Von Göran Gehlen
Wenn Kai Siebert auf Jagd geht, braucht er kein Gewehr. Seine Waffe sitzt auf seinem Arm, schaut aufmerksam über die Felder und hört auf den Namen "Brocks" - ein Habichtweibchen und einer der Jagdvögel des Falknermeisters.
Trotz einer langen Tradition ist die Beizjagd selten geworden. Die Zahl der Falkner wird laut dem Deutschen Falkenorden auf 80 bis 100 geschätzt, die Zahl der aktiven auf 40 bis 50. Die Unesco hat die Falknerei in Deutschland als immaterielles Kulturerbe eingestuft. Seitdem steige das Interesse wieder.
Siebert geht nicht allein auf die Pirsch in Grebenstein bei Kassel: Hündin "Emma" springt in freudiger Erwartung aus dem Auto und steckt die Nase in den Schnee. Der Kontrast zu "Brocks" könnte nicht größer sein, die ruhig auf dem Handschuh des Falkners sitzt. "Ein Vogel ist kein Hund", sagt Siebert. "Brocks" gibt ihre Beute freiwillig nicht her, apportiert nicht und hört auch nicht auf ihren Namen. Nur im Austausch gegen ein Stück Fleisch rückt sie erlegtes Wild heraus.
Falkner, Habicht und Hund gehen die Gräben am Rand eines schneebedeckten Ackers ab. Hasen aufscheuchen. Siebert muss nicht leise durchs Unterholz pirschen. "Brocks" bleibt auf dem Handschuh - und fliegt die Beute direkt vom Arm des Falkners an. Der Jäger muss allerdings zwei Lederriemen loslassen, hat also Kontrolle, wann "Brocks" startet.
Das spürt offenbar ein Rotkehlchen, eigentlich eine Habichtbeute. Aus kurzer Distanz beobachtet es, wie Siebert zu einem Waldstück geht. Er lässt den Greifvogel los, der sich sofort in die Bäume setzt. Nur Glöckchen an seinen Fängen lassen erahnen, wo "Brocks" steckt.
Jäger und Hund verschwinden im Dickicht, scheuchen das Wild auf. Das funktioniert, führt aber trotzdem nicht zum Erfolg: Immer wieder flitzen Rehe aus dem Wald und rennen über die Felder - doch auf sie hat "Brocks" es nicht abgesehen. Angst vor großer Beute hat der Vogel nicht: Mit seinen 995 Gramm Körpergewicht kann "Brocks" es mit einem dreimal so schweren Hasen aufnehmen. Oder mit Kaninchen, Fasan und Enten. Eingesetzt für die Jagd werden auch Wanderfalken, Habichte, Steinadler, Sakerfalken und Wüstenbussarde.
Im Gegensatz zur Jagd mit Waffen sind gefährliche Fehlschüsse bei der Beizjagd unmöglich. Daher können die Vögel in belebteren Bereichen jagen. Sie werden beispielsweise zur Vertreibung von Krähen eingesetzt oder, um Kaninchenplagen in Parks und Friedhöfen zu bekämpfen. Die Sympathie von Zuschauern ist dem Falkner hier eher gewiss als bewaffneten Kollegen.
Viele Naturschützer sehen die Jagd dagegen grundsätzlich kritisch und machen bei der Beizjagd keine Ausnahme: Dies widerspreche dem Natur- und Tierschutzgedanken, sagt Kathrin Klinkusch, Sprecherin des Naturschutzbundes Nabu. Die Beizjagd müsse abgeschafft werden.
Behauptungen von Jagdgegnern, die Falkner ließen ihre Vögel tagelang hungern, widerspricht Siebert. Allerdings sei es auch sinnlos, den Vogel mit vollem Bauch auf die Jagd zu schicken. Doch dass "Brocks" Hunger hat, nutzt an diesem Tag wenig. Nur einmal lässt sich ein Hase blicken - und entkommt.
Für "Brocks" nimmt der Tag trotzdem ein glückliches Ende: Als der Vogel wieder auf dem Handschuh des Falkners landet, wartet eine Kaninchenkeule auf ihn.