Von Alexander R.Wenisch
Ludwigshafen. Seit 30 Jahren jagt Lena Odenthal in Ludwigshafen Verbrecher. Als "Die Neue" startete Ulrike Folkerts. 1989 war das. Im TV-Geschäft eine halbe Ewigkeit. Sie war jung und wild. Und ist sie heute immer noch. Odenthal ist zwar die dienstälteste Tatort-Kommissarin, aber noch immer ein junges Temperament. Gleichzeitig zäh und nicht so leicht zu erschüttern. Eine starke Frau, die sich durchsetzen kann.
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Anfangs schlug sie sich alleine durch ihre Fälle. 1996 kam Mario Kopper dazu (Andreas Hoppe), mit dem Odenthal lange in einer WG lebte und der sie auch gerne mal italienisch bekochte. Spätestens 2018 war aber die Luft raus bei den beiden. Hoppe wurde aus der Serie herausgeschrieben – oder verdrängt von der neuen Assistentin Johanna Stern (Lisa Bitter).
30 Jahre im Dienst – als echte Kommissarin bekäme die Odenthal da weder eine Urkunde noch eine Anstecknadel. Aber der SWR lässt sich nicht lumpen und schenkt ihr eine Jubiläumsfolge. Und zwar die Fortsetzung eines Falls ("Tod im Häcksler"), der am Anfang ihrer Karriere 1991 für mächtig Aufsehen sorgte. 28 Jahre später kehrt die Ludwigshafenerin in das Dorf Zarten zurück und blickt auf "die Pfalz von oben".
Was ist passiert? Bei einer Routine-Kontrolle auf einer Landstraße halten zwei Polizisten einen Lkw an. Als der junge Beamte Benny zufällig sieht, dass der Fahrer eine Waffe im Hosenbund stecken hat, eskaliert die Lage. Benny wird erschossen – von wem, das ist nicht klar. Deutlich wird dem Zuschauer aber schnell, dass Revierleiter Stefan Tries (Ben Becker), der Benny begleitet hat, mächtig Dreck am Stecken hat.
Worum geht es wirklich?Um Vergangenheitsbewältigung. Denn zwischen Lena Odenthal und Stefan Tries hat es schon damals gefunkt. Und auch jetzt kann sich die Kommissarin gegen ihre Gefühle nicht wehren. Sie lässt sich – völlig unprofessionell! – auf den mittlerweile verdächtigen Kollegen ein. Verbringt sogar eine Nacht mit ihm (und wird von ihrer Kollegin Stern gedeckt). Es wird klar: Lena war seine große Liebe. Stefan trauert ihr noch immer hinterher. Vielleicht wäre sein Leben völlig anders verlaufen, hätte sie ihn damals nicht abblitzen lassen, als er mit gepackter Tasche vor ihrer Wohnungstür in Ludwigshafen stand. "Was hätte ich denn sagen sollen", fragt sie. Und er: "Bleib!". – eine von vielen starken Szenen des aktuellen Tatorts. Der wie nebenbei verhandelt, was sich wahrscheinlich jeder schon mal gefragt hat: Was wäre ich heute, wenn ich mich damals anders entschieden hätte? So wird "Die Pfalz von oben" zu einer kompromisslosen Abrechnung mit Lebenslügen.
>Wie schlagen sich die Kommissare? Assistentin Johanna Stern spielt im Prinzip nur eine Nebenrolle. Der komplette Krimi lebt vom Spiel zwischen Folkerts und Becker. Die beiden sind so gut, dass letztlich die Suche nach dem Täter, die Auflösung des Falls nebensächlich werden. "Wieder mit Ben Becker zu spielen, war für mich ein Geschenk", sagt Folkerts im Presse-Interview zur Jubiläumsfolge und beschreibt ohne Übertreibung: "Das funktioniert einfach, da stimmt die Chemie, da funkelt und blitzt es." Auch Becker sagt: "Mir hat’s Freude bereitet, den Faden wieder aufzunehmen. Wir haben beide ein bisschen geweint."
Gibt es Aufreger? Dazu muss man zurückschauen. Lenas Einsatz 1991 im fiktiven Ort "Zarten" löste heftige Reaktionen aus. Weil im Häcksler-Film ein aufgebrachter Mob den Verdächtigen mit Mistgabeln lynchen will, fühlten sich die echten Pfälzer als Hinterwäldler verunglimpft. Politiker aller Parteien, Gewerkschafter, Polizisten, der Hausfrauenbund – sie alle entfachten einen "Shitstorm 1.0" beim SWR-Intendanten. Rainer Brüderle soll sogar Folkerts zum Wandern durch seine schöne Heimat eingeladen haben. Wobei nicht überliefert ist, ob es dann zum Showdown bei Saumagen und Weißweinschorle kam.
Zum zweiten Mal in kurzer Zeit sammeln Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) Spuren am Rhein; diesmal hat der Fluss die Leiche der Ärztin Marie Anzell (Jana Voosen) angeschwemmt in dieser Szene des TV-Krimis "Tatort: Maleficius", der am Sonntag (08.09.2019) um 20:15 Uhr im Ersten ausgestrahlt wurde. Foto. dpaSo viel Aufregung – dabei wollten Autor Stefan Dähnert und der damals junge Regisseur Nico Hofmann (heute Chef der Berliner Produktionsfirma UFA; "Unsere Mütter, unsere Väter", "Bornholmer Straße") nur ein "ironisches Märchen" erzählen. Na ja, heute würde man sagen: kalkulierte Provokation. Ulrike Folkerts war mit dem "Häcksler" jedenfalls in aller Munde. Kurzum: Eine solche Aufregung wird es 2019 wohl nicht geben. Ist der Tatort zu brav geworden – oder hat der Lokalpatriotismus nachgelassen?
Was ist nun mit der Provinz?Immerhin wagen die Tatortmacher etwas Ironie (was gefährlich sein kann, weil tendenziell missverständlich). Überrascht über das schnelle Internet im Ort merken sie lakonisch an: Die Provinz hat sich gemausert. Die Wahrheit ist aber: Das Beste an "Zarten" ist die B424, denn auf der ist man in einer Stunde in Lautern oder in Metz, wie Dorfpolizist Tries anmerkt. Und wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie trist dessen Leben in der Westpfalz sein muss: Selbst Ludwigshafen war lange ein Sehnsuchtsort für ihn! Seit 30 Jahren hängt er in dem Kaff fest, wo das einzige Highlight der Woche ist, "wenn der Betze brennt". Obwohl, nicht ganz. Tries und sein Team – sie haben sich eigentlich ganz gut eingerichtet: schicke Neubauhäuser und eine nette Nachbarschaft (Achtung: Dorf-Humor!) "An der Bullenweide".
Nur: Woher haben sie das ganze Geld dafür? Jedenfalls hat sich Tries hier sein kleines Königreich geschaffen. Ein Paradies, "in dem jeder für jeden einsteht, die Alten noch gebraucht werden und die Jungen eine Perspektive haben." Dass dieses Bild der heilen Welt tiefe Risse hat, erfährt der Zuschauer schnell – und der Polizist weiß es selbst ja auch! So kann man "Die Pfalz von oben" auch als Kommentar verstehen auf den in letzter Zeit von Rechtskonservativen aufgeladenen Heimat-Begriff.
Ben Becker als Stefan Tries und Ulrike Folkerts als Lena Odenthal in einer Szene des "Tatort: Die Pfalz von oben" (undatierte Filmszene). Foto: dpaWas kann man noch sagen?Hervorragend stimmungsvoller Soundtrack – zwischen Jazz und Folk. Passt ausgezeichnet zu den herbstlich-kühlen Landschaftsbildern und zur verbotenen Liebe zwischen Tries und Odenthal. Stark: Die Szene, in der Folkerts und Becker wie 1991 zu Bob-Dylans "Lay Lady Lay" tanzen und sich aneinander klammern wie Ertrinkende.
Muss man den "Häcksler" vorher sehen? Nein. Der aktuelle Pfalz-Krimi arbeitet mit kleinen Rückblicken – funktioniert dadurch auch solo. Trotzdem haben die Tatort-Macher einige Anspielungen auf den ersten Teil eingebaut, die Spaß machen, wenn man sie entdeckt. Der "Häcksler" steht bereits in der ARD-Mediathek; ebenso die Dokumentation "Die Geschichte des Häckslers", in der die damalige Aufregung der vermeintlichen Hinterwäldler noch einmal verarbeitet wird.
Die Schauspieler Ulrike Folkerts und Ben Becker stehen bei Dreharbeiten zur Krimi-Serie "Tatort" in einem Bauernhof an einem Mähdrescher. Die Ausstrahlung des Films mit dem Arbeitstitel "Tatort - Die Pfalz von oben" ist zum 30. Geburtstag des Lena-Odenthal-Tatorts Ende 2019 vorgesehen. Foto: dpaSonntagabend, 20.15 Uhr: Lohnt sich der Tatort? Auf jeden Fall! Der LU-Tatort hat ja oft Qualitätsprobleme, lahm erzählt, schwache Drehbücher. Nicht so bei dieser Pfalz-Folge. Der beste LU-Tatort seit Langem.
30 Jahre im Kommissariat: Zeit für die Rente, Lena?Bisher keine Altersmüdigkeit. "Ich werde mir ganz genau überlegen, wann ich aufhören möchte, und werde mir einen ganz besonderen Ausstiegs-Tatort schreiben lassen", hat Folkerts kürzlich gesagt. "So lange ich rennen kann und schießen kann, werde ich diese Lena Odenthal gerne