Hat einen Gastauftritt im „Tatort“: Cluseo mit Stern und Odenthal im Hintergrund. Foto: ARD/SWR
Von Olivia Kaiser
Morddrohungen im Netz münden in eine echte Bluttat: Der neue Fall von Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) weist gewisse Parallelen zum Mordfall Walter Lübke auf – zumindest am Anfang. Doch natürlich steckt mehr dahinter, und nicht immer sind Menschen, wie sie scheinen. Die "Hetzjagd" ist eröffnet.
Was ist passiert? "Rock gegen Rechts"-Konzertveranstalter Tillmann Meinecke wird beim Joggen am Rheinufer erschossen. Weil er von der rechten Szene bedroht wurde, hatte er zuvor Lena Odenthal um Polizeischutz gebeten. Sie fühlt sich nun verantwortlich. Bei der Fahndung geht der Polizei Ludger Reents ins Netz. Er und seine Freundin Hedwig Jörges gehören der Nazi-Gruppierung "Revenge 88" an und hatten es auf Meinecke abgesehen. Reents gerät in Panik und erschießt Polizeioberkommissarin Katja Winter. Er wird verhaftet, Hedwig kann fliehen. Während Odenthal und Stern mit Meineckes Freundin Maria und deren Mutter sprechen, läuft der Verfassungsschutz im Präsidium ein, um Reents in die Mangel zu nehmen. Die Kommissarinnen müssen wohl oder übel kooperieren.
Worum geht es wirklich? Um die Spaltung innerhalb der Gesellschaft. Debatten um politische Ideologien oder die Corona-Regelnungen werden hart und unversöhnlich geführt. Die Gräben sind so tief, der Hass – befeuert durch Verschwörungstheorien und Fake News im Netz – so groß, dass Einzelne den moralischen Kompass verlieren. Es erscheint legitim, den Gegenüber nicht nur verbal, sondern auch physisch zu attackieren.
Wie schlagen sich die Kommissare? Formate , wie wir sie kennen: ein schuldbewusst-besorgter Gesichtsausdruck und offen für Alleingänge, wenn es nötig ist. Doch mittlerweile sind Odenthal und Stern zu einem guten Team geworden, das mit Bauchgefühl auf der einen und kühler Analyse auf der anderen Seite die Täter zur Strecke bringt. Höhepunkt ist Lenas Verhör mit Reents, dessen hohle Plattitüden sie wunderbar entlarvt.
Was ist die Stärke dieses "Tatort"? Die Aktualität. Cybermobbing, persönliche Daten ins Netz stellen, um die Gegner zu entblößen, üble Beleidigungen – all das beschäftigt Polizei und Justiz. Und was passieren kann, wenn Einzelne oder gar eine ganze Meute aufgestachelt werden, macht nicht nur der Mord an Walter Lübke klar, sondern auch der Sturm auf das Capitol in Washington mit gleich mehreren Toten. Ein Kniff in der Handlung besteht in dem Treffen von Maria und Hedwig, als sie nachts durch die Stadt streifen. Beide wissen nicht, wer die andere ist und bauen jenseits von politischen Einstellungen eine Bindung zueinander auf.
Was sind die Schwächen? Ansonsten sind die Wendungen leider ziemlich vorhersehbar. Die große Spannung bleibt diesmal aus.
Und sonst noch? Sänger Clueso hat einen Gastauftritt als er selbst. Odenthal und Stern besuchen Meineckes Ex-Firmenpartner, der gerade ein Konzert vorbereitet, bei dem auch der Sänger auftreten soll. Clueso gibt sich aufmüpfig und wirft den Ermittlerinnen vor, Meinecke nicht beschützt zu haben. Zu hören ist auch Cluesos Song "Neuanfang".
Was kann man vom "Tatort" fürs Leben lernen? Beurteile ein Buch niemals nach dem Einband. Nur weil jemand Konzerte gegen Rechts organisiert, muss er noch lange kein tugendhafter Mensch sein.
Sonntag, 20.15 Uhr, lohnt es sich einzuschalten? Ja, auch wenn der Kriminalfall nicht so spannend ist, sind es doch die zwischenmenschlichen Beziehungen.