Von Daniel Frommer
Seine steinernen Kirchen brennen sich ins Gedächtnis: Leicht und elegant bettet der Schweizer Architekt Mario Botta (76) spektakuläre Sakralbauten in die alpine Landschaft seiner Tessiner Heimat. Bottas strenge geometrische Formensprache kennzeichnet nicht nur seine "Altäre in freier Natur", sondern beispielsweise auch seinen jüngsten urbanen Wurf, das multifunktionale "Teatro dell’architettura" in Mendrisio. Wichtige Gebäude schuf er genauso in San Franzisco, Mailand, Basel oder Dortmund.
Im RNZ-Gespräch erläutert er sowohl wesentliche Aspekte seiner aktuellen Projekte, als auch die Bedeutung der Nord- und Südeuropa verbindenden Eisenbahn-Alpentransversale, deren Fracht- und Passagierkapazität jetzt durch Gotthard-Basistunnel erheblich verstärkt wird.
Mario Botta.
Herr Botta, den Eidgenossen gelingen Mammut-Bauwerke wie der 57,1 Kilometer lange Gotthard-Basistunnel mit sprichwörtlicher Schweizer Präzision. Besonders beeindruckend sind die geringen horizontalen und vertikalen Abweichungen, die beim Vortrieb der Stollen aus unterschiedlichen Richtungen entstanden. Bei der Oströhre wurden gerade einmal 8 cm horizontal und 1 cm vertikal dokumentiert - trotz schwierigem Gestein wie dem gefürchteten zuckrigen Dolomit.
Schauen Sie, die natürlichen Schwierigkeiten bei so einem Großprojekt im Gebirge sind enorm, sie sind aber eher geologischer Art. Ja, die technische Ingenieurleistung ist bei diesem Tunnelbau ohne Frage großartig. Ich organisiere als Architekt aber den Lebensraum von Menschen: Für mich liegt die übergeordnete Bedeutung der Alpentransversale in der Verbindung des Nordens mit den mediterranen Raum. Der Tunnel ist ein wichtiger Beitrag zum zivilen Zusammenleben, zum kulturellen Austausch und zum Frieden.
Die Schweiz scheint uns bei der tragfähigen Verbindung von Norden und Süden - weiter denn je - voraus. Wie sehen die Eidgenossen, wie sehen Sie die Schwierigkeiten in Deutschland bei Elbphilharmonie, Stuttgart 21 und beim Berliner Flughafen?
Wer Projekte vorantreibt, darf auch Fehler machen.
Das klingt gnädig.
Der Wille etwas gut zu machen, muss stärker sein, als alle Fehler, die begangen werden können. Unsere Generation darf sich glücklich schätzen, in einer globalisierten und lebenswerten Welt zu Hause zu sein. Man kann auch der Schweiz gegenüber kritisch sein: Hier gilt häufig: Alles ist Business - wie in Amerika. Aber längst nicht alles im Leben ist Geschäft. Das Leben ist das Leben.
An die Alpentransversale angebunden ist Ihr für 2021 geplanter Neubau des Kopfbahnhofs in Locarno. Was sind die speziellen Anforderungen an dieses Projekt?
Ja, er liegt an einer Abzweigung der Gotthardbahn. Das zentrale Problem des Terminals ist der fehlende Platz. Es ist ein ambitioniertes Projekt, bei dem es darum geht, die Verkehrsströme mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, die Bewegungen der Fahrgästen von Bussen und Bahnen sowie der Besucher auf der Piazza vor der romanischen Basilika "Chiesa San Vittore" in einem urbanen Knotenpunkt unter einen Hut zu bekommen.
Sie haben mehrfach in Interviews verlauten lassen, dass der Name "Fiore di Pietra" (Steinblume) des von Ihnen 2013 bis 2017 auf den Monte Generoso gebauten Panoramarestaurant nicht von Ihnen stammt. Wer hat sich denn dann den Namen ausgedacht?
Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen. Für mich stellt das Gebäude viel mehr das finale Element des Bergs dar. Die Fortsetzung der Natur mit geometrischen Elementen. Der Monte Generoso ist der letzte Berg der Alpen - und eine Eroberung der Schweizer Ingenieure, erschlossen von einer Zahnradbahn. Der Blick von dort oben eint zwei Welten; er macht die Veränderung der Landschaft von Norden nach Süden ganz leicht begreifbar: Nördlich sieht man Gestein, Felsen und den Luganer See; Richtung Süden hingegen sanft auslaufende Hügel, die ins Mediterrane übergehen. Nur 50 Kilometer entfernt liegt Mailand.
Sind Sie darauf vorbereitet, sollte die Produzenten der James Bond-Filme wegen eines Drehs bei der Steinblume anklopfen?
Die sollen es ruhig machen.
Ihr jüngster Wurf ist das "Teatro dell‘architettura" in Mendrisio. Das Bauwerk bereichert den Campus der Akademie für Architektur um ein multifunktionales Forum. Welche Aufgaben haben Sie ihm zugedacht?
Als ich studiert habe, war Architektur noch eine weitgehend auf sich alleine gestellte Disziplin. Das Studium der menschlichen Lebensräume berührt jedoch sehr viele unterschiedliche Disziplinen: Geschichte, Philosophie, Kunst, Biologie und Neurologie. Das "Teatro dell‘architettura" dient dem interdisziplinären Austausch, es soll Barrieren überwinden und mit ungewöhnlichen Ausstellungen und Events in eigenen Räumlichkeiten das Querdenken fördern.
Sie stellen außerdem gerade ein Eishockeystadion in Ambrì fertig?
Und eine Kirche in Seoul.
Gibt es auch ein Projekt in Baden-Württemberg
Noch nicht, warten wir’s ab.
Haben Sie einen besonderen Bezug zu dieser Sportart?
Nein, auch zu keiner anderen Sportart, aber zur Bade- und Körperkultur: In Baden bei Zürich konstruiere ich das Thermalbad. Der Wettbewerb wurde vor zehn Jahren ausgeschrieben. Nach einer sehr langwierigen Planungsphase haben wir vor drei Jahren mit dem Bau begonnen.
Wie zermürbend sind diese langen und mitunter komplizierten Planungsperioden?
Alles dauert länger, läuft bürokratischer und damit langsamer ab, als anfangs vorgesehen. Das ist ein negativer Aspekt meiner Tätigkeit.
Müssen Architekten daher schlicht ein biblisches Alter erreichen, um ihre Projekte vollenden zu können?
Bravo!
Das Paradebeispiel ist vielleicht Oscar Niemeyer, der noch mit 104 Jahren täglich entworfen hat? Sein Büro in Rio de Janeiro wickelte darüber hinaus weitere Jahre weltweit Projekte ab. Was haben Sie denn die nächsten 30 Jahre vor?
Genau das. Genau wie mein Freund Niemeyer werde ich es machen. Das imponiert mir.
Kirchen scheinen eine Ihrer Domänen? In Mogno oder die Kapelle Santa Maria degli Angeli auf dem Monte Tamaro.
Das ist aber gleichzeitig ein spiritueller Ort von weltlicher Prägung. Der Name Santa Maria degli Angeli stammt vom Auftraggeber Egidio Cattaneos und ist eine Hommage an seine verstorbene Frau: Maria Angela. Diese Kapelle ist ein Liebesgeschenk.
Wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie in Mendrisio? Und: Es wird kolportiert, dass Sie bis heute ausschließlich oder überwiegend mit dem Bleistift arbeiten.
20 Mitarbeiter. Das mit dem Bleistift stimmt. Ausschließlich. Ich selbst habe auch keinen bestimmten Schreibtisch; arbeite und korrigiere aber an allen 20 Zeichentischen meiner Mitarbeiter. Es macht mir Freude, mehrere unterschiedliche Projekte gleichzeitig zu verfolgen.
Im Hinblick auf Ihre Sakralbauten: Würden Sie sich als religiösen Menschen bezeichnen?
Ich fühle mich als Christ westeuropäischer, mediterraner Kultur; weniger einer bestimmten Konfession zugehörig. Wenn ich mich in Venedig aufhalte, erkenne ich meine Kultur wieder. In Peking oder Shanghai passiert mir das nicht. Das ist meine Art des Widerstands gegen falsch verstandene Globalisierung und gegen den damit einhergehenden Verlust an Kultur sowie mein Plädoyer für das Festhalten an tradierten Werten. Die Architektur ist der formale Ausdruck der Geschichte. Ihr wahrer Sinn besteht darin, dass die Menschen ihre Kultur besser leben können. Die Frage, die man sich heute stellen muss lautet, wie baue ich mit dem heutigen Kenntnisstand ein Restaurant auf dem Monte Generoso oder eine Kapelle auf dem Monte Tamaro. Finale Wahrheiten habe ich keine. Ich bin nur ein Zeitzeuge des 21. Jahrhunderts, ein Kind von Picasso, Duchamp, Bauhaus. Auch die ethische Lehre von Le Corbusier ist, gleichgültig, ob man ihn nun mag oder nicht, jeden Tag präsent. Ungefähr wie Einstein in der Physik.