Ein Mädchen hält ihr Smartphone in den Händen, auf dem sie ein Foto der
Kurzvideo-App TikTok geöffnet hat. Mit TikTok können Nutzerinnen und
Nutzer kurze Handyvideos zu Musik oder zu anderen Videos erstellen.
Andere können dazu kommentieren, Herzen verteilen oder anderweitig
reagieren. Auch private Nachrichten sind möglich. Die App ist vor allem
bei Jugendlichen sehr beliebt. Foto: dpa
Von Doreen Garud
Früher tanzten junge Mädchen gerne vor dem Spiegel und sangen dabei mit der Haarbürste in der Hand ihre liebsten Lieder. Heute tanzen sie vor ihren Smartphones, die Kamera auf sich gerichtet. Während damals vielleicht die beste Freundin daneben saß und kichernd zuschaute, sieht nun potenziell die ganze Welt zu.
Was bei Millionen von Menschen in Deutschland diese kleinen Videos aufnimmt, ist die App TikTok. "Wir sind die führende Plattform für mobile Kurzvideos", sagte Managerin Charlott Buchholz auf einer TikTok-Veranstaltung in Berlin ganz unbescheiden. Insgesamt wurde das Programm weltweit bereits mehr als eine Milliarde Mal heruntergeladen. TikTok gibt es in 175 Sprachen.
Dabei kommt die App nicht – wie viele andere erfolgreiche Internet-Ideen – aus dem Silicon Valley in den USA, sondern aus China. TikTok gehört zu dem milliardenschweren Internet-Technologieunternehmen ByteDance. Damit ist TikTok die erste Social-Media-Plattform aus China, die auch in der westlichen Welt großen Erfolg hat. ByteDance hatte TikTok 2017 für eine Milliarde Dollar gekauft. Damals hieß die Anwendung noch Musical.ly.
Zahlen für Deutschland veröffentlicht ByteDance nicht. Aber eine Präsentation, die das amerikanische Online-Fachmagazin Digiday in die Hand bekam, sprach jüngst von 5,5 Millionen monatlich aktiven TikTokern in Deutschland. Demnach verbrachten die Nutzerinnen und Nutzer – wobei der Großteil weiblich ist – dort im Schnitt täglich 50 Minuten.
Einige der Stars in der Welt der Mini-Hochkant-Videos sind aus der Musikwelt oder von anderen Plattformen bekannt, etwa der Popsänger Lukas Rieger oder die Youtuber Julien Bam und Rezo. Andere wie die 17-jährige Dalia Mya aus Berlin sind über TikTok berühmt geworden. "Da kann man seiner Kreativität freien Lauf lassen", schildert sie den Reiz. Jeden Tag gebe es in der Datenbank neue Lieder und Videos, auf die sie mit eigenen Videos reagieren könne. Oft verbreiten sich diese Ideen dann wie ein Lauffeuer.
Und hier lauert die erste Stolperfalle: Das Urheberrecht. Wenngleich der Betreiber angibt, die in TikTok zur Auswahl gestellten Songs seien lizenziert, sollten Videos mit bekannter, urheberrechtlich geschützter Musik besser nicht auf anderen Plattformen gepostet werden – auch nicht auf YouTube!
Kritisch gesehen wird auch der Umgang mit Nutzerdaten. Wie bei den meisten großen Netzwerken braucht man ein Benutzerkonto, um mitmachen zu können. Dazu werden Telefonnummer, Mail-Adresse oder die Verknüpfung zu Facebook oder Instagram benötigt. TikTok liest automatisch die Kontaktliste und das Telefonbuch des Smartphones aus.
Dies, und die Tatsache, dass die App in den USA mehr als 110 Millionen Mal heruntergeladen wurde, veranlasste die US-Regierung kürzlich, eine Sicherheitsüberprüfung einzuleiten. Darüber hatten verschiedene US-Medien unter Berufung auf Regierungskreise berichtet. Washington vermutet, dass die Karaoke-App Daten an die chinesischen Behörden weiterleitet und so zur Spionage genutzt werden könnte. Befürchtet wird zudem, dass staatskritische Inhalte von China zensiert werden.
Der Berlinerin Dalia Mya sehen derzeit mehr als drei Millionen Menschen zu, wenn diese sich dabei filmt, wie sie buntes Farbpulver in die Luft wirft, wie sie im Bikini im Pool herumplantscht oder wie sie in einem Mini-Sketch auf eine Schulnote reagiert. Zu Beginn hätten viele Videos daraus bestanden, einfach die Lippen zu bekannten Liedern zu bewegen, sagt sie. "Nun ist es mehr Comedy, mehr coolere Videos."
Die meisten Nutzerinnen und Nutzer, schätzt die 17-jährige Dalia Mya, sind etwas jünger als sie, also 14 oder 15. Jugendschutz-Initiativen sprechen von einer ähnlichen oder noch jüngeren Nutzergruppe. Die zwölfjährige Holly, die auch auf TikTok unterwegs ist, erzählt von einer Erfahrung: "Es gibt so eine 30-Jährige, die nennt sich auf TikTok ,Frau Mutter‘, und als ich sie sah, dachte ich: Sie ist zu alt, um auf TikTok zu sein. Bitte geh! Das wirkt nur gezwungen." Aber auch die altehrwürdige ARD-"Tagesschau" wagt sich in diese Teenager-Welt vor: Kürzlich ging ihr erstes TikTok-Video online – mit Sprecher Jan Hofer, der sich per Knopfdruck eine Krawatte in der richtigen Farbe aussucht.
Erlaubt ist TikTok eigentlich erst ab 13 Jahren, und bis 18 Jahren nur mit Einverständnis der Eltern. Doch wer die App nur zum Anschauen nutzt, wird gar nicht nach dem Alter gefragt. Und wer sich anmeldet, um selbst Videos zu veröffentlichen, muss zwar ein Alter angeben – aber überprüft wird es nicht. Holly sagt, sie habe auf TikTok noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Aber das liege wohl auch daran, dass sie nicht so bekannt sei.
Von Instagram weiß Holly, was passieren kann: Dass etwa Männer ihr unerwünschte Nachrichten schreiben. Denn wie auch Instagram hat TikTok alle Möglichkeiten sozialer Medien, man kann also jemandem eine private Nachricht senden, Herzchen verteilen oder unter einem Video einen Kommentar hinterlassen. Das lässt sich zwar über die Kontoeinstellungen einschränken. Aber zu Beginn steht ein Konto immer auf öffentlich. Und leider sind auf TikTok auch sexuell motivierte Erwachsene, sogenannte Cybergroomer, Mobber sowie Leute aktiv, die sich nur zum Beleidigen angemeldet haben.
Deswegen appelliert Deborah Woldemichael von der EU-Initiative klicksafe.de an die Eltern: "Wenn sie die Nutzung erlauben, dann sollten sie diese begleiten, und ihre Kinder unterstützen, wenn es Probleme gibt." Zum Beispiel sollten Eltern die Kontoeinstellungen zusammen mit den Kindern durchgehen und auch regelmäßig überprüfen. Und nachhorchen: "Wem folgt mein Kind? Gibt es Stress über TikTok?"
ByteDance selbst betonte gerade verstärkt, dass sie sich um den Schutz der Jugend kümmern. In Berlin wurde dafür Anfang des Jahres ein Moderationsteam gegründet, das 24 Stunden am Tag fragliche Inhalte betrachtet. Außerdem kann jeder Nutzer blöde Kommentare, Videos oder Profile melden. Und dann gibt es noch eine Technologie, die unpassende Inhalte erkennen soll. Daraufhin seien aus Versehen auch einige Videos von TikTok-Müttern mit ihren Kindern gesperrt worden, erzählt TikTok-Pressesprecherin Gudrun Herrmann. "So eine Technologie ist mäßig schlau."