Das Mutterbild in der Corona-Krise

Übermütter

Frauen tragen die Hauptlast in Haushalt und Erziehung – vor allem während der Corona-Krise. Anerkennung? Im Gegenteil. Warum sich das Mutterbild ändern muss

27.01.2021 UPDATE: 31.01.2021 06:00 Uhr 4 Minuten, 58 Sekunden
Illustration: Getty

Von Frauke Gans

Na, eure Mama regelt bestimmt immer alles für euch, oder?" Was der Arzt da in seiner Heidelberger Praxis zu den Kindern einer Singlemutter sagt, ist mit einem Augenzwinkern versehen. Doch der süffisante Unterton ist nicht zu überhören. In Deutschland sind es nach wie vor meist die Frauen, die neben der Arbeit das gesamte Familienleben organisieren. Schule, Sport, Nachhilfe, Zahnspangen, Ergotherapien, Vorsorgeuntersuchungen, Geburtstagspartys, Kleidung und Schulsachen. Anerkennung dürfen sie nicht erwarten. Im Gegenteil: Im Organisationsmodus werden sie als "Übermütter" belächelt. Ein bekanntes Phänomen. Nur um die 17 Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind statistisch der Meinung, dass die Leistung der Frauen in der Familie ausreichend gewürdigt wird. Ein seit Jahren stabiler Wert. Und geben Mütter vor, ihren Erziehungsstil laissez-faire zu gestalten, um eben nicht als Glucke bezeichnet zu werden, stehen sie ebenfalls gesellschaftlich am Pranger.

Frauen dürfen wählen, in welche Negativkategorie sie eingeordnet werden möchten: Sitzen sie in gepflegter Kleidung mit ihren Kindern im Café, so gehören sie zu den "Latte-Macchiato-Müttern" – wohlhabend und faul, wobei das Geld angeblich der Mann verdient. Kümmern sie sich darum, dass ihre Kinder die Pubertät gut überstehen, ihre Hausaufgaben machen oder setzen sie ihren Nachwuchs gar an der Schule ab, nennt man sie "Helikoptermütter". Bleiben Frauen die ersten drei Jahre mit den Kindern zu Hause, dann sind sie "Heimchen am Herd". Gehen sie sofort wieder bezahlter Arbeit nach, fallen sie in die Kategorie "Rabenmutter", deren Kindern mindestens Drogensucht vorhergesagt wird. Und können sie sich über ein ordentliches Gehalt freuen und ihre Kinder laufen alleine zur Schule, so gehören sie in die Schublade "Wohlstandsverwahrlosung", in der ihr Nachwuchs nicht genug Liebe erhält.

Das Wort "Mutter" wird oft durch ein Adjektiv ergänzt oder tritt als substantivische Zusammensetzung auf: alleinerziehende Mutter, arbeitende Mutter, Besserwisser-Mutter, Bionade-Mutter. Selbst Frauenzeitschriften kreieren immer neue Bezeichnungen. Der Ausdruck "arbeitender Vater" existiert im Deutschen nicht. Väter gehören zur mathematischen Gleichung: Mann ist gleich bezahlte Arbeit. Während das Wort "alleinerziehend" in Männergleichungen eine seltene Variable ist, weil sich meist die Mütter um die Kinder kümmern. Hausmänner sind statistisch so selten wie positive Kategorien für Mütter und kassieren deshalb jene angenehme Rückmeldung, die Frauen abgeht.

Was macht das mit Frauen? Anne Schilling ist Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks und verweist auf die offiziellen Zahlen der Organisation. Im vergangenen Jahr waren 47.000 Mütter in Mutter-Kind-Kuren oder Mütter-Kuren. Um die 2,1 Millionen Mütter gelten als kurbedürftig. "Die Mehrfachbelastung der Frauen in Deutschland ist enorm. Dabei mangelt es an Anerkennung. Im Ergebnis leiden Frauen unter Erschöpfungszuständen, depressiven Verstimmungen und Burn Out."

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In Deutschland leben Familien zu 85 Prozent nach traditionellem Modell. Anne Schilling zufolge sollen Frauen dabei zu Beginn der Beziehung nur "die Rolle der gut aussehenden arbeitenden Partnerin" erfüllen. Kommen Kinder hinzu, müssten sie auch "das Bild der guten Mutter" verkörpern, das vorherige aber ebenso beibehalten – das heißt: optisch beeindrucken, bezahlter Arbeit nachgehen und sich außerdem liebevoll um die Kinder kümmern und die Hausarbeit erledigen. "Tatsächlich versuchen die meisten Frauen, diese beiden Rollen voll auszufüllen", weiß die Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks. "Die Gesellschaft will es so, obwohl dieser Spagat erschöpft." Dazu sollen die Kinder noch eine tolle Bildung erhalten, durch ausreichend Förderung und Nachmittagsaktivitäten, zu denen die halbtags arbeitenden Mütter sie dann fahren. "Für Väter ist dieser Zustand aber natürlich angenehm," sagt Anne Schilling.

Zwar stehen Väter ihren Kindern heute verstärkt zur Verfügung und sie fordern die Zeit mit ihrem Nachwuchs sogar ein. Doch das betrifft meist die sogenannte "Quality Time". Also Ausflüge, Bücher vorlesen oder zusammen auf dem Sofa kuscheln. Dafür werden sie oft als "Superväter" gelobt. In den Kinderarztpraxen sitzen dann jedoch die Mütter mit ihren Kindern und die Wäsche nach dem Ausflug waschen sie in der Regel ebenfalls.

Doch es gibt sie, die Väter, die ihre Aufgabe trotzdem erfüllen, obwohl die Gesellschaft es nicht verlangt. Anne Schilling: "Natürlich gibt es auch Männer, die ihre Erziehungsrolle und ihren Hausarbeitspart vollständig selbst übernehmen. Deshalb bieten wir inzwischen auch Vaterkuren an. In kleinerem Rahmen natürlich – jährlich betreuen wir um die 2000 Männer." Allerdings geht die Organisation von insgesamt 230.000 kurbedürftigen Männern aus. Väter sehen sich dabei mit verständnislosen Vorgesetzten konfrontiert, sollten sie die Mehrfachbelastung ihrer Frauen ändern wollen. Sie müssen eventuell einen langsameren Karriereweg hinnehmen, sollten sie den Arbeitsplatz pünktlich verlassen, weil zu Hause dreckiges Geschirr wartet.

Wieso also sollte er gehen, wenn doch daheim die Frau die Arbeit übernehmen kann? Deshalb geben 51 Prozent der Väter, die kein Elterngeld beanspruchen, in einer Studie des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung an, dass sie es aus finanziellen Motiven nicht wagen; 20 Prozent fürchten negative berufliche Konsequenzen. Und während Frauen in Baden-Württemberg im Schnitt über 13 Monate Elterngeld beziehen, beanspruchen Männer, die diesen Schritt wagen, das Geld durchschnittlich knapp über drei Monate. Das Bundesland liegt dabei zeitlich in der deutschen Statistik auf dem vorletzten Platz. Die Bremer Männer auf Platz eins trauen sich mehr: Väter, die Elterngeld beziehen, nehmen es im Schnitt für knapp über fünf Monate in Anspruch. Wo ist sie hin, die viel zitierte Emanzipation?

Corona hat das Symptom der Doppelbelastung verstärkt. Homeoffice, Homeschooling und gleichzeitig Hausarbeit. Während 42,5 Prozent der Frauen angeben, sich durch die zusätzliche Belastung kaum auf ihre Arbeit konzentrieren zu können, sind es bei den Männern grade 27,3 Prozent. Fast drei Viertel aller Frauen, genauer gesagt 72,4 Prozent, sagen, dass sie keine Zeit für Pausen haben, geschweige denn regelmäßige Ruhezeiten. Das sind 20 Prozentpunkte mehr als bei den Männern, die sich nur zu 51,7 Prozent über diesen Umstand beklagen. Die zusätzliche Belastung durch den Lockdown liegt also größtenteils auf Frauenschultern. Anerkennung? Nein, Selbstverständnis.

Dabei können die Frauen gar nicht gewinnen. Denn selbst, wenn sie alle Aufgaben bewältigen, fallen sie eben gesellschaftlich stets in besagte Kategorien der "Übermutter", "Helikoptermutter", oder welche Bezeichnung gerade mal so neu erdacht wurde. "Wenn Frauen bei uns ankommen, leiden 80 Prozent unter schweren Erschöpfungszuständen. Einige weinen sogar vor Erschöpfung. Sie leiden unter dem Gefühl: Ich schaffe es einfach nicht, aber alle anderen schon", sagt Anne Schilling. Dann mache man ihnen klar, dass es sich hier um ein "systemrelevantes Problem" handele, nicht um persönliches Versagen. "Treffen Mütter bei uns aufeinander, erkennen sie, dass sie alle unter dem gleichen Problem leiden. Wir lassen sie dafür extra gemeinsam anreisen. Und sie verstehen, dass sich das Mutterbild dringend ändern muss", so Schilling.

Zudem spielten sich Frauen hierzulande gegeneinander aus. Emanze gelte als Schimpfwort, auch unter Frauen. "Dazu trägt vieles bei. Zum Beispiel frauenfeindliche Werbung und dadurch unerfüllbare Ansprüche der Gesellschaft", meint Anne Schilling. Und: "Wir bringen Frauen in unseren Mütterkuren bei, sich zu wehren. Denn nur um die 15 Prozent leben in einer wirklich gleichberechtigten Beziehung." Alle anderen tragen Schilling zufolge zu 80 Prozent den sogenannten "mental load" der Familie, also die Organisation, und übernehmen 80 Prozent der Hausarbeit. "Wir bringen ihnen bei, Nein zu sagen", macht die Frau vom Müttergenesungswerk klar. "Sie messen sich am Mütterbild der 50er Jahre. Aber Frauen, die einer bezahlten Arbeit nachgehen, können zu Hause nicht auch noch einen Vollzeitjob machen."

Allerdings: Frauen, die sich wehren, erhalten oft neue, negative Adjektive: schwierig, zickig, hysterisch. Anne Schilling: "Wir versuchen, Frauen zu stärken, Resilienz zu entwickeln und in der Kur Erlerntes in den Alltag einzubinden." Doch wie entwickelt man Resilienz? Zum Beispiel: Sich realistische statt fiktive, von der Gesellschaft diktierte Ziele setzen. Und: Ein positives Selbstbild schaffen, das möglichst nicht von der Reflexion anderer abhängig ist. Um dies zu erreichen, ist manchmal professionelle Hilfe notwendig, wie die des Müttergenesungswerkes. Und vielleicht sollten Frauen auch untereinander gnädiger sein, sich nicht in Rollen zwingen lassen, die sie nicht erfüllen können oder möchten. Natürlich können außerdem die Väter die Situation ändern, indem sie die Hälfte der anfallenden Aufgaben in der Familie übernehmen.