag.
Einer, der sich mitfreut, heißt Adonis Malamos und führt als begeisterter Cafetier seit 2002 das Café Prag in Mannheim. Außerdem hat er vor ein paar Jahren Europa bereist, um die "Schönsten Cafés Europas" zu fotografieren und einen Bildband daraus zu machen. Der Mannheimer Grieche weiß, wovon er schwärmt, wenn er über das venezianische Geburtstagskind spricht: "Während man überall in der modernen Welt seine Zeit schamlos geklaut kriegt, bekommt man sie im Florian geschenkt. Draußen ticken die Uhren weiter, im Florian scheinen sie stehen zu bleiben. Man darf hier ‚sein‘ und muss nicht machen oder werden. Wenn ich nach langem Verweilen aus dem Florian komme, bin ich glücklich."
Welcher Kleingeist will bei so einem Erlebnis über den teuren Espresso oder die fünf Euro für das Croissant meckern? Um ein letztes Mal über Preise zu sprechen, zitieren wir mit Stefano Stipitvich den langjährigen Art Director des Caffé Florian: "Wir residieren in einem Denkmal am Markusplatz. Allein die Instandhaltung unserer Räume, kostet beträchtliche Summen. Auch die Personalkosten für 90 feste Mitarbeiter in der Hochsaison bilden eine große Position auf der Kostenseite.
Tagsüber im weißen Jackett, abends im Frack: die Camerieri. Foto: Adonis MalamosDazu zählen unsere Camerieri – tagsüber mit weißem Jackett, abends im Frack –, Baristas, Orchestermitglieder sowie der Staff im Hintergrund. Würden wir bei diesen Ausgaben den Kaffee für den gleichen Preis wie am Kiosk verkaufen, gäbe es das Florian schon lange nicht mehr."
Das am Markusplatz gelegene Caffé Florian trug nach seiner Gründung 1720 den Namen "Alla Venzia Trionfante" ("Dem glorreichen Venedig"), um später nach Gründer Floriano Francesconi umbenannt zu werden. Es waren Jahre, in denen sich der Kaffee erst verbreitete. Wie das Getränk seinen Weg von Afrika über Ägypten und dem Orient nach Europa fand, ist nicht eindeutig belegt. Als Eintrittsorte werden für das 17. Jahrhundert Venedig und Wien genannt.
Sein heutiges Aussehen erhielt das Florian bei einem Umbau Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Terrasse auf dem Markusplatz und die Tische unter den Arkaden erfreuen sich zwar großer Beliebtheit, aber für wahre Liebhaber von Cafés und Kaffeehäusern wird der Wunsch nach dem "Alleinsein unter Leuten" am besten in Räumen erfüllt, die das Getriebe der Welt aussperren. Bei 90 Mitarbeitern denkt man schnell an ein Großraumkaffee, liegt dabei in Bezug auf das Florian aber völlig falsch.
Nehmen Sie Platz in einem der kleinen Räume. Zum Beispiel in der Sala Cinese. Unter goldener Cassettendecke, vor Wandspiegeln und geschnitztem Dekor wäre eine Tasse Tee nicht schlecht. Es darf aber auch eine hausgemachte Trinkschokolade sein, deren Rezeptur von Fachleuten zu den weltweit fünf besten gezählt wird. Oder Sie nutzen die Sala Oriente als Rückzugsort. Auch hier bezaubern die drei großen ‚G‘: Gold, Glas und Gemälde. Letztere schuf mit Giacomo Casa einer der Venezianischen Meister der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Hier könnte auf dem Marmortisch eine Tasse Zabaione mit hausgemachten Bisquits konvenieren. Mit der Sala Liberty hat sich das Florian zu seinem 200. Geburtstag 1920 selbst beschenkt. Passend zur damaligen Zeit schmückt floraler Jugendstil den Raum. Und passend zum Nachmittag darf es in diesem Salon ein Prosecco sein.
Der historisch bedeutsamste Raum des Florian ist die Sala del Senato. Er gilt als Wiege der Kunst-Biennale von Venedig, die 1895 erstmals stattfand. Als Initiatoren nennen die Geschichtsbücher den damaligen Bürgermeister Riccardo Selvatico und seine Freunde Filippo Grimani, Giovanni Bordiga und Antonio Fradeletto. In der Sala del Senato des Caffé Florian haben sie bei ihren regelmäßigen Treffen die Idee zur Biennale geboren und die Durchführung vorbereitet. Die Grundidee: Mit der Biennale sollte den internationalen Künstlern, die Venedig gerne besuchten, eine regelmäßig wiederkehrende Ausstellung ermöglicht werden, was auch so geschah. Und das Florian wurde mit seinen Räumen fast selbstredend ein Treffpunkt von Künstlern und ein Ort wechselnder Ausstellungen, was bis heute so geblieben ist.
Sie retten den frühen Abend auch mit Prosecco oder Spritz: die Baristas im Florian. Foto: Adonis MalamosNach einem glanzvollen Mittelalter, das Venedig als reiche Handelsmacht gesehen hatte, bedeutete die Entdeckung des Seeweges nach Indien und Amerika zunächst einen Bedeutungsverlust des Mittelmeerhandels - in der Folge auch den Machtverlust Venedigs. Der mehr als 20 Jahre lang dauernde und schließlich verlorene Kampf gegen die Osmanen um Kreta nahm Venedig 1669 seinen wichtigsten Handelsstützpunkt im Mittelmeer. In der Gründungszeit des Caffé Florian im Jahr 1720 sieht der Historiker Arne Karsten die vormalige Handelsmacht politisch eher bedeutungslos geworden, wirtschaftlich aber in keiner schlechten Situation. Und der Journalist Alexander Smoltczyk konstatiert in einem Essay: "Venedigs Republik erlebte ihr Finale und sie kostete es weidlich aus. Die alte Handelsmacht wurde zum Kultur- und Vergnügungszentrum."
Für die Kultur stand die venezianische Malerei, die im 18. Jahrhundert ihre zweite große Blüte erlebte, oder die Musik, die sich parallel in sechs Opernhäusern darbot. Für das Vergnügen zählt Smoltczyk 200 Wein- und Kaffeehäuser, die nachts so belebt gewesen sein sollen wie bei Tage. Und in 30 bis 40 Straßen der Stadt hätten Bordelle das Bild bestimmt. Bei einem Studienaufenthalt in Venedig habe Montesquieu "10.000 Flittchen" gezählt.
In dieses Ambiente passte Frauenheld Giacomo Casanova bestens. Fünf Jahre nach Eröffnung des Caffé Florian – also 1725 – in Venedig geboren, gehörte er schon in jungen Jahren zu den Stammgästen. Der Grund ist unschwer zu erraten: Hier durften, was damals die absolute Ausnahme war, auch Frauen als Gäste verkehren. Neben Casanova hat das Florian viele andere prominente Gäste empfangen. Napoleon, Claude Monet, Richard Wagner, Charlie Chaplin, Andy Warhol, Helmut Kohl und Jacques Chirac zählen dazu. Warum im Gästebuch aktuelle Politik-Größen seltener zu finden sind? Böse Zungen behaupten, dies hätte mit dem verloren gegangen Stilempfinden politischer Eliten zu tun.