Kretschmann kündigt Widerstand an

22.06.2021 UPDATE: 23.06.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 51 Sekunden

Von Axel Habermehl, RNZ Stuttgart, und Henning Otte

Stuttgart. Beim Ziel ist man sich einig, um die Finanzierung wird erbittert gestritten. Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat Widerstand gegen Pläne der Bundesregierung zur künftigen Ganztagsbetreuung von Grundschülern angekündigt. Vor der Befassung des Bundesrats mit dem Thema am Freitag forderte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) einen höheren Anteil des Bundes an absehbaren Kosten. "Auch das Gute muss man bezahlen können", sagte der Regierungschef am Dienstag in Stuttgart. "Das ist völlig unterfinanziert."

Um das durchzusetzen, versuche er, gemeinsam mit anderen Bundesländern den Vermittlungsausschuss anzurufen. Wenn das nicht gelinge, "muss ich schauen, was ich mache. Höchstwahrscheinlich werde ich das dann ablehnen", sagte Kretschmann. "Wer bestellt, muss auch bezahlen", ergänzte er. "So geht es einfach nicht."

Am Freitag soll der Bundesrat über das "Ganztagsförderungsgesetz" abstimmen, das der Bundestag am 11. Juni beschlossen hat. Es bedarf der Zustimmung der Länderkammer, um in Kraft zu treten. Kern des Gesetzes ist die Einführung eines bedarfsunabhängigen Rechtsanspruchs auf Förderung in einer Tageseinrichtung von mindestens acht Stunden täglich.

Der Anspruch soll im Endausbau für jedes Kind von der ersten bis einschließlich der vierten Klasse bestehen. Umgesetzt werden soll der Ausbau stufenweise, sodass Eltern von Kindern, die 2026 eingeschult werden, in den ersten vier Schuljahren einen vor Gericht einklagbaren Anspruch auf Ganztagsbetreuung bekämen.

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Doch vorher wäre vor Ort viel zu tun. Bundesländer wie Baden-Württemberg, die bisher nicht über entsprechende Kapazitäten in Einrichtungen wie Schulen oder Horten verfügen und auch nicht über das dazugehörige pädagogische Personal, müssten ihre Angebote ausbauen. Das wäre teuer und der Betrieb der Einrichtungen führte zu anhaltend hohen Kosten.

Städte, Kommunen und Kreise, die im Land solche Betreuungseinrichtungen betreiben, halten die Pläne für unbezahlbar und schlugen schon vor dem Bundestagsbeschluss Alarm. Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler sei "in Baden-Württemberg auf absehbare Zeit nicht realisierbar", warnten sie. "Bei den Eltern werden Erwartungen geweckt, die man nicht realistisch erfüllen kann." Gemeindetags-Präsident Steffen Jäger begrüßte Kretschmanns Ankündigung, den Vermittlungsausschuss anrufen zu wollen. "Allein für die Kommunen in Baden-Württemberg erwarten wir nach Daten des Deutschen Jugendinstituts jährliche Kosten in Höhe von 817 Millionen Euro Kosten für Personal und Räume", sagte der Gemeindetags-Präsident.

Das größte Problem sei der Fachkräftemangel. "Wir suchen schon heute händeringend Erzieherinnen und Erzieher für Kindergärten und Kitas. Es wird nicht möglich sein, die dortigen Engpässe zu bewältigen und gleichzeitig noch viel mehr zusätzliche Fachkräfte für die schulische Betreuung zu finden", prophezeiten die Kommunen. Auch gebe es noch keinen für sie tragbaren Finanzierungsvorschlag: weder für den Ausbau noch für laufende Kosten.

Wie viele Plätze Land und Kommunen schaffen müssten, falls – wie zu erwarten ist – das Gesetz letztlich in Kraft träte, ist unklar. Das Kultusministerium konnte auf Anfrage keine Zahlen nennen. Das zusätzlich benötigte Personal hänge "insbesondere von den Faktoren Gruppengröße, Betreuungszeiten und der Nachfrage" ab, erklärte ein Sprecher. Beim Bedarf kalkuliere man mit 55 bis 80 Prozent der berechtigten Schüler. Aktuell gibt es im Land knapp 400.000 Grundschüler, Tendenz steigend. Das Deutsche Jugendinstitut hat berechnet, dass das Land nur bis zum Programmstart rund 132.000 neue Betreuungsplätze schaffen müsste.

Der Bund hat angekündigt, sich mit mehreren Milliarden an nötigen Investitionen und auch an künftigen Kosten zu beteiligen. Doch aus Sicht von Land und Kommunen ist das Angebot zu niedrig. Kretschmann übte zudem grundsätzliche Kritik. "Diese Programmpolitik folgt immer demselben Schema", sagte er unter Verweis auf andere Bundes-Projekte wie das "Gute-Kita-Gesetz" oder den "Digitalpakt" für Schulen. "Man lockt uns mit relativ hohen Investitionsmitteln. Dagegen sind die Personalkosten, die Betriebsmittel völlig unterfinanziert." Der Bund wolle nun nur zwölf Prozent der künftig laufenden Betriebskosten tragen, die das Land auf etwa eine Milliarde pro Jahr veranschlage. Er verlange aber eine 50-Prozent-Beteiligung des Bundes, bei einem Angebot unter 30 Prozent werde er "sicher Nein sagen".

Zuletzt hatten auch Hessen und Niedersachsen Widerstand angekündigt. In der Landesregierung hofft man, auch Länder wie Bayern und Rheinland-Pfalz für die Sache gewinnen zu können.

Kretschmann plädierte dabei auch für einen neuen Anlauf, dass Länder Zu- und Abschläge bei Gemeinschaftssteuern wie der Einkommens-, Umsatz- oder Körperschaftsteuer erheben könnten. Dann könnten die Länder auch selbst größere Investitionsprogramme auflegen. Er wäre "höchst vergnügt", wenn diese Idee wieder aufgenommen würde. Zuletzt seien insbesondere die ostdeutschen Länder dagegen gewesen, weil sie einen "Steuerdumpingswettbewerb" befürchteten.