Hintergrund Holocaust-Gedenken Homosexualität

27.01.2019 UPDATE: 27.01.2019 06:00 Uhr 1 Minute, 26 Sekunden

Denunziert wegen eines Liebesbriefs

"Du bist nicht mehr unser Sohn", sagte die Mutter, als Klaus Schirdewahn an Weihnachten 1964 von zwei Polizisten nach Hause gebracht wurde. Der 17-Jährige war auf der Toilette des Ludwigshafener Kaufhauses Merkur mit einem Mann erwischt worden. Die Polizei führte ihn in Handschellen ab, verhörte ihn stundenlang. Er hatte Glück, musste nicht ins Gefängnis: Als Strafe musste er eine Therapie bei einem Psychologen in Mannheim machen, mit der er seine "Neigung" loswerden sollte.

Über 50 Jahre später saß der 71-Jährige am Sonntag im Großen Rathaussaal auf dem Podium und erzählte im Gespräch mit RNZ-Chefredakteur Klaus Welzel, wie das damals war. "Meine Familie war geschockt, deren Einstellung dazu basierte auf der Gesetzeslage des Dritten Reiches", so Schirdewahn. Eine Woche lang habe der Vater im Bett gelegen vor Schock. Die Zwangstherapie hatte vermeintlich Erfolg: Er heiratete eine Frau. "Doch leider lag ich sechs Wochen nach der Hochzeit wieder mit einem Mann im Bett", so Schirdewahn. "Da wusste ich: Die Umerziehung hat nicht geklappt."

Heute ist Schirdewahn glücklich, mit seinem Mann, seiner Tochter, zu der er zwischenzeitlich lange keinen Kontakt hatte - und auch damit, dass seine Eltern ihn irgendwann akzeptiert hatten. Nur um die rechtliche Entschädigung aus dem Gesetz zur Rehabilitation ehemals verurteilter Homosexueller hat er über ein Jahr kämpfen müssen. "Gab es auch eine Entschuldigung?", fragte Welzel. "Nein", antwortete Schirdewahn deutlich.

Auch Helmut Kress erlebte das Zwangs-Outing vor der Familie, als die Polizei ihn 1961 - er war gerade 15 Jahre alt - an seinem Arbeitsplatz, dem Tübinger Rathaus, verhaftete und später nach Hause brachte. "Man hatte in meiner Schreibtischschublade einen Liebesbrief gefunden."

Erst 55 Jahre später erfuhr er, wer ihn denunziert hatte: Tübingens damaliger Oberbürgermeister Hans Gmelin höchstpersönlich. Kress wurde - nachdem er alles über seine Beziehungen zu Männern erzählt hatte - zu 14 Tagen Jugendhaft verurteilt. "Aber das Outing führte auch zum totalen Bruch mit meinem Vater - bis kurz vor seinem Tod."

Mit auf dem Podium saß auch die Historikerin Claudia Weinschenk, die sich mit einem blinden Fleck der Forschung über den Nationalsozialismus beschäftigt: der Verfolgung lesbischer Frauen. "Da gibt es noch vieles aufzuarbeiten", so Weinschenk. Und auch hier gab es eine gewisse Kontinuität nach 1945: Noch bis in die 1980er Jahre verloren lesbische Frauen das Sorgerecht für ihre Kinder. (rie)