Hintergrund - Wildschwein-Problematik hat viele Zutaten

29.03.2020 UPDATE: 29.03.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 24 Sekunden

Wildschwein-Problematik hat viele Zutaten

Sinsheim. (tk) Wie viele Wildschweine im Kraichgauer Wald unterwegs sind, weiß sprichwörtlich kein Mensch. Indiz sind die Drückjagdstrecken im Winter. Denn es sind hauptsächlich die großen Gesellschaftsjagden, bei denen Jäger ihrer habhaft werden können. Über jene Jagden im Jahr 2019 im Großen Wald von Sinsheim sagt Markus Zoller, Leiter des Hegering VI Steinsberg der Heidelberger Jägervereinigung: "Ich habe noch nie in meinem Leben solche Schwarzwildstrecken bei uns gesehen."

50 und mehr Schweine wurden vor wenigen Wochen in manchen Teilen des Gebiets geschossen. Aussagekraft hat auch der Umkehrschluss: Um binnen weniger Stunden 50 Wildschweine erlegen zu können, müssen die Bestände sehr hoch sein.

Die Wildschwein-Problematik hat viele Zutaten: Preisdruck und internationaler Wettbewerb in der Landwirtschaft sorgen dafür, dass Ackerflächen bis auf den letzten Meter genutzt werden. Getreide, Raps und Mais – und damit reichlich Schweine-Futter sowie Versteckmöglichkeiten – erstrecken sich oft bis an die Waldkante. Im Wald selbst sorgt ein milderes Klima, das obendrein die Jungtier-Sterblichkeit zurückgehen lässt, für reichlich Eicheln und Bucheckern und somit für günstige Bedingungen.

Die Wildschweinjagd erschwert die Tatsache, dass Wildschweine zum Großteil in der Dämmerung und nachts anzutreffen sind. Zudem wird ein Jäger nur auf sie schießen, wenn das Schussfeld frei ist, das heißt: Wenn keine Getreidehalme, Maisstängel oder Dickicht einem sicheren Treffer im Weg stehen. All diese Bedingungen sorgen dafür, dass sich Wildschweine übers Jahr hinweg mehr denn je vermehren. Weibliche Wildschweine mit Jungtieren sollen aber nicht erlegt werden. Unterm Strich hat dies zur Folge, dass immer mehr Schweine dank idealer Lebensbedingungen unsichtbar – und deshalb schlecht bejagbar – werden. Effektiv beizukommen sei dem Problem nur bei den übergreifenden Jagden im Herbst und Winter mit Dutzenden Jägern, Treibern und Hunden – sobald diese in Nach-Corona-Zeiten wieder möglich sind. Die Einzeljagd auf Wildschweine, "so konsequent man sie auch ausübt", ende, wie Zoller schildert, oft damit, "dass man schießt, es knallt, ein Stück da liegt, und zwei Dutzend davon springen". Bis es zu dieser Gelegenheit komme, könnten auch mal Tage oder auch Wochen vergehen. Auf diese Weise bekomme man eine eventuelle Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest (ASP) sicherlich nicht in den Griff.

Effektive Wildschweinjagd – schwer zu leisten bei heutigen Berufen und Arbeitszeiten. Sie wäre, sagen Jäger und Bauern, so oder so nötig: Parallel zur Schweinepest-Problematik drückt Jagdpächter landesweit der Schuh der Ersatzpflicht von Wildschäden an Feldfrüchten: Bei hohem Sauenbestand kommen hier schnell mehrere Tausend Euro zusammen.

Vielen Jägern klingt der Ruf nach immer schärferer Jagd auch zu kaltschnäuzig: Es mehrten sich Stimmen, nicht Jäger geworden zu sein, um hinterher als "Schädlingsbekämpfer" dazustehen. Das weiß auch Zoller: Er begrüßt zwar die jüngsten Lockerungen der Gesetze vor dem Hintergrund der Seuche. Unter Auflagen ist es nun einfacher, Schweine mit Nachtzielgeräten und in der Nähe von Lock-Fütterungen im Wald zu bejagen. Trotzdem hält Zoller "das Prinzip: Wenn ich nichts mehr sehe, gehe ich heim" für die "charmantere Idee, sofern ich mir diese Moral auch leisten kann".

Und dann gibt es noch die Haltung, dass Gesellschaftsjagden einer Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest durchaus auch Vorschub leisten könnten: Aufgescheuchte und beunruhigte Wildschweine legten schlicht weitere Strecken zurück und könnten das Virus so schneller verbreiten.

Das Bundesministerium für Ernährung und ländlichen Raum meldete kürzlich, welche Maßnahmen im Seuchenfall auf Jäger zukommen könnten: Behörden vor Ort könnten beispielsweise den Personen- und Fahrzeugverkehr in bestimmten Gebieten beschränken, diese absperren, und selbst die Jagd beschränken oder verbieten. Wenn eine verstärkte Bejagung erforderlich erscheint, können Dritte beauftragt werden.

Zurzeit, sagt Zoller, gelten die staatlich verordneten Gesundheitsmaßnahmen aufgrund des Corona-Virus "eins zu eins auch für Jäger". Den Jagdbetrieb im Frühjahr und Sommer behindere dies nicht, da Gesellschaftsjagden in dieser Jahreszeit sowieso untersagt sind.