Zweifel an Blitzeinigung

Dei Zeit läuft ab: Fieberhafte Suche nach Brexit-Lösung

Monatelang ging beim Brexit nichts voran - und nun soll binnen weniger Stunden ein Vertragsentwurf aus dem Boden gestampft werden. Kann das noch bis zum EU-Gipfel klappen?

15.10.2019 UPDATE: 15.10.2019 07:58 Uhr 2 Minuten, 21 Sekunden
EU-Chefunterhändler
«Auch wenn es sehr schwierig ist, bleibt eine Einigung mit Großbritannien noch möglich», sagt EU-Chefunterhändler Michel Barnier. Foto: Francisco Seco/AP/dpa

London/Luxemburg (dpa) - In einem Wettlauf gegen die Zeit haben die Europäische Union und Großbritannien am Dienstag nach einer Brexit-Lösung gesucht.

Bis Mittwoch müsse ein neuer Vertragstext stehen, damit er beim EU-Gipfel diese Woche gebilligt werden könne, hieß es aus deutschen Regierungskreisen. Beide Seiten betonten die Einigungschancen. Doch wurden auch längere Verhandlungen nicht ausgeschlossen. Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigte, man werde bis zur letzten Minute für einen geregelten EU-Austritt arbeiten.

Der britische Premierminister Boris Johnson zielt auf einen Deal beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag, um den Brexit wie geplant am 31. Oktober zu vollziehen. Sonst müsste der Premier nach einem britischen Gesetz ab Samstag eine Fristverlängerung bei der EU beantragen - was er keinesfalls will. Zuletzt hatte Johnson Zugeständnisse in der umstrittenen Irland-Frage gemacht. Doch der EU reicht dies noch nicht ganz.

So sagte Europa-Staatsminister Michael Roth am Dienstag vor einem EU-Treffen in Luxemburg, es gebe zwei einfache Bedingungen für eine Einigung: Der EU-Binnenmarkt müsse geschützt und der Frieden in Nordirland gewahrt werden. "Jetzt liegt es wieder mal an unseren britischen Partnern, das zu tun, was nötig ist."

EU-Unterhändler Michel Barnier formulierte es so: "Es ist höchste Zeit, gute Absichten in einen Rechtstext zu gießen." Die Verhandlungen seien schwierig, aber eine Einigung möglich. Hinter verschlossenen Türen sagte Barnier nach Angaben von Diplomaten, ein Durchbruch müsse bis Dienstagabend erreicht sein.

Deutsche Regierungsvertreter nannten eine andere Frist: Bis Mittwochnachmittag solle ein Vertragsentwurf vereinbart sein. Doch äußerte sich ein Regierungsvertreter "skeptisch, dass man eine vollständige Einigung bis morgen auf einen Rechtstext haben kann". Wenn nur Eckpunkte vorlägen, müsse man weiter verhandeln. In dem Fall sei ein EU-Sondergipfel vor dem 31. Oktober nicht ausgeschlossen.

Auch Finnland, Österreich und die Niederlande äußerten Zweifel an einer Blitzeinigung vor dem Gipfel. Irland und Frankreich schlossen sie indes nicht aus. Der französische Präsident Emmanuel Macron telefonierte am Dienstag mit Johnson, ohne dass danach Details bekannt wurden.

Auf die Frage nach Fristen antwortete ein britischer Regierungssprecher nur ausweichend: "Wir arbeiten hart. Der Premierminister ist sich der Zeitvorgaben bewusst." Der britische Brexit-Minister Stephen Barclay sagte in Luxemburg: "Die Gespräche laufen. Wir müssen Spielräume für Fortschritte lassen, aber es wird über Details geredet, und ein Deal ist immer noch sehr gut möglich." Am Dienstagnachmittag kamen am Londoner Regierungssitz in der Downing Street mehrere Kabinettsmitglieder zusammen.

Streitpunkt ist nach wie vor die Frage, wie die Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland offen gehalten werden kann. Aus Sicht der EU ist das nötig, um neue Unruhen in dem früheren Bürgerkriegsgebiet zu vermeiden. Doch will die Gemeinschaft nicht, dass über die "Hintertür" der neuen EU-Außengrenze in Irland unkontrolliert und unverzollt Waren auf den Binnenmarkt strömen.

Zur Debatte steht nun eine spezielle Zollpartnerschaft, die Kontrollen an der Grenzlinie überflüssig machen soll. Nach Angaben aus deutschen Regierungskreisen könnte womöglich Großbritannien Zollkontrollen für die EU übernehmen. Doch müsse die EU dies überprüfen und notfalls einschreiten oder klagen können. Diese Details seien sehr wichtig.

Sollte noch ein Abkommen zustande kommen, müsste es nicht nur vom britischen, sondern auch vom Europäischen Parlament rechtzeitig ratifiziert werden. SPD-Europapolitiker Jens Geier zeigte sich im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur offen für einen Deal in letzter Minute, schränkte aber ein: "Machbar ist nur, was keine Fragen aufwirft. Alles muss geklärt sein, bevor wir ja sagen."

Aus Sicht der Grünen-Europaabgeordneten Terry Reintke wird in jedem Fall eine Verlängerung nötig. "Das britische Parlament wird Zeit brauchen, einen gemeinsamen Weg nach vorne zu finden", erklärte sie der dpa. "Als Europäisches Parlament haben wir bereits beschlossen, dem Vereinigten Königreich diese Zeit zu geben. Der Europäische Rat sollte sich dem anschließen und das Brexit-Datum verschieben."