Kommentar - Die letzte Patrone

15.02.2021 UPDATE: 15.02.2021 06:00 Uhr 1 Minute, 18 Sekunden

Die letzte Patrone

Wolfgang Brück über die Entlassung von Michael Schiele

Als Michael Schiele in Würzburg nach nur zwei Spielen von Felix Magath gefeuert wurde, gab es aus ganz Deutschland Beileids-Bekundungen. Der SV Sandhausen sühnte die scheinbare Ungerechtigkeit. Der Zweitligist gab dem sympathischen Aufstiegstrainer wieder einen Job.

Ein Fehler. Nicht mal ein Vierteljahr nach der (voreiligen?) Trennung von Uwe Koschinat müssen die Kurpfälzer erneut die Reißleine ziehen. Diesmal hält sich das Mitleid mit dem Kurzzeit-Coach in Grenzen. Im Gegenteil, manche meinen, dass Jürgen Machmeier nicht zu wenig, sondern zu viel Geduld hatte.

Leicht ist dem Präsidenten das Eingeständnis gewiss nicht gefallen, dass er sich mit Trainer Nummer zwei gewaltig geirrt hat. Nicht, dass es große Zweifel an der Kompetenz des Fußballlehrers geben würde. Doch zu unerfahren, zu arglos erschien Schiele bei seiner zweiten Stelle als Cheftrainer. Zu zaghaft war sein Auftreten. Zu blass seine Ausstrahlung. Und: Mit jeder Niederlage schwand die Autorität, ging Respekt verloren.

Die Entscheidung von gestern Abend: Sie ist nahezu alternativlos. Ein Abstieg wäre möglicherweise ein Absturz ohne Wiederkehr. Das Lebenswerk Machmeiers ist bedroht.

Kommt es so weit, muss sich der Präsident an die eigene Nase fassen. So wie sich der Trainer an der Mammut-Aufgabe verhob, so hat auch der Multi-Unternehmer seine Kompetenzen überschätzt. Der "Sportchef" trägt die Verantwortung für den katastrophal zusammengestellten Kader. Zu viele Profis haben offenbar ihre beste Zeit schon hinter sich. Mit bekannten Namen kann man in der Zweiten Liga keinen Staat machen. Sandhausen hat seinen Markenkern verloren: Leidenschaft und Hingabe. Auf den Nachfolger wartet eine schwere Aufgabe.

Es macht deshalb Sinn, dass beim Auswärtsspiel am Samstag in Paderborn erstmal Gerhard Kleppinger und Stefan Kulovits übernehmen. Mit der (heimlichen) Hoffnung, dass aus der Interims- eine Dauerlösung wird. Sehr wahrscheinlich ist das nicht. Und dann? Sandhausen droht die Zeit davonzulaufen. Andererseits, wer nur noch eine Patrone im Lauf hat, muss mit Bedacht zielen. Weitere Fehler kann sich der Zweitligist nicht erlauben, damit das Fußball-Märchen vom Dorfverein, der die Großen das Fürchten lehrt, nicht zu Ende zu geht.