Von Agnieszka Dorn
Es fing mit einer Nachricht auf Instagram an: "Hallo, junge, charmante, sexy Dame, mein Name ist Houston Albert. Ich habe hier auf Instagram gerade gestöbert, als ich über deine unwiderstehliche Schönheit gestolpert bin, maile mir doch bitte." Der Mann auf dem Profilbild sah sympathisch aus und ich antwortete ihm. Was sich daraus entwickelte, wagte ich nicht einmal zu träumen.
Ich kam mit Houston Albert, einem amerikanischen Ölingenieur, ins Gespräch. Er arbeitete gerade auf einer Bohrinsel am Golf von Mexiko. Sein Instagramprofil zeigte Fotos und kurze Handyvideos von Arbeiten auf der Bohrinsel, das war interessant. Houston kam aus dem "Sunshine State" Florida - genauso nannte er mich nach einigen Tagen auch: "My sunshine", "mein Sonnenschein". Typisch amerikanische Mentalität, dachte ich.
Wir begannen, uns lose hin- und herzuschreiben. Und recht schnell erzählte Houston Albert private Dinge über sich: Er sei verwitwet, habe eine 17-jährige Tochter namens Clara, die in Miami auf ein Internat gehe. Seine Frau sei an Brustkrebs gestorben. Ich glaubte ihm jedes Wort, prüfte aber dennoch alles, was er über seinen Beruf erzählte, im Internet nach. Es stimmte. Ich wurde neugierig auf den Mann.
Genauso schnell, wie er mir sein Leben offenbarte, überschüttete mich Houston in schiefem Deutsch mit Komplimenten: "Immer wenn ich dich ansehe, wie schön du bist, fühle ich mich wirklich sehr glücklich darüber, dass sich so eine hübsche Dame mit mir unterhält." Oder: "Seit ich dich hier auf Instagram getroffen habe, kann ich dich nicht aus dem Kopf bekommen. Wann immer ich mit dir spreche, fühle ich mich auf der Welt. Deine Schönheit macht mich verrückt, nach allem, was ich in deinen Fotos sehe." (Die Zitate von Houston Albert entsprechen dem Original-Chat.)
Ich fühlte mich bestätigt. Nach acht Tagen gestand er mir, dass er sich in mich verliebt habe und versprach mir, mich wie eine Königin zu behandeln: "Du bist die Art von Frau, die ich will und wenn du mir dein Herz geben könntest, verspreche ich, dich wie eine Königin zu behandeln und in jeder Hinsicht noch glücklicher zu sein." Ich hielt ihn für einen verliebten Spinner, der auf der Bohrinsel vier Monate lang keine Frau zu Gesicht bekommen hatte. Und jetzt völlig aus dem Häuschen war. An eine Beziehung dachte ich nie - ich hatte ihn ja noch nie gesehen - aber ich konnte mir sehr gut vorstellen, ihn persönlich kennenzulernen.
Schmeicheleien via Instagram: Zum Glück flog schnell auf, dass mit „Houston Albert“ irgendetwas nicht stimmt. Foto: DornDas Ganze wurde intensiver. Wir wechselten von Instagram auf den Messaging-Dienst Skype und schrieben uns mehrmals täglich, mittlerweile auf Englisch. Es folgten Telefonate via Skype, Houston Albert sprach perfektes amerikanisches Englisch. Er schickte mir weitere Fotos von sich, auch eins zusammen mit seiner Tochter. Wir plauderten über Gott und die Welt. Doch die Vorsicht vor einem Mann, den ich noch nie gesehen hatte, blieb. Zwar berichtete ich von meinen Freizeitaktivitäten und Houston wusste auch, dass ich Journalistin bin (seine Arbeit sei gefährlicher, wie er meinte - wohl wahr!). Wirklich Privates gab ich jedoch nicht preis.
Die Frage, was ich "körperlich attraktiv" finden würde, ließ mich schließlich aufhorchen. Gibt es da doch diese zwei Binsenweisheiten: Spreche im Internet niemals über Sex und verschicke keine Bilder, die du nicht auch deiner Mutter zeigen würdest. Ich machte ihm meine Einstellung deutlich - und fragte mich, auf was er wirklich hinauswolle. Er hatte noch nicht einmal gefragt, in welcher Stadt ich wohne ... Das war merkwürdig.
Der Mann ließ nichts unversucht, um mir eine Beziehung schmackhaft zu machen: Neben einem Ed-Sheeran-Video zum Song "Perfect", das zum Schluss ein verliebtes Pärchen zeigt, kamen Sätze wie: "Wir sind keine Kinder mehr, wir wissen, wie es klingt, wenn es sich nach etwas Ernsthaftem anfühlt." Gleichzeitig meinte er, er könne sich vorstellen, zu mir zu ziehen, er würde vorzeitig in Rente gehen und sein restliches Leben genießen wollen - mit mir. Die Frage, wo ich wohne, fiel nach wie vor nicht.
Schmeicheleien via Instagram: Zum Glück flog schnell auf, dass mit „Houston Albert“ irgendetwas nicht stimmt. Foto: DornDas aufdringliche Tempo, das mittlerweile unseren Gesprächsverlauf bestimmte, war mir allmählich unangenehm. Ich ließ mich nicht beirren, wollte wissen, mit wem ich es zu tun habe und fragte nach einem Live-Video-Gespräch. Doch das kam nicht zustande: Die Handykamera sei kaputt und die Computer auf der Bohrinsel seien so alt, dass sie keine Kamera hätten.
Ich fand das mehr als seltsam und stellte jetzt Fangfragen. Bei Telefongesprächen fragte ich mehrmals beiläufig nach der Uhrzeit in Mexiko - und rechnete den Unterschied zu Deutschland aus. Da flog Houston Albert auf: Er hatte mir mehrmals unterschiedliche Zeiten genannt. Zwar hat Mexiko tatsächlich verschiedene Zeitzonen - aber eben nicht auf der gleichen Bohrinsel.
Ich ahnte nichts Gutes, war mir aber nicht sicher, was dahinterstecken könnte. Parallel begann ich, über Liebesbetrug im Internet zu recherchieren. Und schnell wurde mir klar, dass ich nicht mit dem Mann auf den Fotos sprach. Als ich seine E-Mail-Adresse googelte, stieß ich auf einen Google+-Account mit dem Foto eines etwa 20-jährigen Afrikaners, der dieselbe Mail-Adresse wie Houston Albert hatte. Zudem entdeckte ich verschiedene Instagram-Konten mit exakt den gleichen Bildern, aber unterschiedlichen Namen. Ich war entsetzt. Mich hatte ein sogenannter Romance- oder Love-Scammer kontaktiert. Ein Liebesbetrüger also, der im Internet die große Liebe vorgaukelt, um später an Geld oder Geschenke zu kommen. Der moderne Heiratsschwindler von heute also.
Die Lebensgeschichte von Houston Albert war frei erfunden, die Fotos aus dem Internet gestohlen. Hinter der Betrugsmasche stecken Banden und Organisationen, die überwiegend von Nigeria und Ghana aus operieren; neben dieser sogenannten "Nigeria-Connection" gibt es mittlerweile aber auch Gruppen in der Türkei oder China. Und überwiegend sind es Frauen, die ins Visier der Betrüger geraten. Mir persönlich war die Masche relativ fremd, alles, was ich wusste, war, dass es Betrüger im Internet gibt und dass man persönliche Informationen und Daten nicht herausgeben sollte.
Ich brach den Kontakt sofort ab, blockierte ihn, sicherte alle Gespräche und meldete das Ganze der Polizei. Dort bestätigte man mir, was ich im Internet schon recherchiert hatte: Ich war einem Love-Scammer auf den Leim gegangen - zumindest befand ich mich auf dem besten Weg dahin. Zwar war es (noch) zu keiner Geldforderung gekommen, aber laut Michael Klump, Polizeisprecher beim Polizeipräsidium Mannheim, ist es gemäß Paragraf 263 StGB schon versuchter Betrug, wenn jemand ein Bild verwendet, das ihm nicht entspricht. Love-Scamming ist weltweit verbreitet, allerdings wissen die wenigsten über diese Betrugsmasche Bescheid und denken, sie sprächen tatsächlich mit dem Menschen, den sie auf den Fotos sehen. Das ist aber nicht der Fall.
Es ging weiter: Eine Woche später bekam ich plötzlich eine E-Mail von einem Kelvin Atuyota: "Hi Agnies, wie geht es dir? Ich weiß, du musst sehr überrascht sein, von mir zu hören, wir haben uns eine Weile nicht gesprochen." Nach weiteren Recherchen fand ich heraus, dass das der Afrikaner war, der sich als Houston Albert ausgegeben hatte.
Ich antwortete, sprach ihn mit all seinen falschen Namen an, erzählte, dass ich gerade eine Reportage über Love-Scamming schreibe und wollte von ihm die Hintergründe wissen. Zudem machte ich klar, dass er von mir kein Geld bekommt. Es kam sogar noch eine Antwort: "Weißt du was, Agnies, lass uns Freunde sein. Ich mag dich. Du bist smart und ich bin smart. Ich denke wir können die Sachen ausarbeiten." Danach hörte ich nie wieder etwas von ihm.
Love-Scammer gehen folgendermaßen vor: Sie benutzen gestohlene Fotos und geben sich als die Person auf dem Bild aus; die Kontaktaufnahme erfolgt über soziale Netzwerke, Dating-Apps oder Online-Partnerbörsen. Es folgen schnell vorgetäuschte Gefühle und überzogene Liebeserklärungen wie "mein Sonnenschein". Meistens geben die Betrüger vor, Witwer mit einem oder zwei Kindern zu sein, die Ehefrauen sollen an Krebs verstorben oder bei einem Autounfall ums Leben gekommen sein. Das alles soll Mitleid erwecken.
Ein weiteres Merkmal: Die Betrüger finden alles gut, was ihre Chatpartnerin auch gut findet, es soll so viele Übereinstimmungen wie möglich geben, damit das Opfer denkt, "es passt". Meistens kooperieren sie in Gruppen und wechseln sich mit dem Schreiben ab - wer denkt, er schreibe einer Person, der liegt wohl falsch. Und oft haben die Love-Scammer wie Houston Albert auch zwei Vornamen.
Die Betrüger schreiben und telefonieren mehrmals täglich, und das jeweils lange. Irgendwann kommt dann die Frage nach I-Tunes-Karten, I-Phones oder nach Geld, Bankverbindungen oder Ausweiskopien. Informationen, die man während der privaten Gespräche herausgibt (Familienstand, Beruf, Adresse), verkaufen die Scammer weiter an andere Betrüger - und machen damit schon Geld.
Eine weitere Masche: Die Scammer geben vor, einen Flug zum Opfer gebucht zu haben und auf dem Weg dahin in eine "finanzielle Notlage" geraten zu sein. Sie bitten um Geld, mit dem Versprechen, es zurückzuzahlen. Diese Rückzahlung wird jedoch nie erfolgen und auch der vermeintliche "Traumpartner" wird nicht im Flugzeug sitzen.
Es ist ein knallhartes Geschäft mit den Gefühlen der Opfer. Wer freizügige Fotos schickt, wird damit erpresst. Wer Geld oder Geschenke schickt, landet auf einer Liste, die unter den Betrügern kursiert.
Love-Scamming ist seit einigen Jahren bekannt, erste Fälle habe es in den USA bereits vor etwa zehn Jahren gegeben, erklärt Polizei-Pressesprecher Michael Klump. Im Polizeipräsidium Mannheim wurde zwischen 2016 und 2018 eine deutliche Steigerung der Fallzahlen und der Schadenssummen registriert. Allein von 2017 auf 2018 habe sich die Zahl verdoppelt, so Klump. Gesamtschaden: Mehrere hunderttausend Euro.
Eine Strafverfolgung ist schwierig, weil die Täter im Ausland sitzen. Zudem ist die Dunkelziffer hoch, weil sich viele Opfer schämen und den Betrug nicht anzeigen. Betroffene können sich trotzdem an die Opferschutzkoordination der Mannheimer Polizei wenden. Gestohlene Fotos, die von den Scammern missbraucht werden, können bei jeder Dienststelle gemeldet werden.
Ich meldete zudem alle gefälschten Profile, die ich über "meinen" Scammer herausgefunden hatte, den "ScamHaters United", die auf Facebook und Instagram vertreten sind. Die Organisation veröffentlicht gekaperte Profile und Fotos im Internet und kennzeichnet sie. Es gibt laut "ScamHaters" Millionen Opfer weltweit. Die Seite bekommt täglich 1000 neue Hinweise auf Fake-Profile.
Besonders Instagram ist ein Eldorado für Liebesbetrüger, wie ich im Verlauf der Recherche feststellte. Gemeldete Profile werden größtenteils nicht gelöscht, das Netzwerk bietet auch keine Möglichkeit, fremde Accounts als "gefälschtes Konto" zu melden. Auf meine Anfrage bei der Pressestelle von Instagram, was das soziale Netzwerk unternehme, um Nutzer vor Liebesbetrügern zu schützen, bekam ich bis heute keine Antwort. Und auch die von mir gemeldeten Fake-Profile "meines" Liebesbetrügers sind bei Instagram weiterhin aktiv.