Von Anjoulih Pawelka
Sinsheim. Marcel Diehm beugt sich zu seiner Freundin hinunter, schaut in die Kamera und gibt ihr einen Kuss auf die Wange. Sie strahlt derweil über das ganze Gesicht. Das Foto, das der 28-Jährige auf seinem Profil bei "WhatsApp" hochgeladen hat, strahlt Zufriedenheit und tiefe Liebe aus.
Am 4. Februar waren es genau zehn Jahre, die er und seine Freundin Celine Dallaway ein Paar sind. Zehn Jahre, die mittlerweile ganz anders sind als zu Beginn. Denn an ihrem Jahrestag 2016 hatte die 24-Jährige einen schweren Autounfall. In der Sinsheimer Innenstadt hatte ein Audi bei einem Zusammenstoß ihren Kleinwagen gerammt. Sie brach sich das Genick zwischen der Schädelbasis und dem ersten Halswirbel. Die Folge: Celine Dallaway ist seither vom Hals abwärts gelähmt, braucht 24 Stunden am Tag eine Pflegekraft und kann sich nicht bewegen. Und auch das Reden fällt ihr nicht leicht und ist für Außenstehende schwer zu verstehen.
Rund zwei Jahre war sie in unterschiedlichen Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen, lag lange Zeit im Koma. Marcel wich ihr nicht von der Seite. Als Celine für mehrere Monate in eine Spezial-Reha-Klinik nach Hamburg kam, begleitete er sie, um seine Freundin bei ihren Therapien zu unterstützen. Dafür ließ er sich von der Arbeit beurlauben und fuhr lediglich jedes zweite Wochenende nach Hause, um Wäsche zu waschen und Freunde zu treffen. "Es hat sich viel verändert", sagt er. Die Liebe zwischen den beiden allerdings nicht. "Ich bin weiterhin Feuer und Flamme für Celine", schwärmt der 28-Jährige.
Wenn er über seine Beziehung redet, wird schnell klar, wie selbstverständlich das alles für ihn ist. Menschen, die ihn bewundern und sagen, sie könnten das nicht leisten, wenn ihre Frau solch schwerwiegende Einschränkungen hätte, kann er nicht verstehen. "Wenn man einen Menschen liebt, dann kann man das", sagt Marcel voller Selbstverständlichkeit und aus tiefer Überzeugung. Celine zu verlassen, daran habe er nie gedacht. "Sie wird bis zum Ende meines Lebens eine Rolle spielen." Ihre Behinderung sei für ihn kein Hindernis für die Beziehung. Durch den Unfall hätten alle Beteiligten den Kürzeren gezogen, und das sei völlig in Ordnung. In seiner Stimme sind keinerlei Gram oder Wut zu hören.
Marcel ist glücklich mit seiner Freundin, verbringt viel Zeit mit ihr. Fast jeden Tag ist er bei der Frau, die er so sehr liebt. Am Wochenende übernachtet er bei ihr. Dann haben sie besonders viel Zeit miteinander, wie jedes andere Paar auch. Schauen Serien, sitzen zusammen, machen Spaziergänge bei schönem Wetter und genießen die Zeit zu zweit. Dann ist auch eine der Pflegekräfte im Personalzimmer, damit die beiden ungestört sein können.
Kennengelernt hat Marcel seine Partnerin mit 18 Jahren. Celine war damals 14. Bei einer Party in einer Gartenhütte hat es gefunkt. "Sie hat mich einfach umgehauen", erzählt er. Ihre lustige Art mag er besonders. Dann fügt er mit einem verschmitzten Lachen hinzu, dass es aber auch ihre Schönheit sei, die er liebt. Sie hätten bis jetzt viele tolle Zeiten erlebt, sagt der Schreiner. Auch nach dem Unfall. Eine seiner liebsten Erinnerungen ist von 2019. Damals waren sie alleine auf der Hochzeit seines Bruders und haben zusammen im Hotel geschlafen.
Die Erinnerungen an die Zeit vor dem Unfall vor fünf Jahren verblassen allmählich. Trotzdem gibt es noch einige Szenen, die Marcel bis jetzt besonders präsent im Kopf sind. Zum Beispiel die Planungen des Jahrestages 2016. Eine Woche zuvor haben die beiden überlegt, wo sie am darauffolgenden Wochenende essen gehen möchten. "An den Tag kann ich mich noch genau erinnern." Doch dann kam der Unfall – genau an ihrem fünften Jahrestag.
Natürlich hat sich seither viel verändert. Marcel vermisst vor allem das Einfache, das Spontane. Wenn die beiden einen Ausflug machen wollen, dann ist das immer mit recht viel Aufwand verbunden. Und dann lacht Marcel aus vollem Herzen – auch Celines Krauleinheiten würden ihm fehlen, denn ihre Arme kann Celine nicht bewegen. "Aber im Grunde habe ich alles", fügt er hinzu.
Für die Zukunft wünscht er sich, dass die beiden zusammen wohnen können. Und dass Celine mit sich zufrieden ist. Die vergangenen fünf Jahre hätten ihm gezeigt, was man alles erreichen kann. Celine habe hart an sich gearbeitet und tue es noch immer. Auch wenn ein epileptischer Anfall vor eineinhalb Jahren viele der Fortschritte wieder zunichtegemacht hat. Wer wisse schon, wie weit die Technik in zehn Jahren entwickelt ist, sagt er. Die Hoffnung sterbe zuletzt, und das alles sei kein Grund zum "Heulen". Es gebe viele gute Tage. Und auch der Zusammenhalt innerhalb der Familie sei stark. Marcel wird in alle Entscheidungen, die seine Partnerin betreffen, mit einbezogen. Das gebe ihm das Gefühl, nicht nur da zu sein, sondern auch mitzubestimmen. Auch das sie nun zu Hause wohnt und nicht mehr im Krankenhaus sei, gebe mehr Normalität.
Auf die Frage, was Liebe für Marcel bedeutet, überlegt er lange. "Das ist ein großes Wort." Es bedeute, füreinander da zu sein und auch durch dick und dünn zu gehen.
LIEBE mal anders
Das Wichtigste im Leben ist es, geliebt zu werden. Die Liebe gibt Halt, Kraft und Mut – und hat so viele Facetten, ist immer anders. Genau darum geht es in der kleinen Serie unserer Kollegin Anjoulih Pawelka, die hier in den kommenden Wochen Geschichten über die Liebe erzählen wird.