Von Johannes Hucke
Nimmt man sich staubige Folianten vor und stöbert nach Beschreibungen der Stadt Mainz um 1900, so findet man immer wieder den Vergleich mit Wien: historische Machtfülle, katholischer Dom, prächtige Patrizierbauten werden genannt, aber auch und immer wieder: Dass beide bedeutende Weinstädte seien. Dies trifft heute wieder vollumfänglich zu, ganz so wie vor über 100 Jahren. Neben Österreich litt Rheinhessen am schlimmsten unter den Skandalen der 80er; sozusagen parallel erklommen sie längst wieder die alte Höhe - und stiegen vielleicht noch darüber hinaus. Und noch eine Parallele: die Straßenbahn. In aller Gemütsruhe setzt man sich mitten in der Stadt hinein und gondelt hinaus in die weinreichen Vororte nach Nußdorf, Grinzing - oder eben Hechtsheim. Welch ein Komfort, welch eine Lebensqualität: schlicht unvorstellbar für die meisten Bewohner heutiger Großstädte weltweit.
Vielfach strahlen die Mainzer Weindörfer ins Zentrum zurück. Und die Weinstuben und Weinhandlungen multiplizieren den Ruhm (und den Umsatz) der heimischen Winzerei. Einmal so etwas verkostet wie den Blauen Silvaner des Weinguts Zehe-Clauß, will man unbedingt mehr wissen. Und zwar sofort: denn diese Silvaner-Spielart, saftig-trinkig ausgebaut, erscheint uns noch charmanter als der Grüne, dessen Stärken woanders liegen.
"Das Blattwerk gleicht dem Grünen Silvaner, aber die Traube färbt zur Reife die Beerenhaut rötlich", lässt Marcus Clauß, gebürtig aus Württemberg, wissen. Birgit Zehe-Clauß, original Hechtsheimerin, erweitert: "Beim Geschmack allerdings kommen manche auf Burgunder..." Es verhält sich ein bisschen so wie mit Weißem und Rotem Riesling: Der lange Unterschätzte holt auf. Gute Nachricht: derzeit werden neue Flächen bestockt.
Nicht einmal alle Mainzer wissen, wo die Hausweinberge liegen. "Vom Hechstheimer Kirchenstück", schwärmt die Winzerin, "hat man so einen tollen Blick auf St. Pankratius." Die Hälfte der Reben wird in Laubenheim gebaut, neu hinzu kam ein Eck vom Bodenheimer Silberberg. Das ist schon an der Rheinfront, exklusiv und ebenfalls mit guter Aussicht. 2011 übrigens erfolgte die Bio-Umstellung, 2013 war die Zertifizierung abgeschlossen. "Sortentypisch, klar, kalkreiche Lösslehmböden", so umreißt Marcus Clauß das Grundlagen-Profil. Und übrigens - wenn das mal nicht trendy ist - komplett vegan! Das Weingut zeigt sich aktiv bei den Mainzer und Hechtsheimer Winzer-Bünden, außerdem beim Marktfrühstück (11. August), beim Weinausschank am Fischtor (18./19. August) und natürlich beim Kirchenstückfest.
Marcus Clauß
Oftmals werden wir gefragt, wozu wir denn auf dem jeweiligen Weingut so raten könnten. Das ist natürlich immer schwierig; indessen im aktuellen Fall der eine sofort auf den Weißburgunder Classic losginge, wären andere eventuell von der Huxelrebe Auslese völlig betört. Sollten wir dennoch Stellung beziehen müssen, würden wir ohne Umschweife zwei knackig-fruchtige Grauburgunder trocken hervorheben; den Riesling gibt es gleich dreifach, gekrönt vom "First Clauß", einer Art Großem Gewächs. Nun, und dann wäre da noch dieser Muskateller - trocken, aber auf konziliante Art, mit vollstem Recht goldprämiert.
Birgit Zehe-ClaußGold! Daran fehlt es im Hause nie. Aber nein, man investiert nicht in Minen in Südafrika, viel lieber heimst man Staatsehrenpreise ein und zählt zu den DLG Top 100. Jede Generation auf weiblicher Seite leistet ihren Beitrag zu majestätischem Edelmetall: 1996, am Beginn der neuen Ära, errang Birgit Zehe-Clauß den Titel der Rheinhessischen Weinkönigin, im Jahr darauf wurde sie Deutsche Weinprinzessin. Kaum zehn Jahre später konnte Judit Zehe als Rheinhessische Weinprinzessin gekürt werden. Wer weiß, was da noch alles folgt... Bis dahin jedenfalls bleibt das Weingut eine verlässliche Adresse am grünen Saum des goldenen Mainz. Da, wo die Straßenbahn hinfährt.